Skiwachs in den Popo

Skiwachs in den Popo

Jetzt weiterlesen! !

Für 0,59 € können Sie diesen Artikel erwerben.

Sie sind bereits Kunde?

Von unserem Korrespondenten Manfred Maurer, Wien

Nach der katholischen Kirche steht eine weitere österreichische Institution wegen spät enthüllter Missbrauchsaffären am Pranger. Im Skizirkus war sexueller Missbrauch an
der Tagesordnung. Opfer brechen nach vielen Jahren der Scham nun ihr Schweigen.

An Tagen wie diesen schlägt das Herz der österreichischen Skination höher: Sonntagabend gewinnt Marcel Hirscher in Beaver Creek den Riesentorlauf. Nur wenige Monate nach einem beim Training erlittenen Knöchelbruch schafft er das sensationelle Comeback.
Der sechsfache Gesamtweltcupsieger ist einer der Säulenheiligen, von denen der austriakische Wintersport schon so viele hervorgebracht hat: Toni Sailer, Franz Klammer, Annemarie Moser-Pröll, Hermann Maier – keine Generation der Nachkriegszeit musste ohne ihre Helden der Skipiste auskommen. Die Macher dieser Erfolgsstory, allen voran ÖSV-

Peter Schroecksnadel

Präsident Peter Schröcksnadel, der Bernie Ecclestone des Skizirkus, waren über jede Kritik erhaben. Kaum ein Sportjournalist oder Funktionär wollte als Nestbeschmutzer den Zorn des allmächtigen Präsidenten auf sich ziehen.

Wer nicht mitspielen wollte, brachte seinen Startplatz in Gefahr

Doch mit einem Schlag ist die Stimmung gekippt. Nicola Werdenigg, die als Nicola Spieß in den 70er-Jahren zu den Hoffnungsträgerinnen des ÖSV gezählt und 1976 bei Olympia in Innsbruck in der Abfahrt die Bronzemedaille nur um 21 Hundertstelsekunden verpasst hatte, trat heraus aus der Anonymität und erzählte vom Schmutz im ÖSV-Nest.

Die heute 59-Jährige schildert jetzt ihre Mädchenjahre in einem sexualisierten System, die erste Fast-Vergewaltigung mit 15 im Tiroler Skiinternat, die tatsächliche Vergewaltigung durch einen Mannschaftskollegen ein Jahr später und den subtilen Druck, unter dem die Mädchen mit ihrer Hoffnung auf die große Pistenkarriere standen. „Er war ein Skifabrikant. Ein unappetitlicher alter Mann. Er bat mich zu sich, setzte mich auf seine Knie und berührte mich, wie es nicht hätte sein sollen.“ Wer nicht mitspielen wollte, brachte seinen Startplatz in Gefahr, sagt Werdenigg. Übergriffe und sexualisierte Gewalt habe es von Trainern, Betreuern, Kollegen und Serviceleuten gegeben.

Sexualisierte Initiationsrituale

Nicht nur Mädchen gerieten in dieses System, das in den wilden 70ern, also mitten in der sexuellen Revolution, selbst von manchen Opfern für irgendwie normal gehalten wurde. Erstmals hört die österreichische Skination jetzt auch den Begriff „Pastern“.

Nach Werdenigg haben sich mittlerweile mehrere Betroffene gemeldet, die diesem kranken Ritual unterzogen worden sind. Das „Pastern“ war eine unter den Männern übliche Spielart sexualisierter Gewalt. Praktiziert wurde sie etwa im Skigymnasium Stams. Dessen heutiger Direktor Arno Staudacher schildert es freilich etwas anders als ein ehemaliger Schüler. Staudacher sagt, beim „Pastern“ hätten die Mitschüler Neulingen den Hintern mit Schuhpasta beschmiert.

Ein ehemaliger Stamser Schüler und Skirennläufer schilderte dem Standard das „Pastern“ freilich ganz anders: „Das ist kein netter Initiationsritus, sondern da wurde ganzen Generationen mit Gewalt von mehreren meist älteren und stärkeren Sportlern die Hose heruntergerissen. Und je nachdem, wie aufmüpfig einer vorher war, bekam er Zahnpasta oder einen mehr oder weniger klebrigen Kleister anal verabreicht. Das heißt, da wurde eine Tube eingeführt. Das Ärgste, was man erwischen konnte, war ein Nassschnee-Klister, ein Steigwachs für Langlaufski.“

„Wir haben keinen Skandal …“

Die ersten Reaktionen der heute Verantwortlichen auf das späte Brechen des Schweigens erinnerten an die anfängliche Abwehrhaltung der Kirche. „Wir haben keinen Skandal. Da ist eine Aussage da, mehr nicht“, stellte ÖSV-Präsident Schröcksnadel anfangs klar und versuchte, den Spieß umzudrehen.

Das Opfer wird kritisiert, weil es diese alten Geschichten aufwärmt und bei einem weniger lang zurückliegenden Fall aus dem Jahr 2005 nicht alle Informationen preisgeben will. „Uns interessiert ja nicht, was vor 50 Jahren war“, sagt der Präsident.