Polen / PiS-freundliche Verstaatlichung von fast 90 Prozent der Lokalpresse gestoppt

Jaroslaw Kaczynski, hier bei einer Gedenkfeier zum elften Jahrestag des Absturzes des Präsidentenflugzeugs von Smolensk dieser Tage in Warschau, dürfte sich über den Richterspruch ärgern, mit dem ein Gericht die angestrebte teilweise Unterwerfung der Presse im Land einstweilen ausgebremst wurde
In Polen ist in den Augen der Regierung etwas Ungeheuerliches passiert: Ein Warschauer Bezirksgericht hat es gewagt, ein Urteil gegen den Willen der Kaczynski-Partei „Recht und Gerechtigkeit“ (PiS) zu fällen. Konkret geht es um die geplante de facto Verstaatlichung von 20 Lokalzeitungen und rund 100 lokalen Medienportalen.
Dieses Konglomerat hatte der staatliche Mineralölmulti „PKN Orlen“ zusammen mit noch rund 100 lokalen Wochenzeitungen und einer kleineren gesamt-polnischen Tageszeitung per Anfang März für umgerechnet 26 Millionen Euro vom süddeutschen Verlagshaus Passauer Presse übernommen. Die reiche Staatsfirma wird seit 2016 von Daniel Obajtek, einem Liebling des national-konservativen Regierungsparteichefs Jaroslaw Kaczynski, geleitet und hat unter ihm so gut gewirtschaftet, dass sie inzwischen mächtig auf Expansionskurs gegangen ist. Bevorzugt werden dabei politisch gewünschte Käufe angestrebt. Dazu gehört die sogenannte „Re-Polonisierung“ der Verlagshäuser mit ausländischer Mehrheitsbeteiligung, eines der großen Wahlversprechen der PiS.
Tankstellen und Zeitungen
So kommt es also, dass Polens größter Tankstellenbetreiber in den branchenfernen Medienmarkt einsteigt, dazu noch in das seit Jahren darbende Printgeschäft. Nicht Profit oder Arbeitsplatzerhalt seien das Ziel, sondern die Sicherung weiterer Propagandamöglichkeiten für PiS, kritisiert die liberale und linke Opposition. Dies sei gerade für die 2023 anstehenden Parlamentswahlen wichtig. Die Alarmsignale der noch unabhängigen polnischen Journalisten, darunter Hunderte in den von „PKN Orlen“ aufgekauften Redaktionen, leuchteten deshalb bereits seit Wochen rot.
Der Deal schien besiegelt, PKN Orlen hatte ab Anfang April bereits mit Säuberungsaktionen in der Warschauer Zentralredaktion begonnen. Alles schien wieder einmal nach Plan des Oberstrategen Kaczynski zu laufen. Doch dem stellte sich nun die Konsumentenschutzkammer des Warschauer Bezirksgerichts entgegen. Sie bestätigte eine Klage gegen die Übernahme von Adam Bodnar, des Bürgerombudsmanns. Bodnar hatte in einer Eingabe gegen die Übernahmeerlaubnis des von PiS beherrschten Konsumentenschutzamts geklagt und dabei mit einer möglichen Gefahr für die Pressefreiheit in Polen argumentiert.
In Bodnars Klage ist die Rede von „einer Staatsfirma, die von Politikern geführt wird“ und einer sich daraus ableitenden „möglichen Einflussnahme auf den Inhalt“ der Internetseiten und Zeitungen. „Auf diese Weise könnten (die Regierungspolitiker) die freie Presse umgestalten, deren Aufgabe die faktentreue und regierungskritische Berichterstattung ist, und sie in Hofberichterstattung umgestalten“, schrieb der Bürgerombudsmann, Polens letzte regierungsunabhängige Instanz abgesehen von ein paar mutigen Richtern.
„Keine Rechtsgrundlage“?
Das Gerichtsurteil führte am Dienstag zu einem Aufschrei im PiS-Lager und den ihn zugewandten Medien. Das regierungsfreundliche Nachrichtenportal wpolityce.pl kommentierte, das Gericht wolle offenbar einer Lokalmedien-Offensive der Tageszeitung Gazeta Wyborcza Vorschub leisten. „Das Urteil entbehrt jeglicher Rechtsgrundlage“, zeterte Kaczynski-Liebling Daniel Obajtek (PiS), der PKN-Orlen-CEO. „Der Kauf ist rechtmäßig abgeschlossen worden“, fügte er an. Bodnar hätte sich offenbar in den falschen Medien informiert, giftete er gegen den Bürgerombudsmann, einen international angesehenen Menschenrechtsexperten, der von PiS in den letzten Monaten immer mehr zum Volksfeind stilisiert wird. Etwas befremdlich mutet indes in der Tat an, dass das Gericht sich an einer Konzentration stört, die unter dem Passauer Presse-Verlag noch kritiklos hingenommen wurde. Wohl weil es keinen Kläger gab, auch nicht aus der vor 2015 acht Jahre lang oppositionellen PiS.
Obajtek kündigte am Dienstag – wenig überraschend – eine Berufungsklage an. Viele Beobachter in Warschau gehen davon aus, dass PiS am Ende eine ihm genehme Gerichtskammer findet und die Übernahme des Verlages „Polska Press“ einfach zeitlich verzögert wird. Allerdings könnte dies einen längeren Rechtsstreit bedingen. Somit war am Dienstag erst ein Etappensieg für die Pressefreiheit zu feiern.
Polen ist nicht Ungarn
Der Fall „Polska Press“ und „PKN Orlen“ zeigt allerdings auch, dass Polen noch meilenweit von den Verhältnissen in Ungarn entfernt ist. Dort hat es der bereits seit elf Jahren regierende Ministerpräsident Viktor Orban mithilfe von Staatsfirmen und vor allem ihm zugewandten Oligarchen geschafft, bis auf ganz wenige Nischenprodukte die ganze Medienlandschaft unter die Kontrolle seiner rechts-konservativen Regierungspartei „Fidesz“ zu bringen. In Polen indes hat PiS bisher als treues Propaganda-Instrument bisher nur das Staatsfernsehen TVP, die staatliche Nachrichtenagentur PAP und das Staatsradio zur Verfügung. Deren Marktanteile liegen bei weit weniger als den privaten Alternativen. Das mit hohen Subventionen gestützte Fernsehen TVP erreicht mit seinen vier Hauptprogrammen zusammen nur rund 25 Prozent der Polen. Die vier Hauptprogramme des stramm PiS-treuen „Polnischen Radios“ erreichen gar nur zehn Prozent der Polen. Dazu verfügt PiS über vier ihm freundlich gesinnte Presse- und Onlineverlage, die aber im Vergleich zu den regierungskritischen Qualitätsprodukten Gazeta Wyborcza und Reczpospolita, sowie der kritischen Boulevardzeitung „Fakt“ nur kleine Auflagen und Online-Besucherzahlen haben. Dazu ist das PiS-freundliche Medienimperium des teils antisemitischen Paters Tadeusz Rydzyk ein eigensinniger Verbündeter, der fallweise schnell abspringen kann.
Die Übernahme vom „Polska Press“ würde hier vor allem im Lokalzeitungsmarkt indes einiges ändern. Noch gibt es allerdings genügend Alternativen in Polen. Immer wichtiger wird dabei das aufstrebende PiS-kritische Online-Nachrichtenportal onet.pl, das zwar der schweizerisch-deutschen RingierAxelSpringer-Gruppe gehört, aber aus Strategie-Gründen gegen mögliche PiS-Re-Polonisierungsgesetze mit viel US-Kapital gestärkt wurde. Gegen amerikanische Interessen wiederum wagt PiS bisher keine Schläge, gegen deutsche oder schweizerische sehr wohl.
Der kleine Zwilling arbeitet mit allen Mitteln.Schon Adolf wusste wie wichtig die Medien sind.