PräsidentenwahlPolens Staatsfernsehen TVP hetzt mit Propaganda gegen den liberalen Herausforderer des konservativen Amtsinhabers

Präsidentenwahl / Polens Staatsfernsehen TVP hetzt mit Propaganda gegen den liberalen Herausforderer des konservativen Amtsinhabers
Er hat unter anderem das polnische Staatsfernsehen gegen sich: Rafal Trzaskowski, der liberale Bürgermeister von Warschau, fordert den Amtsinhaber Andrzej Duda bei der Stichwahl um die Präsidentschaft heraus Foto: Janek Skarzynski/AFP

Jetzt weiterlesen! !

Für 0,59 € können Sie diesen Artikel erwerben.

Sie sind bereits Kunde?

„Hilfe, Fäkalien dringen in meine Wohnung!“, ruft ein Mann und über den Bildschirm flimmern trübe Wasser. Die ganze Straße ist überschwemmt, ein Schnitt und es sprudelt braun aus einem Wohnungs-WC. Schnell wird klar: Das polnische Staatsfernsehen TVP ist auf Wahlkampfmission. Am Sonntag wird in einer Stichwahl ein Staatspräsident gewählt, und ausgerechnet der liberale Warschauer Oberbürgermeister will den konservativen Amtsinhaber verdrängen.

Und so hat ein Warschauer Gewitter die meiste Zeit der beiden Wahlkampfwochen vor der Stichwahl in Polen beherrscht – zumindest für jene Millionen, die den Staatssender TVP schauen. Der erst kürzlich mit einer 440-Millionen-Euro-Sondersubvention bedachte Staatssender ist in der Provinz und in vielen Rentnerhaushalten nebst „Radio Maryja“ oft der einzige Nachrichtenlieferant. Jeden Tag werden in den beiden Abendnachrichten die Bilder der angeblich ertrinkenden Hauptstadt wiederholt. „Bürgermeister Trzaskowski war nicht in Warschau“, erklärt jeweils ein Sprecher. Dazu wird immer auch an eine Störung in der Kläranlage „Czajka“ vom vergangenen Sommer erinnert, und die damaligen Fäkalien – manchmal auch tote Fische – gezeigt. Schuld an allem ist Rafal Trzaskowski, der unfähige Bürgermeister, so der Unterton, der nun Wahlkampf macht, anstatt seiner Stadt beizustehen.

Aufgelockert wird das Gewitterdrama bei TVP von der Lichtgestalt des Andrzej Duda, Amtsinhaber und Präsidentschaftskandidat der rechtspopulistischen Regierungspartei „Recht und Gerechtigkeit“ (PiS), der als sorgender Landesvater durch Polens Kleinstädte fährt und für jeden ein gutes Wort und ein herzliches Lächeln bereithält. Duda bringt neue Sozialleistungen, kämpft für „Löhne und Lebensstandard wie im Westen“, garantiert ein niedriges Rentenalter und setzt sich für traditionelle Familien ein. Dazu ist er ein guter Patriot, der den Deutschen und Russen die Stirn bietet und von Donald Trump immer wieder „wie ein Freund“ empfangen wird.

Masturbationsunterricht für Vierjährige

Seit PiS vor fünf Jahren die Macht übernommen hat, ist Polen in der Pressefreiheitsliste von „Reporter ohne Grenzen“ vom 18. auf den 62. Rang abgestürzt. Großen Anteil daran hat der Staatssender TVP. Laut Medienbeobachtern wird dort aktuell über Duda auf TVP zu 97 Prozent positiv berichtet, 87 Prozent der Beiträge über Trzaskowski sind dagegen negativ. Das hat seine Gründe, denn für die PiS-Regierung steht bei diesen Wahlen sehr viel auf dem Spiel. Verliert Duda in der Stichwahl, kommt dem Chef der Regierungspartei Jaroslaw Kaczynski, Polens mächtiger Schattenmann, sein wichtigster Verbündeter beim weiteren Staatsumbau abhanden. Denn Duda unterschreibt willig alle noch so umstrittenen Gesetze von Kaczynskis Regierungspartei. Und noch sollen laut PiS die letzten Richter ausgewechselt, die aufmüpfigen Lokalverwaltungen entmachtet und die Medienhäuser mit ausländischer Beteiligung „polonisiert“ werden. Trzaskowski dagegen verspricht, Polens Verfassung zu achten und wenn nötig eben sein Veto gegen PiS-Gesetze zu erheben.

Um die Waagschale Richtung Duda zu bewegen, wird bei TVP deshalb neben Fäkalien ganz großes Geschütz aufgefahren. Trzaskowski habe in Warschau Masturbationsunterricht für Kinder ab vier Jahren eingeführt und eine LGBT-Charta unterzeichnet, heißt es in den Abendnachrichten immer wieder. Er marschiere auf dem Christopher-Street-Day mit, wolle Homo-Ehen und -Adoption, wettere gegen die katholische Kirche und habe in der ersten Runde unter Knastbrüdern am meisten Stimmen geholt, berichtet TVP. Am Rande von Duda-Auftritten beschimpfen ihn immer wieder PiS-Anhänger als „Dieb und Lügner“. Wie eine Windfahne habe er immer wieder seine Meinung geändert, wird von TVP behauptet.

Griff in die rechte Mottenkiste

Und dann greift das Staatsfernsehen ganz tief in die rechte Mottenkiste: Trzaskowski sei 2019 im Schweizer Luxushotel „Montreux Palace“ von der Bilderberg-Gruppe empfangen worden, der womöglich geheimen Weltregierung, wird berichtet. Als Staatspräsident plane er die Abschaffung des beliebten von PiS eingeführten Kindergeldes „500plus“, um mit dem Geld jüdischen Forderungen für im Zweiten Weltkrieg verlorene Immobilien nachzukommen. „Trzaskowski ist gegen Reparationsforderungen an Deutschland“, hieß es schließlich dazu in den letzten Tagen immer wieder. Er sei die deutsche Option, das hätte die deutsche Presse selbst berichtet, wird indirekt die Welt von Duda höchstpersönlich zitiert. Trzaskowski verkörpere alles Nicht-Polnische, lautet das Fazit von TVP.

Das sei Propaganda ähnlich wie unter der realsozialistischen Diktatur vor 1989, finden viele Polen. Gut möglich, dass TVP Duda damit einen Bärendienst erweist.