Europäisches ParlamentÖstliche Nachbarn bereiten Sorgen: Debatten über Belarus und den Fall Nawalny

Europäisches Parlament / Östliche Nachbarn bereiten Sorgen: Debatten über Belarus und den Fall Nawalny
Menschen protestieren vor dem Europäischen Parlament in Brüssel in Solidarität mit der belarussischen Bevölkerung gegen deren autoritären Staatschef Lukaschenko Foto: AP/dpa/Francisco Seco

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Die östlichen Nachbarn der Europäischen Union bieten seit geraumer Zeit wieder Anlass zur Sorge: Zum einen ist da eine weißrussische Bevölkerung, die offensichtliche Wahlfälschungen ihres Präsidenten nicht mehr hinnehmen will und deshalb seit Wochen in friedlichen Protesten dessen Rücktritt und Neuwahlen fordert. Zum anderen wurde in Russland mit Alexej Nawalny wieder ein Oppositioneller und Kritiker der russischen Staatsführung Opfer eines Mordanschlags. Gestern diskutierte das Europäische Parlament über die beiden Fälle.

Die EU-Parlamentarier sind sich weitgehend einig in ihren Analysen was die Geschehnisse in Belarus und in Russland anbelangt. Nur an den rechten und linken politischen Rändern finden sich Abgeordnete, die von dieser weitgehend gemeinsamen Sichtweise abweichen. Zwischen diesen herrscht allerdings wiederum eine gewisse Einigkeit.

Einig sind sich jedoch alle, dass die Gewalt gegen die Demonstranten in Weißrussland aufhören muss. Sie bewundere zutiefst die Demonstranten in Belarus, sagte die luxemburgische EU-Parlamentarierin Isabel Wiseler-Lima. „Wie viel Mut müssen diese Menschen haben“ angesichts der Gewalt gegen sie, meinte seinerseits der Vorsitzende der liberalen Fraktion, Dacian Ciolos. Vielfach wurde daher die Forderung erhoben, die Bevölkerung in Belarus zu unterstützen, ohne jedoch konkret zu erklären wie. Immerhin hat die Vorsitzende der sozialdemokratischen Fraktion, Iratxe Garcia Pérez, die drei Hauptprotagonistinnen des demokratischen Aufbegehrens, Maria Kolesnikowa, Swetlana Tichanowskaya und Veronika Zepkalo, bereits als Kandidatinnen für den diesjährigen Sacharow-Preis vorgeschlagen. „Diese Revolution ist weiblich“, meinte denn auch Viola von Cramon-Taubadel von den Grünen, die wie andere auch den Mut der Frauen bei den seit dem 9. August andauernden Protesten unter anderem in Minsk würdigte.

In einer noch auszuarbeitenden Resolution werden sich die EP-Abgeordneten für die Freilassung der inhaftierten Demonstranten, ein Ende der Gewalt, eine friedliche Beilegung des Konflikts im Dialog sowie Neuwahlen aussprechen. Es dürfte auch die Forderung nach Sanktionen gegen all jene erhoben werden, die an der Wahlfälschung sowie der Gewalt und Repression gegen die Demonstranten beteiligt waren.

Nicht wenige EP-Abgeordneten befürchten, dass der russische Präsident Wladimir Putin in Belarus eingreifen könnte. „Die EU hat in diesem Konflikt keine eigenen geopolitischen Ziele verfolgt“, meinte der Grünen-Abgeordnete Reinhard Bütikofer. Russland aber habe „längst angefangen, die Gewichte zu verschieben“. „Das ist keine geopolitische Revolution“, es sei eine demokratische Revolution, dem müsse auch Russland beipflichten, sagte ihrerseits Isabel Wiseler-Lima. „Lukaschenko wäre nicht an der Macht, wenn Russland ihn nicht mittragen würde“, stellte der ehemalige estnische Außenminister und liberale EP-Abgeordnete Urmas Paet fest, der meinte, dass Veränderungen von den Weißrussen selbst ausgehen müssten.

Wenig Zweifel über Mordversuch

Er sei mit der „vorsichtigen Herangehensweise“ der EU an den Konflikt in Belarus einverstanden, sagte der luxemburgische EP-Abgeordnete Charles Goerens. Dennoch sollte die EU Entschlossenheit zeigen, wenn es um die Einhaltung von Abkommen und Vereinbarungen gehe, die auch Belarus unterzeichnet habe. Zudem empfahl Goerens, die EU sollte die OSZE einschalten und damit unter Beweis stellen, dass sie unter Anwendung des Rechts und nicht der Gewalt den Konflikt in Belarus lösen wolle.

Wenig Zweifel haben die meisten EP-Abgeordneten daran, dass der „Mordversuch“ auf den Kreml-Kritiker Alexej Nawalny, wie der Hohe Vertreter Josep Borrell es nannte, auf die russische Staatsführung zurückzuführen ist. „Es gibt wenig Zweifel, wer dafür, wenn nicht strafrechtlich, politisch verantwortlich ist: der Herr im Kreml“, sagte der Redner der EVP, Michael Gahler. Und auch die Rednerin der Sozialdemokraten meinte: „Wir müssen nun nicht lange herumraten, wer verantwortlich ist“, nachdem festgestellt worden sei, dass das verwendete Gift beim Anschlag auf Nawalny aus militärischen Beständen stamme.

Vielfach wurde gefordert, dass als Reaktion auf den Giftanschlag das vor allem von Deutschland vorangetriebene Gas-Pipeline-Projekt Nord Stream 2 zumindest ausgesetzt wird. Zudem wurden unabhängige Untersuchungen des Vorfalls gefordert. Dafür ist auch Thierry Mariani von der rechtspopulistischen Fraktion Identität und Demokratie. Der Franzose wies allerdings darauf hin, dass Russland die internationale Konvention über chemische Waffen unterschrieben habe und das bei Nawalny verwendet Gift laut dieser Konvention verboten sei. Und Idoia Villanueva Ruiz von der Linken-Fraktion erklärte, es dürfe nicht zu einer Instrumentalisierung der Menschenrechte im Fall Nawalny kommen. Schließlich seien die Menschenrechte auch in der EU gefährdet, so die Spanierin.