PolenPogrom-Gedenken unter Polizeischutz – auch die Politik beendet die Versöhnungsgesten 

Polen / Pogrom-Gedenken unter Polizeischutz – auch die Politik beendet die Versöhnungsgesten 
Stein auf Stein: Das Gedenken an Jedwabne spaltet Polen Foto: WikiCommons/Jacques Lahitte

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Das Pogrom von Jedwabne stellt seit 20 Jahren eine große Wunde im polnischen Nachkriegsbewusstsein dar. Nun stören Rechtsradikale das Gedenken. Wichtige Regierungspolitiker waren nicht mal erschienen.

Die Zeit der großen Versöhnungsgesten ist vorbei. Zu den Gedenkfeiern zum 80. Jahrestag des Judenpogroms von Jedwabne delegierte Polens Regierungspartei einen Vertreter des Außenministeriums. Immerhin den Bildungsminister hatte die Kaczynski-Partei am Samstag dagegen ins katholische Nationalheiligtum Jasna Gora entsandt, wo der Pater Tadeusz Rydzyk den Jahrestag einer Pilgerfahrt seines teils antisemitischen „Radio Maryja“ feierte. Auch der Bürgermeister des Städtchens rund 170 Kilometer nordöstlich von Warschau blieb der Veranstaltung fern. Angereist war dafür der Chargé d’affaires der israelischen Botschaft und der abtretende, regierungskritische Bürgerombudsmann Adam Bodnar.

Am 10. Juni 1941 war es in Jedwabne zu einem Pogrom an der örtlichen jüdischen Bevölkerung gekommen. Katholische Polen hatten ihre jüdischen Nachbarn zuerst auf dem Dorfplatz zusammengetrieben, wo sie an der „Bestattung“ einer Lenin-Statue teilnehmen mussten. Daraufhin wurden Hunderte Juden, darunter viele Frauen und Kinder, in eine Scheune etwas außerhalb der Stadt getrieben und diese von einem aggressiven Mob unter den wachsamen Augen der deutschen Besatzer angezündet. Mindestens 340 Juden wurden so ermordet. Zu ähnlichen Racheaktionen an den Juden kam es laut neuesten Untersuchungen in mindestens 25 weiteren Ortschaften der Gegend.

Dutzende Rechtsradikale marschieren auf

Zumeist warfen ihnen die katholischen Nachbarn eine Komplizenschaft mit den sowjetischen Besatzern vor, die gemäß Ribbentrop-Molotow-Pakt im Herbst 1939 diesen Teil Polens besetzt und Tausende von Polen nach Sibirien deportiert hatten. Erst nach dem deutschen Angriff auf die Sowjetunion im Juni 1941 gelangten Jedwabne und ganz Ostpolen unter deutsche Besatzung.

Das Pogrom von Jedwabne stellt seit 20 Jahren auch eine große Wunde im polnischen Nachkriegsbewusstsein dar. Ein im Frühling 2000 publiziertes dünnes Büchlein des Soziologen Jan Tomasz Gross hatte einer breiteren Öffentlichkeit erst bewusst gemacht, dass die Polen im Zweiten Weltkrieg nicht nur Opfer, sondern teils auch Täter waren. Gross löste damit die größte Kontroverse in Polen seit 1989 aus. Eine Entschuldigung im Namen des polnischen Volkes des damaligen post-kommunistischen Staatspräsidenten Aleksander Kwasniewski zum 60. Jahrestag des Pogroms führte zu wüsten Angriffen vor allem der polnischen Rechten und einer Diskussion, die bis heute nicht abgebrochen ist. Erst vor wenigen Wochen veröffentlichte der mit der Regierungspartei „Recht und Gerechtigkeit“ (PiS) sympathisierende polnisch-amerikansche Historiker Marek Chodakiewicz eine jahrelang zusammengetragene Aktenstudie, die beweisen soll, dass die Polen keine Schuld am Pogrom von Jedwabne trügen, sondern nur die Deutschen.

Während die diesjährigen Gedenkfeiern auf Antrag der jüdischen Gemeinde wegen des Sabats auf Sonntag verlegt worden waren, marschierten am eigentlichen Jahrestag vom Samstag in Jedwabne Dutzende Rechtsradikale auf. Beim symbolischen Massengrab hissten sie das Transparent „Wir entschuldigen uns nicht für Jedwabne“ und störten mit Sprechchören ein Gebet katholischer Versöhnungsaktivisten. Entsprechend groß war nach diesem Zwischenfall das Polizeiaufgebot am Sonntag. Laut Berichten polnischer Onlineportale wurden diesmal jedoch vor allem jüdischen Gemeindemitglieder daran gehindert, in die Nähe des Gedenksteins zu gelangen. Erst die Drohung von Oberrabbiner Michael Schudrich, das Kaddisch nicht zu beten, sowie eine Vermittlung Bodnars konnten die Situation entspannen.