Wahl-Feature / Russlands Kommunisten geben sich plötzlich als kritische Stimme der Opposition
Russlands Kommunisten verehren Lenin und Stalin – und geben sich plötzlich als kritische Stimme der Opposition.
Pawel Grudinin ist einer, der Sachen gern selbst in die Hand nimmt. Der raus auf die Felder fährt, in seiner weißen Jacke, der zeigt, erklärt, herzlich lacht. Er ist sich nicht zu schade, oppositionell eingestellten Internetmedien Interviews zu geben, wohlwissend, dass sie als „ausländische Agenten“ gebrandmarkt sind und von der russischen Machtelite gemieden werden.
Das Charisma des bald 61-Jährigen schätzen nicht nur seine Angestellten in der Lenin-Sowchose vor den Toren Moskaus. Mit seinen Forderungen nach sozialer Marktwirtschaft fing sich der „Erdbeerkönig“ schnell Sympathien quer durchs Land ein und war bei der Präsidentenwahl vor drei Jahren als Kandidat der Kommunistischen Partei Russlands mit fast zwölf Prozent der Stimmen hinter Wladimir Putin gelandet. Das war mehr als nur ein Achtungserfolg.
Die als vorgestrig wahrgenommenen Kommunisten spürten den frischen Wind und setzten bei der jetzigen Parlamentswahl ebenfalls auf Grudinin. Auch wenn dieser bis heute stark vom Markt profitiert, wünscht er sich unverhohlen die Sowjetunion zurück. Ein Gedanke, der vielen in Russland nicht fremd ist. In der jüngsten Umfrage des unabhängigen Moskauer Meinungsforschungszentrums Lewada bevorzugt jeder zweite Befragte das sowjetische politische System.
Grudinins Popularität aber macht der regierenden Machtelite offenbar Sorgen. Schließlich kommt der joviale Mann selbst bei den Jungen bestens an, die sich vom Kult um die Sowjetunion, der Verehrung von Lenin und Stalin, die die Kommunisten bis heute teils stark pflegen, meist abgestoßen fühlen. Und so nahm die Wahlkommission Grudinin vorsorglich von der Wahlliste – und bescherte den Kommunisten dadurch erst recht an Zuspruch.
„Straßenopposition“ vs. „Systemopposition“
Russland hat zwei Arten der Opposition. In der sogenannten „Straßenopposition“ sind liberale Kräfte verbunden, die das Regime durch Repressionen jedweder Art davon abhält, ihren Marsch durch die Institutionen zu starten. Der zunächst vergiftete, nun in der Strafkolonie gehaltene Alexej Nawalny ist das Aushängeschild der Kritiker. Seine Organisationen hat der Staat mittlerweile für „extremistisch“ erklärt, politisch sind seinen Anhängern die Hände gebunden.
Zum anderen gibt es die „Systemopposition“, das sind Parteien, die in der Duma vertreten sind, um dem russischen Autoritarismus ein pluralistisches Antlitz zu verleihen. Die Kommunisten gehören genauso zu den Abnickern des bestehenden Systems wie auch die LDPR des rechtspopulistischen Krakeelers Wladimir Schirinowski und „Gerechtes Russland“ um den unscheinbaren Sergej Mironow. Und plötzlich werden die als verkrustet verstandenen Kommunisten als kritische Stimme innerhalb des Systems gesehen. Vor allem die junge Generation der Kommunisten wagt es öffentlich, die Politik von „Einiges Russland“ anzuprangern und mit ihren linken Positionen bei der Bevölkerung zu punkten.
Selbst die Nawalny-Methode des „klugen Wählens“, bei der es darum geht, Proteststimmen bei der Direktwahl effizient auf die aussichtsreichsten Konkurrenten von „Einiges Russland“ zu lenken, raten oft zu Kommunisten. Nawalny geht es bei dieser Art Störung wenig um die Inhalte und Überzeugungen der Kandidaten, es geht ihm vor allem darum, „Einiges Russland“ zu schwächen. Da heiligt der Zweck die Mittel. Die Kommunisten dürften am meisten davon profitieren.
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