SchwedenRatlos bei Bandenkrieg und NATO-Erpressung

Schweden / Ratlos bei Bandenkrieg und NATO-Erpressung
Anschlag auf ein Mehrfamilienhaus im schwedischen Linköping Foto: Stefan Jerrevang/TTNews Agency/AFP

Jetzt weiterlesen! !

Für 0.99 € können Sie diesen Artikel erwerben.

Sie sind bereits Kunde?

Eine Szene wie aus der Ukraine: Die Mauern eines Mehrfamilienhauses wurden aus zwei Stockwerken herausgesprengt, Kabel hängen heraus, auf dem Parkplatz davor liegen Bauschutt und andere Trümmer herum. Das Foto wurde jedoch Anfang dieser Woche in der schwedischen Stadt Linköping aufgenommen, eine Person liegt im Krankenhaus.

Fast zur gleichen Zeit, in der Nacht zum Dienstag, verletzte eine Bombe im Treppenhaus eines Stockholmer Vororts drei Menschen. Die Anschläge gelten als Teil des Bandenkriegs um Drogenreviere, der landesweit geführt wird. 42 Menschen fanden dieses Jahr in den Auseinandersetzungen bereits den Tod. Aufgrund der Explosionen hat die Regierung eine Krisensitzung angesetzt, die bis zum Mittwoch dauern soll.

„Nun wird eine Führung gebraucht, die mit kraftvollen Maßnahmen die Gewalt der Gangs stoppt“, meint dazu Magdalena Andersson, Chefin der oppositionellen Sozialdemokraten am Dienstag. Eine Retourkutsche gegen Regierungschef Ulf Kristersson, der im Oktober vergangenen Jahres Andersson ablöste. Kristerssons aus drei bürgerlichen Parteien bestehende Regierungskoalition wird von den rechtsextremen Schwedendemokraten im Parlament unterstützt.

Ihr Versprechen Nummer eins: Mittels „Law and order“-Gesetzen, mehr Überwachung und mehr Abschiebungen den Krieg der Banden einzudämmen, die vornehmlich aus Personen mit ausländischen Wurzeln bestehen. Versprechen Nummer zwei war es, Schweden in die NATO zu führen. Weder das eine noch das andere konnte bisher umgesetzt werden. Und es gibt eine ungute Verquickung beider Bereiche. Kurz gesagt, die Führung in Stockholm steckt in der Zwickmühle.

Das Gros der aktuellen Auseinandersetzungen um landesweite Drogenreviere findet zwischen dem „Kurdischen Fuchs“ und dem „Griechen“ statt. Beide Protagonisten orchestrieren das Schießen und Bomben in Schweden vom Ausland aus. Beim „Kurdischen Fuchs“, bürgerlicher Name Rawa Majid, ist der Aufenthaltsort in der Türkei jedoch bekannt. Majid ist ursprünglich iranischer Staatsbürger, der als Kind nach Schweden kam. Nach einer Haftstrafe 2018 verließ er das Königreich und konnte 2020 mittels Investitionen die türkische Staatsbürgerschaft erhalten. Eine Auslieferung wird dadurch erschwert. Zudem soll der 37-Jährige nach schwedischen Polizeiquellen von einem Polizeichef in Istanbul protegiert werden. Schwedische Zeitungsberichte gehen von noch weit höheren Kreisen aus.

Erdogan nicht reizen

Auf der anderen Seite stellt Recep Tayyip Erdogan weitere Bedingungen für Schwedens NATO-Beitritt. Der türkische Staatspräsident hat auf dem NATO-Gipfel nach langen Drohgebärden im Juli zwar für Oktober die Ratifizierung im Parlament von Ankara versprochen. Seitdem kündigte er aber immer wieder Rückzieher an. Denn Schweden würde sein im Juni verabschiedetes Antiterrorgesetz nicht ernst nehmen und „Terroristen“, gemeint sind zumeist kurdische Oppositionelle, demonstrieren lassen. Auch auf Auslieferungen von Personen mit schwedischer Staatsbürgerschaft pocht er. Aktuell koppelt Erdogan, aufgrund seiner Nähe zu Putin mit Washington im Konflikt, den NATO-Beitritt Schwedens an die Lieferung von neuen F-16-Kampfflugzeugen aus den USA.

Schwedens Regierung will weder in der NATO-Frage noch in der Auslieferungsangelegenheit wirklich Druck machen, um Erdogan nicht zu reizen. Außenminister Tobias Billström versucht in der Öffentlichkeit den Eindruck zu vermitteln, es werde mit Ruhe und Geduld weiter an den Problemen gearbeitet. Und Premierminister Ulf Kristersson sieht die Inhaftierung des „Fuchses“ als eine Polizeiangelegenheit an.

Doch die Sozialdemokraten machen Druck. Majid müsse vor Gericht gestellt werden, denn dieser und sein „Netzwerk“, wie die Gangs sich selbst nennen, „setzen Schweden einer rücksichtslos brutalen Gewalt aus“, so der kriminalpolitische Sprecher der Sozialdemokraten, Ardalan Shekarabi.

Die Geschichte hat durchaus Sprengstoff, während der Gangsterboss Bilder von seinem Luxusleben auf Yachten in den sozialen Medien postet, säen seine Befehlsempfänger Angst und Schrecken im skandinavischen Fürsorgestaat. Auch die jüngsten Anschläge werden mit Auseinandersetzungen um sein Netzwerk „Foxtrott“ in Verbindung gebracht. Ob der „Tanz“ um die Drogenreviere wirklich zu Ende ist, wenn ein Gangsterboss gefasst wird, darf bezweifelt werden.