BulgarienSheriff in Bedrängnis: Proteste, Mafiavorwürfe und Machtkämpfe machen Premier Borissow zu schaffen

Bulgarien / Sheriff in Bedrängnis: Proteste, Mafiavorwürfe und Machtkämpfe machen Premier Borissow zu schaffen
„Wir bleiben an der Macht, weil die Sozialisten den Staat zerstören werden“: Borissow dominiert Bulgariens Politik seit mehr als zehn Jahren Foto: dpa/Sina Schuldt

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Seit über einem Jahrzehnt dominiert Bulgariens bulliger Premier Bojko Borissow das Politparkett des Balkanstaats. Doch die Proteste gegen seine engen Bande zu zweifelhaften Oligarchen bringen den selbst erklärten Saubermann in Bedrängnis: Neuwahlen werden in Sofia nicht mehr ausgeschlossen.

Das EU-Problemkind Bulgarien kommt nicht zur Ruhe. Krawalle, Machtkämpfe und Mafiavorwürfe: Seit Tagen wird der Balkanstaat mitten in der Viruskrise von einer stets stärkeren Protestwelle erschüttert. Im Mittelpunkt der Krise steht der Mann, der seit über einem Jahrzehnt das turbulente Geschehen auf dem Politparkett im EU-Armenhaus dominiert: Bulgariens bulliger Premier Bojko Borissow gerät zunehmend in Bedrängnis.

„Abtritt, Abtritt“, skandieren Tausende von Demonstranten, die dem selbst ernannten Saubermann Korruption und enge Banden zu zweifelhaften Oligarchen vorwerfen. Die „Wiederherstellung des Rechtsstaats und der Grundrechte“ fordert der der sozialistischen BSP nahe stehende Präsident Rumen Radew: „Die Wut sitzt tief und hat sich seit Jahren aufgestaut: Sie kann nicht mehr mit Angst und Gewalt unterdrückt werden.“

Den Präsidenten ließ bei seinen „Hassreden“ das Blutvergießen der Polizisten völlig kalt, giftet Karatekämpfer Borissow zurück. Die BSP habe oft bewiesen, „nicht regieren zu können“, so der Chef der konservativen GERB-Partei: „Wir bleiben an der Macht, weil die Sozialisten den Staat zerstören werden.“

 Bei ihren Protesten gegen die Regierung in Sofia skandierten am Sonntag Tausende Demonstranten „Abtritt, Abtritt!“
 Bei ihren Protesten gegen die Regierung in Sofia skandierten am Sonntag Tausende Demonstranten „Abtritt, Abtritt!“ Foto: AFP/Nikolay Doychinov

Seit seinem steilen Aufstieg vom Leibwächter zu Bulgariens Dauerpremier schienen Affären, Krisen und Proteste am breiten Kreuz des Hobbykickers stets völlig folgenlos abzuprallen. Schon zwei Mal warf der frühere Feuerwehrmann 2013 und 2016 vorzeitig das Premierhandtuch, um sich wenig später erneut auf die Regierungsbank wählen zu lassen. Doch nun droht dem Liebhaber dicker Zigarren erstmals die Luft knapp zu werden: Außer der Opposition und Bürgerrechtlern machen ihm nicht nur frühere Weggefährten, sondern auch zu Erzfeinden mutierte Ex-Sponsoren zu schaffen.

Auslöser der Protestwelle war letzte Woche eine spektakuläre Schlauchbootaktion. Demonstrativ war Hristo Iwanow, der Chef der außerparlamentarischen „Ja Bulgarien“-Partei, auf einem Strand unweit der Villa des Tycoons Ahmed Dogan angelandet – dem einflussreichen Paten der als Oligarchenpartei verrufenen DPS der türkischen Minderheit.

Die Festnahme von Iwanow durch Polizisten löste in Bulgarien heftige Empörung aus: Strände sind in Bulgarien öffentliches Gut. Auch die Verhaftung von zwei Mitarbeitern von Präsident Radew hat die Wut auf den mit Dogan angeblich eng verbandelten Borissow weiter geschürt: Radew hatte den Personenschutz für Dogan durch Staatsbeamte als gesetzwidrig kritisiert.

Pistole unter der Bettlampe, daneben 500-Euro-Scheine

Eine bizarre Schlafzimmeraffäre hatte den Premier zuvor selbst bei ihm wohlgesinnten Landsleuten viel Kredit gekostet. Das Portal „afera.bg“ veröffentlichte im Juni Fotos, die den Premier schlummernd in seinem Bett zeigten. Für Verwunderung sorgte der abgebildete Nachtisch. Eine Pistole lag unter der Bettlampe. Bündel von 500-Euro-Scheinen lugten aus der Schublade.

Erzürnt warf Borissow hernach dem nebenan residierenden Staatschef und Ex-Pilot Radew vor, ihn schon länger mithilfe einer Drohne auszuspionieren. „Meine Drohne ist so gut, dass sie in Zimmer eindringen, Schubladen öffnen und Euros in sie stopfen kann“, ätzte Radew spöttelnd zurück.

Nur noch ein „nackter Junge“ habe bei den „Aufnahmen nach KGB-Drehbuch“ gefehlt, empörte sich hingegen Borissow. Als möglichen Drahtzieher für das Lancieren der Fotos nannte er auch seinen früheren Stellvertreter Zwetan Zwetanow: Der aus der Partei ausgetretene Ex-Innenminister ist Borissow seit seiner Kaltstellung nach einem Korruptionsskandal um den verbilligten Ankauf von Luxuswohnungen in inniger Feindschaft verbunden.

Einen weiteren möglichen Urheber der Foto-Affäre wittert Bulgariens Presse in dem zu Jahresbeginn nach Dubai geflüchteten Glückspielmogul Wasil Boschkow: Aus dem Exil ruft der verbitterte Justizflüchtling zum „Sturz der Junta von Bojko Borissow“ auf und lanciert ständig neue Korruptionsvorwürfe gegen den von ihm angeblich lange gesponserten GERB-Chef.

In Sofia wird nicht mehr ausgeschlossen, dass der bedrängte Premier erneut die Flucht nach vorne suchen und vorzeitige Neuwahlen anstreben könnte. Obwohl seine Popularitätswerte am Sinken sind, dürfte die GERB aus einem verfrühten Urnengang wohl erneut als stärkste Partei hervorgehen. Probleme könnte Borissow aber die Partnersuche bereiten. Die nationalistischen Parteien, mit denen GERB bisher das Regierungsboot teilt, drohen bei Neuwahlen an der Vierprozenthürde zu scheitern. Und ein GERB-Bündnis mit der DPS würde den Vorwürfen des Mafia-Managements im Oligarchenstaat neue Nahrung geben.