ÖsterreichÖVP-Attacken auf die Justiz als Lackmustest für die Grünen

Österreich / ÖVP-Attacken auf die Justiz als Lackmustest für die Grünen
Die Partei des österreichischen Kanzlers Sebastian Kurz, die ÖVP, versucht die Arbeit der Justiz im Land zu behindern und zu diskreditieren. Und folgt damit dem Beispiel des zunehmend in eine Autokratie abdriftenden ungarischen Nachbarn. Foto: Helmut Fohringer/APA/dpa

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Weil sie immer öfter ins Visier der Ermittler gerät, reitet die ÖVP heftige Attacken gegen die Justiz und versucht ihr Fesseln anzulegen. Die Opposition befürchtet eine Orbanisierung Österreichs, die Grünen stehen vor einem Lackmustest.

„Dieses Verhalten ist einer bürgerlichen Partei unwürdig“ – Grünen-Fraktionschefin Sigrid Maurer riss an diesem Wochenende der Geduldsfaden. Wieder einmal hatte die ÖVP eine Breitseite gegen die Justiz abgeschossen. ÖVP-Fraktionschef August Wöginger warf der Wirtschafts- und Korruptionsstaatsanwaltschaft (WKStA) vor, „politisch motiviert“ zu agieren, was man sich „nicht gefallen lassen“ werde. Anlass des türkisen Zorns, für den der grüne Koalitionspartner kein Verständnis hat, ist der Antrag der WKStA auf Aufhebung der Immunität der ÖVP-Abgeordneten Michaela Steinacker. Sie wird der Untreue verdächtigt. Die Politikerin soll nach Angaben eines Whistleblowers jahrelang einen hoch dotierten Posten in einer Immobilienfirma des ÖVP-nahen Raiffeisen-Imperiums bekleidet, tatsächlich aber hauptsächlich Parteiarbeit geleistet haben. Das Gehalt könnte demnach eine verdeckte Parteispende gewesen sein.

Nicht nur ÖVP im Visier

Anstatt die Justiz ihre Arbeit tun zu lassen, läuft die ÖVP Sturm. Es könne nicht sein, „dass hier einfach Abgeordnete oder Regierungsmitglieder herausgepickt werden, obwohl es eine Vielzahl an vergleichbaren Fällen auch bei anderen Fraktionen gibt“. Tatsächlich hat die WKStA keine Scheu, selbst höchste Repräsentanten in die Mangel zu nehmen. Bundeskanzler Sebastian Kurz (ÖVP) hat Ermittlungen wegen des Verdachts der Falschaussage im Ibiza-Untersuchungsausschuss am Hals, sein Finanzminister Gernot Blümel sieht sich von den Korruptionsjägern mit dem Vorwurf der Bestechlichkeit im Zusammenhang mit einem Spendenangebot des Glücksspielkonzerns Novomatic konfrontiert. Dass es die WKStA nur auf ÖVP-Politiker abgesehen hat, stimmt nicht. Erst am Freitag hatte sie Anklage gegen den niederösterreichischen Landesrat Gottfried Waldhäusl wegen Amtsmissbrauchs erhoben. Der FPÖ-Politiker hatte im Jahr 2018 jugendliche Flüchtlinge in einem von Stacheldraht umzäunten Quartier untergebracht, was nach Ansicht des Landesverwaltungsgerichtes rechtswidrig war. Gegen den burgenländischen SPÖ-Landeshauptmann Hans-Peter Doskozil leitete die WKStA im Zuge der Ermittlungen zur Pleite einer Regionalbank ein Verfahren wegen Falschaussage ein.

Oberstaatsanwalt klagt an

Das von der ÖVP gezeichnete Bild von einem „Netzwerk roter Staatsanwälte“ entspricht also nicht der Realität. Nichtsdestotrotz ergeht sich die Kurz-Partei in Attacken auf die Justiz und beschränkt sich dabei nicht auf rhetorische Angriffe. Oberstaatsanwalt Matthias Purkart etwa berichtete bei seiner Befragung im Ibiza-Untersuchungsausschuss ausführlich über Behinderungs- und Einschüchterungsversuche. So sei die arbeitsmäßig ohnehin nicht unterforderte Behörde mit „überbordenden Berichtspflichten und wiederholten Dienstaufsichtsbeschwerden“ konfrontiert. Konkret setzte es eine solche Dienstaufsichtsbeschwerde durch die – mit der WKStA im Clinch liegende – Oberstaatsanwaltschaft Wien für Purkart, nachdem die Ermittlungen gegen den Kanzler eingeleitet worden waren. Das Verfahren blieb zwar ohne Ergebnis, hatte aber durchaus einen der ÖVP genehmen Effekt: Purkart konnte nicht die Ermittlungen gegen Kurz weiterführen, sondern war mit seiner eigenen Verteidigung beschäftigt.

ÖVP wollte Razziaverbot

Damit die Korruptionsstaatsanwaltschaft erst gar nicht zu viel verdächtiges Material in die Hände bekommt, hatte sich das ÖVP-geführte Innenministerium ein neues Gesetz ausgedacht, das eine Beschlagnahmung von Dokumenten bei Behörden künftig nur mehr auf dem Weg eines Amtshilfeverfahrens vorsah. Unangemeldete Hausdurchsuchungen, wie sie im Februar Finanzminister Blümel erlebte, sollten künftig in öffentlichen Stellen nicht mehr möglich sein. Ein entscheidender Faktor für den Erfolg von Ermittlungen – der Überraschungseffekt – wäre damit ausgeschaltet. Da spielte allerdings die grüne Justizministern Alma Zadic nicht mit. Nachdem Opposition und Justizvertreter Sturm gegen das Razziaverbot gelaufen waren, versprach Zadic, dass der entsprechende Paragraf so nicht kommen werde.

Grüner Ordnungsruf

Der Ton in der Koalition wird zunehmend rauer. Die Grünen wollen nicht als Handlanger einer Orbanisierung Österreichs wahrgenommen werden und distanzieren sich vom Koalitionspartner. „Die permanente Unterstellung an die Justiz, sie würde politisch agieren, ist strikt zurückzuweisen“, sagt Fraktionschefin Maurer und kritisiert den Versuch der ÖVP, „die Glaubwürdigkeit der Judikative und damit einer zentralen Säule unserer Demokratie zu beschädigen“. Maurer forderte die Kanzlerpartei auf, „ihre unsouveränen Attacken einzustellen und zu einem seriösen und verantwortlichen Umgang mit der Justiz zurückzukehren“.

Die SPÖ sieht die Kanzler-Partei jedenfalls bereits auf „Orban-Kurs“. „Die ÖVP ist im Panikmodus und agiert immer autoritärer“, meint SPÖ-Bundesgeschäftsführer Christian Deutsch. Die Präsidentin der Richtervereinigung, Sabine Matejka, sieht Österreich zwar noch nicht dort, wohin Viktor Orban Ungarn geführt hat, aber: „Auch in Ungarn und Polen hat es mit kleineren Eingriffen in den Rechtsstaat angefangen, die sich dann summiert haben, und dann sind die Hemmungen gefallen.“ Sollten die Hemmschwellen bei der ÖVP weiter sinken, werden die nicht nur für eine saubere Umwelt, sondern auch eine saubere Politik angetretenen Grünen noch so manchen Glaubwürdigkeitstest zu bestehen haben.