GroßbritannienPolizeichefin Dick bringt Premier Johnson unter Druck

Großbritannien / Polizeichefin Dick bringt Premier Johnson unter Druck
„Legitimität des Rechtsstaates unterminiert“: Polizeipräsidentin Cressida Dick kümmert sich jetzt um den Fall Johnson Foto: AFP/Justin Tallis

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Cressida Dick ist als Londoner Polizeipräsidentin verantwortlich für die Untersuchung der Lockdown-Partys in der Downing Street – und die somit Premier Johnson um sein Amt zittern lässt. 

Als Anfang Dezember erstmals eklatante Verstöße gegen strenge Corona-Regeln am Regierungssitz in der Downing Street öffentlich geworden waren, machte Cressida Dick durch eine kuriose Äußerung von sich reden. Scotland Yard könne in diesem Fall nicht tätig werden, teilte die Londoner Polizeipräsidentin auf entsprechende Frage von Oppositionsabgeordneten mit. Begründung: Es gebe „nicht genug Beweise“. Da wunderten sich die Antragsteller, hatten sie doch die Sicherstellung und gründliche Abwägung von Beweismaterial bisher für eine elementare, geradezu die wichtigste Aufgabe der Kriminalpolizei gehalten.

Irgendwann in den vergangenen Tagen scheint die Frau mit dem von Shakespeare (Troilus und Cressida) inspirierten Namen in ihrem Büro mit Blick auf die Themse zu einem ähnlichen Schluss gekommen zu sein. Jedenfalls verkündete die Präsidentin am Dienstag die spektakuläre Kehrtwende ihrer Behörde: Zwar würden minderschwere Gesetzesverstöße normalerweise nicht rückwirkend untersucht. Hier aber bestehe die Gefahr, dass „die Legitimität des Rechtsstaates unterminiert“ worden sei, erläuterte die zierliche Dick, 61, dem Londoner Stadtrat.

In den kommenden Wochen bevölkern also nicht nur Politiker und Beamte den Amtssitz von Premierminister Boris Johnson, sondern auch die Kripobeamten der Abteilung für heikle Aufgaben, im englischen Polizeijargon „special enquiry team“ genannt. Deren Leiterin Catherine Roper übernimmt die tägliche Arbeit und wird dabei von Dicks Stellvertreterin Jane Connors beaufsichtigt. Wenn es aber um einen heiklen Fall wie das politische Überleben des britischen Regierungschefs geht, wird die Leiterin der mit 43.500 Mitarbeitern größten und weitaus wichtigsten Polizeibehörde des Landes letztlich über den Fortgang des Verfahrens selbst entscheiden.

Erfahrung mit Kontroversen, diplomatisches Fingerspitzengefühl, ein robustes Selbstvertrauen – über all diese Qualitäten verfügt die erste Frau an der Spitze der 192 Jahre alten Behörde. Auch mit der schwierigen Frage, wie die Polizei mit den häufig unklaren Corona-Bestimmungen umgehen sollte, musste sich Dick schon befassen. Im vergangenen März versammelten sich Tausende Frauen im Süd-Londoner Park Clapham Common zu einer stillen Mahnwache für eine junge Londonerin, die von einem Polizisten entführt, vergewaltigt und ermordet worden war. Dem Buchstaben des Gesetzes nach war die friedliche, sorgfältig auf Abstand und das Tragen von Gesichtsmasken bedachte Demonstration illegal, weshalb die Beamten vor Ort sie ruppig auflösten.

Bewegte Laufbahn

Kurzzeitig sah es so aus, als werde der anschließende Empörungssturm Dick aus dem Amt fegen, zumal zu den Kritikern des Einsatzes auch Londons Bürgermeister Sadiq Khan zählte. Doch die Aufsicht über Scotland Yard ist zwischen der konservativen Innenministerin Priti Patel und dem Labour-Bürgermeister aufgeteilt. Das dürfte der kinderlosen Präsidentin, die mit einer anderen Beamtin zusammenlebt, das Amt gerettet haben, das sie seit April 2017 innehat.

Ihre Berufskarriere begann die Tochter zweier Akademiker an der Uni Oxford 1983 nach ihrem eigenen Studium an der Elite-Uni, stieg bei Scotland Yard rasch auf, war unter anderem 2012 für die geräuschlose Sicherung der Olympischen Spiele in der Hauptstadt verantwortlich. Freilich ist der Name der als kühl, umsichtig und teamfähig geltenden Polizeiführerin auch mit einer der schlimmsten Pannen in der Geschichte der 192 Jahre alten Behörde verbunden.

Dick war am 22. Juli 2005 Einsatzleiterin, als Beamte eines Spezialkommandos einen 27-jährigen Elektriker im U-Bahnhof Stockwell durch sieben Kopfschüsse töteten. 15 Tage zuvor hatten Suizid-Attentäter 52 Unschuldige in U-Bahnzügen und einem Bus in den Tod gerissen, einen Tag vor den schrecklichen Ereignissen im U-Bahnhof Stockwell waren die Anschläge vier weiterer Extremisten knapp gescheitert. Insofern war der erschossene Jean Charles de Menezes, 27, das 53. Terroropfer in London in jenem Monat: Er geriet ins Visier der hochnervösen Polizeiführung, weil er im gleichen Block wohnte wie einer der später Verurteilten und diesem ähnlich sah.

Im Prozess um die Ereignisse nahmen die Geschworenen im Strafgericht Old Bailey ausdrücklich individuelle Beamte, auch die Einsatzleiterin Dick, von strafrechtlichen Vorwürfen aus. Die Behörde selbst aber wurde wegen „Gefährdung der öffentlichen Sicherheit“ zu einer sechsstelligen Geldstrafe verurteilt.

Als Leiterin von Scotland Yard gehört neben der Sicherheit für die 8,5 Millionen-Einwohner-Metropole auch die Terrorabwehr für das ganze Land zu Dicks Zuständigkeiten. Gegen solche Aufgaben fallen die Ermittlungen wegen acht Lockdown-Partys unter Beteiligung des Regierungschefs kaum ins Gewicht.

viviane
27. Januar 2022 - 21.54

Eine Adelige legt sich doch nicht mir dem PM an.