Präsentismus ist ein unterschätzter Risikofaktor

Präsentismus ist ein unterschätzter Risikofaktor

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Von unserer Korrespondentin Elke Bunge

Krankheitsbedingte Fehlzeiten, Absentismus genannt, stellen sowohl Unternehmen als auch die Gesellschaft vor große Herausforderungen. Doch der Präsentismus, das Verhalten, trotz Krankheit am Arbeitsplatz zu erscheinen, bildet einen immer größeren Risikofaktor.

Der Druck auf die Arbeitskräfte in der modernen Gesellschaft wird immer höher. Nicht nur die Bedrohung, von Robotern und Computern gesteuerte Arbeitsplätze könnten menschliche Arbeitskraft ersetzen, sondern vor allem auch immer höhere qualitative Anforderungen an Beschäftigte sowie extensive Arbeitszeitverlängerungen setzen arbeitende Menschen unter Druck.

Berufskrankheiten wie das Burn-out-Syndrom nehmen deutlich zu, doch auch Krankheiten wie Erkältungen oder andere Infekte veranlassen Arbeitende, zu Hause zu bleiben. Psychologen benennen das Fehlen wegen echten oder vorgeschobenen Krankheitsbildern als Absentismus. Unternehmen und die gesamte Volkswirtschaft sind damit vor große Probleme gestellt. Nach Angaben der deutschen Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin (BAuA) erlitt die deutsche Volkswirtschaft 2014 einen Schaden von 57 Milliarden Euro (61 Milliarden Franken) aus krankheitsbedingten Arbeitsausfällen.
Größer jedoch ist der Schaden, der von Arbeitskräften verursacht wird, die krank zur Arbeit erscheinen, erklärt eine aktuelle Studie des Lehrstuhls für Gesundheitsmanagements der Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg.

Präsentismus wird unterschätzt

In ihrer Studie weisen Nadja Amler und ihre Kollegen darauf hin, dass nach Statistiken der Krankenkassen der Krankenstand in Deutschland sich seit geraumer Zeit auf einem niedrigen Niveau befindet. Produktionsausfälle und Kosten für die Behandlungen der Erkrankten lassen sich geldmäßig verifizieren und zu der von der BAuA erhobenen Statistik zusammenführen.

Kaum bezifferbar hingegen ist der Schaden, der dadurch herbeigeführt wird, wenn Arbeitende trotz Krankheit am Arbeitsplatz erscheinen und dort Fehler begehen.
Nach Auswertung verschiedener Studien kommen die Arbeitsmediziner der Nürnberger Universität zu dem Schluss, dass der Schaden durch Präsentismus um ein Vielfaches höher als der durch krankheitsbedingte Ausfälle ist. Hochrechnungen zufolge soll er sich auf 10 Prozent des deutschen Bruttoinlandsproduktes belaufen.

US-Studie zeigt erstaunliches Ergebnis

So führen die Autoren ein Beispiel aus der amerikanischen Wirtschaft an: In einem Unternehmen mit 80.000 Beschäftigten fallen allein bei den Krankheitsbildern Migräne und Kopfschmerzen jährlich indirekte Krankheitskosten von 21,5 Millionen Dollar (20,2 Millionen Euro) an. Genauere Analysen vor Ort ergaben, dass nur zwei Fünftel dieser Kosten direkt mit Krankheitsausfällen in Zusammenhang stehen.

Die übrigen 60 Prozent des entstandenen Schadens lassen sich auf Fehler und Versagen von Mitarbeitern zurückführen, die trotz Erkrankung am Arbeitsplatz erschienen waren. Auch in den europäischen Industrienationen legen immer mehr Studien Daten vor, wie durch Anwesenheit kranker Mitarbeiter wirtschaftlicher Schaden in Unternehmen entsteht.

Krankheit am Arbeitsplatz steigert Risiken

Erkältungen, fieberhafte Magen-Darm-Infekte, Arthrosen und Rheumaerkrankungen sowie Belastungssyndrome gehören zu den Spitzenreitern von Erkrankungen, bei denen die Betroffenen dennoch zur Arbeit erscheinen. Unkonzentriertheit führt zu Fehlverhalten. Risiken von Arbeitsunfällen steigen immens. Zudem erhöht sich bei längerer Präsenz erkrankter Arbeitnehmer auch das Risiko, dass diese früher aus dem Erwerbsleben ausscheiden und die Gesellschaft dadurch belasten, dass diese Menschen Berufsunfähigkeitsrenten in Anspruch nehmen.

Die bislang ermittelten Daten zum Präsentismus sind – wegen Schwierigkeiten des Ermittelns – statistisch noch wenig belastbar. Dennoch zeigt sich bereits jetzt eine deutliche Tendenz dahin, dass ein erheblicher volkswirtschaftlicher Schaden durch Kranke am Arbeitsplatz entsteht.


Zur Autorin

Von Hause aus Physikochemikerin, promovierte Elke Bunge in Berlin als Schering-Stipendiatin auf dem Gebiet der Nano- und Wafertechnologie (Rastertunnelmikroskopie an Einkristalloberflächen) mit Forschungsaufenthalten an der Universität Liverpool und eingeladenen Vorträgen zu ihren Forschungsarbeiten u.a. in Wales, Madrid, Cambridge, und Los Angeles. Im Anschluss folgte eine mehrjährige Mitarbeit als rechte Hand der Forschungsleitung bei Atotech, einer Tochter der französischen TOTAL. Seit 2000 verschrieb sie sich der Öffentlichkeitsarbeit im Bereich Wissenschaft und Forschung für Forschungseinrichtungen sowie in der freien Wirtschaft. Ihre jahrelangen Erfahrungen auf dem Gebiet Forschung und Entwicklung und die Freude, komplizierte wissenschaftliche Zusammenhänge für ein breites Publikum verständlich zu machen, brachten sie dazu, seit 2008 als Autorin auf dem Gebiet Wissenschafts-, Technik- und Umweltjournalismus zu publizieren.