UkraineSelenski baut regionale Zivilverteidigung aus

Ukraine / Selenski baut regionale Zivilverteidigung aus
Ukraines Präsident Wolodymyr Selenski will offenbar vor seinem Besuch in den USA Eindruck machen Foto: AFP/Pool/Stefanie Loos

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Der ehemalige TV-Komiker Wolodymyr Selenski gibt dieser Tage den starken Mann in der Ukraine. In der Nacht auf Freitag hat der Staatspräsident die ukrainische Armee um 11.000 Mann aufgestockt und vor allem den Startschuss für eine moderne Territorialverteidigung gegeben.

10.000 Mann sollen eine moderne Zivilverteidigung in allen 25 Oblasts schaffen. Diese soll sich gemäß den NATO-Vorbildern Polen, Litauen und Estland im Wesentlichen auf lokal verwurzelte Reservisten stützen. Ein entsprechendes Gesetz war Mitte Juli von der Werchowna Rada mit großer Mehrheit angenommen worden. Begründet wurde es damals mit der anhaltenden Bedrohung, die von Russland ausgeht. Laut ukrainischen Angaben hat der Kreml Ende April nur wenige von den rund 100.000 Truppen an der Ostgrenze tatsächlich wieder abgezogen. Dabei soll es sich vor allem um 3.500 Soldaten auf der besetzten Halbinsel Krim handeln.

Tausend Mann der neu bewilligten ukrainischen Truppen sollten für Sondereinsätze der regulären Armee von bisher 250.000 Mann eingesetzt werden. Wichtiger als die Truppenaufstockung sind indes Personalwechsel an Schlüsselstellen von Verteidigung und Abwehr. Aus heiterem Himmel hat Selenski Mitte der Woche die ukrainische Armeeführung und wichtige Geheimdienstchefs ausgewechselt. In der Nacht zum Donnerstag wurde der Wechsel des Oberbefehlshabers für den Abwehrkrieg im Donbas sowie ein Führungswechsel im Generalstab bekannt gegeben. General Olexandr Pawljuk wurde neuer Kommandeur der sogenannten „Operation der Vereinigten Kräfte“ im Donbas. Dort halten die Kiewer Regierungstruppen eine rund 500 Kilometer lange Frontlinie gegen von Russland unterstützte Separatisten.

Ein paar Tage zuvor hatte Selenski bereits den Oberbefehlshaber der Streitkräfte, Ruslan Chomtschak, abberufen und durch Waleri Saluschni ersetzt. Der bisherige Oberbefehlshaber wurde indes als Stellvertreter in den wichtigen Nationalen Sicherheitsrat delegiert. Dies deutet darauf hin, dass es Selenski eher um Symbolpolitik, denn um Säuberungen in der Armeeführung geht. Selenski betonte am Donnerstag, dass sich künftig alle Kommandeure stärker auf die Modernisierung der Armee und die Ausbildung von Soldaten konzentrieren müssten. „Derzeit findet in der Welt eine schnelle Transformation der Kriegsführung statt. Unser Militär soll unter allen Bedingungen bereit sein“, sagte der Staatspräsident.

In Kiew war zuvor über Unstimmigkeiten zwischen Verteidigungsminister Andrej Taran und der Armeeführung spekuliert worden. Selenski wird Ende August von Joe Biden im Weißen Haus empfangen. Dies lässt vermuten, dass Selenski Biden mit den Führungswechseln einen Neuanfang signalisieren will.

Köpferollen auch beim Geheimdienst

In dieses Bild passt auch der plötzliche Rücktritt des mächtigen Innenministers Arsen Awakow vor zwei Wochen. Awakow galt als unverrückbares Urgestein aller Regierungen in der Ukraine seit der Maidan-Revolution vom Februar 2014. Der Geschäftsmann aus Charkiw hatte fünf Regierungen überlebt. Auch Selenski hatte ihn trotz wachsender Kritik von der Straße und Anti-Korruptionsaktivisten auch beim Regierungswechsel vom Frühling 2020 im Amt behalten. Mitte Juli zog sich Awakow plötzlich leise zurück und wurde durch seinen Stellvertreter Denis Monastirski von der Präsidentenpartei der „Volksdiener“ ersetzt.  Selenski erwarte von Monastirski „mehr Transparenz und Zuverlässigkeit“, hieß es im Präsidentenpalast. Awakow habe viele wichtige Reformen eingeleitet, aber diese müssten nun beschleunigt und vertieft werden.

Das Bild eines vorerst symbolischen Reformschubs rundet ein Köpferollen beim umstrittenen Geheimdienst SBU ab. Auch dort hat der Staatspräsident in den letzten Tagen mehrere Chefbeamte auswechseln lassen. Erneut begründete er die Personenwechsel mit „Transformationen“, auf die man besser vorbereitet sein müsse. Der Staatschef verwies auf das neue Geheimdienstgesetz, das bald von der Werchowna Rada verabschiedet werden soll. Es soll den mächtigen und umstrittenen SBU unter anderem einer größeren zivilen Kontrolle unterstellen. Politische Beobachter in Kiew sehen in den Führungswechseln vor allem eine Stärkung der Stellung Selenskis. Im Volk allerdings leidet der Staatspräsident weiter unter einem Umfragetief, das sich nur langsam erholt.