DeutschlandParteienforscher Niedermayer: Die SPD-Doppelspitze hat sich nicht profiliert

Deutschland / Parteienforscher Niedermayer: Die SPD-Doppelspitze hat sich nicht profiliert
Saskia Esken und Norbert Walter-Borjans Foto: Michael Kappeler/dpa

Jetzt weiterlesen! !

Für 0,59 € können Sie diesen Artikel erwerben.

Sie sind bereits Kunde?

Ein Jahr sind Saskia Esken und Norbert Walter-Borjans jetzt Vorsitzende der SPD. Ihrer Wahl ging eine Mitgliederbefragung voraus. Warum die Partei trotzdem weiter auf der Stelle tritt, erklärte der Berliner Politikwissenschaftler Oskar Niedermayer im Gespräch mit unserem Korrespondenten Stefan Vetter.

Tageblatt: Herr Niedermayer, war die SPD-Basis gut beraten, zwei eher unbekannte Genossen als Doppelspitze zu küren?

Oskar Niedermayer: An der Mitgliederbefragung hatte sich nur gut die Hälfte der Parteimitglieder beteiligt. Da tue ich mich schwer, von der Basis zu sprechen. Tatsächlich gewählt wurde das Duo ja nur von gut einem Viertel der Sozialdemokraten. Die beiden Neuen hatten mit einer Positionierung gewonnen, die die Partei deutlich nach links rücken sollte. Wirklich sehen wird man das aber erst im Frühjahr, wenn das Wahlprogramm beschlossen wird.

Sie zweifeln an der Autorität des Duos?

Die beiden stehen für staatliche Umverteilung und eine linksliberale Gesellschaftspolitik. Vieles davon ist in der SPD mittlerweile eher unstrittig. Die Doppelspitze, so scheint es, hat sich nach anfänglichen Schwierigkeiten mit der übrigen Parteiführung sowie der Fraktion und den SPD-Ministerpräsidenten arrangiert. Damit ist auch das größte Verdienst der beiden Vorsitzenden umschrieben: Nach außen tritt die Partei jetzt deutlich geschlossener auf als vor ihrem Amtsantritt.

Die Umfragen für die SPD haben sich aber trotzdem kaum verbessert. Woran liegt das?

Die Corona-Krise zahlt ausschließlich bei der Kanzler-Partei, also der Union ein. Aber auch ohne Corona würde die SPD kaum besser dastehen. Dafür gibt es mehrere Gründe. Die Partei wird von den Bürgern in allen wichtigen Politikbereichen als wenig kompetent wahrgenommen. Selbst bei ihrem Markenkern, der sozialen Gerechtigkeit, wird sie von der Linken attackiert. Beim Klimaschutz liegt die Kompetenz eindeutig bei den Grünen, und bei der inneren Sicherheit bis hin zur Flüchtlingspolitik dominiert die Union. Da ist für die SPD kaum etwas zu holen.

Welche Gründe gibt es noch?

Die ganzen Querelen in der SPD, man denke nur an die ruhmlosen Abgänge von Martin Schulz und Andrea Nahles, haben viel Vertrauen bei den Bürgern zerstört. Hinzu kommt, dass sich die SPD allzu häufig auf Randthemen konzentriert, aber ihre eigentliche Kernklientel, die Facharbeiterschaft, vernachlässigt. So hat Esken zum Beispiel die Kaufprämie für moderne Verbrenner-Autos verhindert, was der SPD einen Konflikt mit der IG Metall bescherte, die eigentlich zu ihren Verbündeten zählt. Auch das irritiert.

Kanzlerkandidat Olaf Scholz steht eher für klassische SPD-Wähler. Warum kann er nicht mehr für die Partei punkten?

Die Leute wissen immer noch, dass sich Esken und Walter-Borjans bei der Wahl zum Vorsitz gegen Scholz durchgesetzt haben. Scholz wiederum ist sehr wohl hilfreich für die SPD. In der Corona-Krise konnte er sich nämlich als Finanzminister deutlich profilieren, Esken und Walter-Borjans vermochten das in ihrer Funktion nicht.

Was ist von den beiden im Bundestagswahlkampf zu erwarten?

Das hängt davon ab, wie links das Wahlprogramm der SPD tatsächlich wird und inwieweit Scholz sich damit arrangieren kann. Mit der Abkehr von der schwarzen Null hat er sich übrigens schon deutlich auf den linken Parteiflügel zubewegt. Mit ihren Tweets ist Esken aber auch immer wieder für Überraschungen gut. Ich würde jedenfalls nicht meine Hand dafür ins Feuer legen, dass die gegenwärtige Disziplin der SPD auch im Bundestagswahlkampf anhält.