ÖsterreichPolizisten als Corona-Jäger: Umstrittenes Gesetz gibt der Polizei neue Befugnisse

Österreich / Polizisten als Corona-Jäger: Umstrittenes Gesetz gibt der Polizei neue Befugnisse
Sebastian Kurz und seine Regierung waren in der Corona-Krise nicht immer mit lupenreinen Gesetzen und Verordnungen unterwegs Foto: Hans Punz/APA/dpa

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Vor dem Hintergrund wieder steigender Corona-Infektionszahlen sorgt ein Vorhaben der türkis-grünen Regierung in Wien für heftige Proteste: Polizisten werden Corona-Jäger.

Oberösterreich ist der neue Corona-Hotspot der Alpenrepublik: Die Zahl der aktiv Erkrankten war mit 427 gestern 25-mal so hoch wie vor einem Monat. Ein auf 173 Infizierte angewachsener Cluster im Umfeld einer christlichen Freikirche in Linz, 24 positiv Getestete in einer vom Westbalkan zurückgekehrten Familie und ein gutes Dutzend in vier Schlachthöfen veranlassten die Landesregierung zum Ziehen der Reißleine: Ab morgen gilt in Oberösterreichs Geschäften, Einkaufszentren und Dienstleistungsbetrieben wieder die Mitte Juni weitgehend abgeschaffte Maskenpflicht. Schon seit Wochenbeginn sind die Schulen in mehreren Bezirken geschlossen. Nachdem Österreich bisher relativ glimpflich durch die Pandemie gekommen ist, geht nun die Angst vor einer zweiten Welle um.

Polizist als Arzt

Im Kampf gegen den unsichtbaren Feind greift die türkis-grüne Regierung einmal mehr zu ebenso unkonventionellen wie umstrittenen Mitteln: Gemäß einem im Parlament eingebrachten Gesetzesentwurf, der noch in dieser Woche beschlossen werden soll, soll die Polizei künftig nicht nur Identitäts- und Kontaktdaten ermitteln, sondern auch „allfällige Krankheitssymptome“ von „kranken, krankheitsverdächtigen oder ansteckungsverdächtigen Personen“ erfassen können. Da es sich nicht um ein spezielles Corona-Gesetz handelt, sondern um eine Novelle des Epidemiegesetzes, werden diese neuen Polizeibefugnisse auch nach der aktuellen Covid-Krise gelten.

Obwohl die von der Polizei erhobenen Daten sofort nach der Übermittlung an die Gesundheitsbehörden gelöscht werden sollen, lehnt die Opposition das Gesetz ab, wird es aber nicht verhindern können. SPÖ-Gesundheitssprecher Philip Kucher protestierte gegen die „völlig überschießende und nicht akzeptable Ausweitung der Polizeibefugnisse“. Die Regierung dürfe nicht „Polizisten als ‘Corona-Spitzel‘“ ausschicken. „Wer vor der Polizei schwitzt, hustet oder niest, wird sofort gemeldet“, befürchten die liberalen Neos und sehen es nicht als Aufgabe der Polizei, „Arzt zu spielen und krankheitsverdächtige Personen an die Gesundheitsbehörden zu melden“. Die Ärztekammer sieht das genauso: „Die medizinische Diagnose ist keine Aufgabe der Polizei, sondern nach wie vor Aufgabe eines Arztes“, findet ÄK-Präsident Thomas Szekeres und betrachtet die Ausweitung der Polizeibefugnisse als „ein Armutszeugnis für die Gesundheitspolitik in Österreich“.

„Büchse der Corona“

Dabei hat das Land die Pandemie bisher – sieht man vom Desaster im Tiroler Nobel-Skiort Ischgl ab – vergleichsweise gut bewältigt. Allerdings, wie sich inzwischen herausgestellt hat, nicht immer mit lupenreinen Gesetzen und Verordnungen. Einige der in der Akutphase von der türkis-grünen Bundesregierung unter Kanzler Sebastian Kurz (ÖVP) verhängten Restriktionen, insbesondere die Ausgangsbeschränkungen, waren zwar auf Pressekonferenzen verkündet, aber nicht mit den nötigen gesetzlichen Bestimmungen unterfüttert worden. Mittlerweile haben die Landesverwaltungsgerichte in Wien und Niederösterreich festgestellt, dass Strafen für den Verstoß gegen die Ausgangsbeschränkungen unzulässig waren, weil eben gesetzlich nicht gedeckt. Niederösterreich zahlt bereits alle Strafen wieder zurück, die die Polizei während des Lockdowns für Verstöße gegen das nur vermeintlich bestehende Kontaktverbot verhängt hatte.

Unter anderen Umständen hätte die türkis-grüne Koalition nun einen Megaskandal am Hals. So aber hält sich die Kritik in Grenzen, weil die Maßnahmen, auch wenn sie jeder Rechtsgrundlage entbehrten, einen unbestritten positiven Effekt hatten. Die Bürger schlucken offenbar viele Mittel, wenn ihnen der Zweck heilig scheint. Kritiker sehen aber auch die Gefahr eines permanenten demokratiepolitischen Schlendrians. Jetzt sind Dinge möglich, die vor einem halben Jahr unmöglich waren. Wie eben der Einsatz von Polizisten als Seuchenspitzel, obwohl diesen dafür die medizinische Kompetenz fehlt. Corona diente zum Öffnen so mancher Büchse der Pandora.