DeutschlandOlaf Scholz will niemanden allein lassen

Deutschland / Olaf Scholz will niemanden allein lassen
Der deutsche Kanzler Olaf Scholz will in der Krise niemanden zurücklassen Foto: dpa/Kay Nietfeld

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Mehr als eineinhalb Stunden stellt sich ein konzentrierter Bundeskanzler den Fragen der Hauptstadtjournalisten. Eine Blöße gibt er sich dabei kaum – trotz der Fülle an aktuellen Herausforderungen. Der Staat lasse die Bürger in der Krise nicht allein, versichert Olaf Scholz. Nur die Hamburger Cum-Ex-Affäre lockt ihn aus der Reserve.

Es gibt diesen einen Moment in der mehr als 100 Minuten langen Sommer-Pressekonferenz von Olaf Scholz, bei dem sich seine Miene verhärtet, sein Gesicht blasser wirkt. „Sie können sich darauf verlassen, dass ich nicht zu den Leuten gehöre, die so etwas machen“, sagt der Bundeskanzler auf die Frage eines niederländischen Journalisten, ob er als früherer Hamburger Bürgermeister 2016 und 2017 dafür gesorgt habe, dass die Privatbank Warburg illegal erworbenes Steuergeld nicht an den Fiskus zurückzahlen musste. Als der Journalist behauptet, die Banker hätten nach einem Treffen mit Scholz „geklautes“ Steuergeld behalten dürfen, antwortet der Kanzler geradezu drohend: „Sie würden diese Tatsachenbehauptung nicht erhärten können, wenn Sie es müssten. Bedenken Sie das, wenn Sie sowas sagen.“

Die Cum-Ex-Affäre wirft einen Schatten auf diese erste Sommer-Pressekonferenz des Kanzlers, mit der er eine Tradition seiner Vorgängerin fortsetzt. Gäbe es diesen Skandal nicht, könnte man von einem rundum souveränen Auftritt sprechen. Ähnlich nüchtern, konzentriert und mit Ruhe und Detailkenntnis ausgestattet wie Angela Merkel beantwortet Olaf Scholz die drei Dutzend Fragen der Hauptstadtjournalisten. Auf die Frage, ob er Merkel vermisse, sagt Scholz: „Ich telefoniere gerne mit ihr, aber ich bin jetzt auch gerne Bundeskanzler.“ Und gäbe es wegen der hohen Energiepreise nicht so viele Fragen nach sozialer Gerechtigkeit und neuen Entlastungen, wäre der Unterschied zwischen dem SPD-Kanzler und seiner Vorgängerin von der CDU auch inhaltlich kaum zu spüren.

Rückendeckung für Lindner

Jetzt aber will Scholz herausstreichen, dass er durchaus ein sozialdemokratischer Kanzler ist. Aus Merkels Credo „Wir schaffen das!“ in der Flüchtlingskrise ist bei Scholz der Satz „Wir lassen euch nicht allein!“ in der Ukraine- und Energiekrise geworden. „You’ll never walk alone“, zitiert er sich selbst, der Staat stehe an der Seite der Bürger. Unruhen angesichts der hohen Inflation erwartet er daher nicht. Im Herbst werde es ein weiteres umfassendes Entlastungspaket geben, kündigt er an. „Mir geht es um die, die ganz wenig haben“, sagt Scholz. Das Wohngeld werde erhöht, Bürgergeld eingeführt, auch Rentner und Studierende sollen etwas bekommen. Für alles gebe es genügend Geld im Bundeshaushalt, versichert Scholz. Trotz der Schuldenbremse, die er – Stand heute – 2023 wieder einhalten will. Ob es im Herbst wirklich dabei bleibt – man wird sehen.

Ich telefoniere gerne mit ihr, aber ich bin jetzt auch gerne Bundeskanzler

Olaf Scholz, auf die Frage, ob er Merkel vermisse

Scholz will unbedingt auch die mitberücksichtigen, die ein Arbeitseinkommen von „2.000, 3.000 oder 4.000 Euro“ im Monat erzielen und trotzdem nicht wüssten, wie sie über die Runden kämen. Deshalb findet er auch den Vorschlag von Bundesfinanzminister Christian Lindner, die Steuerzahler 2023 über den Abbau der kalten Progression zu entlasten, „sehr, sehr hilfreich“. Denn es gehe ja darum, alle zu erfassen, nicht nur die, die keine Steuern zahlen. Auch er habe das zweimal als Bundesfinanzminister so gemacht, also die sogenannte kalte Progression bekämpft. „Das kann ja keine offensichtlich falsche Idee sein.“ Ein kurzer Moment mit Scholz-Humor.

Vertreter von SPD und Grünen sind da aber ganz anderer Meinung, sie lehnen Lindners Steuerpläne rundweg ab, weil hohe Einkommen dadurch absolut stärker profitieren würden als untere Einkommen. Doch Scholz ist angewiesen auf die FDP und den Fortbestand der Ampel-Koalition. Er muss die Konflikte zwischen den Parteien wegmoderieren. Dass die Koalition trotz aller Fliehkräfte bis zum Ende der Legislaturperiode durchhält, davon ist Scholz überzeugt. „Ich habe sogar die Perspektive darüber hinaus und möchte das noch mal unterstreichen“, sagt er sogar.

Cum-Ex-Affäre bleibt seine Achillesferse

Ohne Energiesicherheit wäre alles nichts, Deutschlands Wohlstand und wirtschaftliche Zukunft in Gefahr. Scholz zählt daher auf, was die Regierung alles tut, um Deutschlands Energieversorgung zu sichern – von LNG-Terminals über den Weiterbetrieb von Kohle- und Atomkraftwerken, der gerade geprüft wird. Merkel hätte die enorme Energieabhängigkeit von Russland nicht verringert, seine Regierung müsse das jetzt korrigieren. Allerdings war Scholz selbst Vize-Kanzler unter Merkel. „Das ist durchaus etwas, zu dem ich fähig bin, obwohl es gegenteilige Gerüchte gibt“, sagt Scholz nonchalant auf die Frage nach seiner Mitverantwortung.

Doch die Cum-Ex-Affäre bleibt seine Achillesferse, sie hängt an ihm wie ein Kaugummi unter dem Schuh. Kommende Woche wird er vor dem Hamburger Untersuchungsausschuss aussagen müssen. Gerade erst wurde bekannt, dass die Staatsanwaltschaft in einem Schließfach seines Parteifreundes Johannes Kahrs mehr als 200.000 Euro gefunden hat. Kahrs soll die Gespräche der Bankiers mit Scholz seinerzeit vermittelt haben.

Doch Scholz ist sicher, dass ihn die Affäre als Kanzler nicht mehr gefährden kann. Zweieinhalb Jahre lang seien unzählige Zeugen gehört und tausende Akten durchgefilzt worden. „Es gibt keinen einzigen Beweis einer politischen Einflussnahme“, lautet sein Mantra.