Rock ’n’ Roll

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„Rock ’n’ Roll“, so lautet die neue Devise im Escher Gemeinderat. LSAP und „déi Lénk“ haben gleich in der ersten Sitzung gezeigt, wie Oppositionspolitik funktioniert, und die neue Dreierkoalition recht sprachlos zurückgelassen.

Am Freitag war ein historischer Tag. In vielerlei Hinsicht. Um 9.00 Uhr eröffnete der erste Escher CSV-Bürgermeister Georges Mischo den ersten Escher Gemeinderat der Nachkriegszeit ohne LSAP-Beteiligung im Schöffenrat. Anschließend vereidigte er die Gemeinderatsmitglieder, unter ihnen Mischos Vorgängerin Vera Spautz, die drei ehemaligen Schöffen Henri Hinterscheid, Jean Tonnar (alle LSAP) und der parteilose Dan Codello, der vor einem Monat aus der LSAP ausgetreten war. Seitdem ist Codello bei den Sozialisten eine Persona non grata und es wurde bereits im Vorfeld viel darüber spekuliert, wer im Gemeinderat neben ihm sitzen müsse. Die Sitzordnung sieht nun vor, dass Codello sich zur CSV gesellt, was eine gute Lösung zu sein scheint, denn mit seiner neuen Banknachbarin Denise Biltgen gibt es offenbar keine Animosität.

Historisch ist auch, dass es in Esch vermutlich noch nie eine so schwache Mehrheit und eine so starke Opposition gab. Der einzige Schöffe mit Koalitionserfahrung ist der Grüne Martin Kox, alle anderen waren bislang lediglich Mitglied des Gemeinderats gewesen oder verfügen über gar keine politische Erfahrung. Anders bei der Opposition. Neben der ehemaligen Bürgermeisterin und einstigen Abgeordneten Vera Spautz haben die langjährigen Schöffen Henri Hinterscheid und Jean Tonnar sowie die aktuellen

Parlamentarier Taina Bofferding (LSAP) und Marc Baum („déi Lénk“) Platz genommen.
Dementsprechend verlief dann auch die erste Sitzung. Georges Mischo war bemüht, wirkte aber unsicher und sein Redefluss wurde von unzähligen „Voilàs“ unterbrochen, während seine Schöffen, die genau wie der Bürgermeister die dreifarbige Schärpe trugen, einfach nur schwiegen. Die auf der Tagesordnung angekündigte Vorstellung der Schöffenratserklärung war, wie LSAP-Rat Henri Hinterscheid bemerkte, nichts weiter als eine Wiederholung der wichtigsten Punkte des Koalitionsabkommens, das in den vergangenen Wochen bereits in sämtlichen Presseorganen besprochen worden war. Die wichtigste Priorität der Mehrheit sei die „Zukunft unserer Kinder“, sagte Mischo, deshalb brauche Esch mehr Schulen und Betreuungseinrichtungen. Ferner wolle man den „Plan communal jeunes“ wiederaufleben lassen und die Arbeitslosigkeit bekämpfen. Ein „Ende der Sozialpolitik“ sei nicht in Sicht, man wolle die laufenden Projekte – wie die Renovierung des Abrisud und die Einrichtung einer „Fixerstuff“ – weiterführen. Allerdings betonte der CSV-Bürgermeister auch, dass die Dreierkoalition „kein neues großes Sozialprojekt“ mehr in Angriff nehmen wolle.

Im Bereich der Kulturpolitik soll das „Ciné Ariston“ renoviert und ein neues multifunktionales Kulturzentrum gebaut werden. Auch Mischos Lieblingsprojekt, ein Sportmuseum in Lallingen, fand den Weg in die „Schöffenratserklärung“. Weitere Themen waren der öffentliche Transport und der Verkehr, mehr Sicherheit durch zusätzliche Polizeibeamte und die Schaffung lokaler Arbeitsplätze. „Mit all diesen Projekten wird Esch weder bieder noch langweilig“, meinte der CSV-Bürgermeister am Ende seiner Rede. Der neue Fraktionssprecher der Christsozialen, Christian Weis, ergänzte anschließend noch, dass man die kommunale Gewerbesteuer anpassen und den Handel beleben wolle. Er hoffe, dass die Parteipolitik vor der Tür bleibe und der Gemeinderat gut zusammenarbeiten werde, so Weis.

Doch seine Hoffnungen wurden gleich enttäuscht, denn die LSAP-Fraktionssprecherin Vera Spautz, die bezeichnenderweise in einer „black leather jacket“ erschienen war, holte in ihrer Ansprache zum Rundumschlag aus. Nach den Gemeindewahlen habe sich die politische Landschaft verändert. Die LSAP habe in Esch zwar drei Sitze verloren, verfüge aber immer noch über sechs Mandate, von denen ihr eines geklaut worden sei. Der zuletzt viel diskutierte Wählerwille werde von jedem so interpretiert, wie es ihm gerade in den Kram passe, sei es, um an die Macht zu gelangen, an ihr zu bleiben oder um krampfhaft an einem Gemeinderatsmandat festzuhalten, führte Vera Spautz aus. Es war nicht schwierig zu erraten, dass diese Breitseite insbesondere dem bereits erwähnten Dan Codello galt. Gleichzeitig freute sich die frühere Bürgermeisterin, dass es die ADR mit ihren fremdenfeindlichen Parolen nicht in den Gemeinderat geschafft hat.

Schlechter Stil

Im Hinblick auf das Koalitionsabkommen wies Vera Spautz darauf hin, dass es kaum Neues enthalte und die meisten Projekte von der vorigen Mehrheit übernommen worden seien. Einige Punkte, die im Abkommen stehen, seien sogar schon umgesetzt worden, scheinbar ohne dass der neue Schöffenrat dies mitbekommen hätte, meinte sie. Als Beispiele nannte sie das „Comité de sécurité locale“, Projekte im Rahmen der „Economie circulaire“, die Entwicklung der Industriebrachen und die EU-Charta für Chancengleichheit, die die Stadt Esch bereits 2008 unterzeichnet hat.

Grund für diese „Fehler“ sei wahrscheinlich der Druck, der bereits am Wahlabend von Parteizentralen und Ministern auf die drei Koalitionspartner ausgeübt worden sei, damit sie sich zusammenfinden, vermutete die LSAP-Sprecherin. Vor allem der grüne Schöffe Martin Kox, der viele dieser Projekte bereits in der vorigen Mandatsperiode begleitet habe, hätte es besser wissen müssen, meinte Spautz, die abschließend ihm und der CSV schlechten Stil und mangelnden Anstand vorwarf, weil sie sich bereits am Wahlabend im Café getroffen und mit der LSAP nach den Wahlen nicht einmal ein Gespräch geführt hätten.

Auch „déi Lénk“-Sprecher Marc Baum sparte nicht mit seiner Kritik und warf der neuen Mehrheit fehlende Visionen vor. Auf das Gefühl der Wechselstimmung, das nach dem 8. Oktober entstanden sei, antworte die Koalition mit Kontinuität. Sie habe keine Lösungen für die Probleme der Stadt Esch anzubieten. „Bei allem Respekt fir äech, dëse Koalitiouns-accord ass awer egal wat“, monierte Baum, der ebenfalls darauf hinwies, dass die vom Schöffenrat als neu verkauften Schulen bereits vor Monaten auf den Instanzenweg gebracht wurden und die Idee der Zentrumsschule schon vor Jahren verworfen wurde, weil sie nicht umsetzbar sei und keine angemessene Lösung für den fehlenden Schulraum darstelle.

Auch die in Interviews verbreitete „neue Narration“ des Schöffenrats, dass in der Vergangenheit in Esch zu viel Sozial- und zu wenig Wirtschaftspolitik betrieben worden sei, kann Marc Baum nicht nachvollziehen. Über das neue Abrisud, die „Fixerstuff“ und das Flüchtlingsheim im Neudorf werde seit Jahren nur diskutiert, doch nichts davon sei bislang umgesetzt worden. Ferner sei eine Absenkung der kommunalen Gewerbesteuer auf 225 Prozent, wie sie der DP-Schöffe Pim Knaff in einem Interview im Luxemburger Wort angekündigt hatte, kontraproduktiv, weil sie die Konkurrenz zwischen den Südgemeinden fördere und nur die großen Betriebe, nicht aber die kleinen Geschäfte entlaste. Er hoffe, dass der Schöffenrat nach anfänglichen Fehlern bald ein schlüssiges Konzept präsentieren werde, sagte Baum abschließend.

Der Einzige, der auf diese Vorwürfe dann zumindest ansatzweise reagierte, war der Fraktionssprecher von „déi gréng“, Luc Majerus, der unterstrich, dass in den vergangenen 20 Jahren vieles in Esch geschehen sei und es daher nur logisch sei, dass bereits angedachte Projekte auch von der neuen Mehrheit weitergeführt werden. Man wolle „keine überstürzte, falsche Politik machen“, meinte er. Der Bürgermeister selbst ging in seiner abschließenden Stellungnahme nur auf wenige Kritikpunkte und Details ein und verkündete am Ende, dass die Räte Freikarten für das Escher Fußballderby Jeunesse gegen Fola bei ihm bekommen könnten.

Einen weiteren historischen Moment, den wir uns für das Ende dieses Textes aufgespart haben, ereignete sich zu Beginn der Gemeinderatssitzung. Es war die eher humoristisch gehaltene Antrittsrede der neuen DP-Rätin Daliah Scholl, die ihren Werdegang als „Escher Italo-Inderin“ und ihre Erfahrungen als Tochter von freischaffenden Künstlern schilderte. Am Ende ihrer Rede gab die Berufsmusikerin ein Lied auf ihrer Querflöte zum Besten. Rock ’n’ Roll war es nicht. Ganz so bieder wie der Auftritt der meisten ihrer Mehrheitskollegen war es aber auch nicht.