Konfliktpotenzial im Vielvölkerstaat / Nordmazedonien versucht nach fast zwei Jahrzehnten wieder eine Volkszählung

Regen und Masken in Skopje: Ob die Zählanstrengungen Früchte tragen, ist ungewiss
Erstmals seit 2002 soll im Vielvölkerstaat Nordmazedonien wieder eine Volkszählung steigen. Doch Boykottaufrufe und ethnischer Streit überschatten die Vorbereitungen für den im April geplanten Zensus.
Eindringlich ermahnt Nordmazedoniens Regierungschef Zoran Zaev seine Landsleute zur Erfüllung ihrer Bürgerpflicht. Die im April geplante Volkszählung sei eine „statistische Operation, die wir tun müssen, es ist unsere Pflicht“, so der Chef der sozialdemokratischen Regierungspartei SDSM. Seine Partei habe bereits 100.000 Unterschriften gegen den Zensus gesammelt, kündet hingegen Gjorgjija Sajkoski, der Generalsekretär der oppositionellen Rechtspartei VMRO-DPMNE einen Boykott an: „Die Bürger wollen keine politische Volkszählung.“
Vom 1. bis 21. April sollen 6.000 Zähler ausschwärmen, um die Seelen zu zählen. Häftlinge und Obdachlose werden schon seit dem 1. März gezählt und auch in der Diaspora können sich ausgewanderte Landsleute bereits per Mail erfassen lassen. Doch ob die Zählanstrengungen Früchte tragen, ist ungewiss: Findet der Boykott breiteren Anklang, ist nur ein verzerrtes Ergebnis sicher.
Schrumpfende Bevölkerung im Vielvölkerstaat
Die Frage, wie viele Seelen die schrumpfende Bevölkerung des Vielvölkerstaats noch zählt, treibt Skopje schon lange um. 2002 stieg zum letzten Mal eine Volkszählung. Von den damals 2,02 Millionen erfassten Bewohnern waren 64 Prozent ethnische Mazedonier und 25 Prozent ethnische Albaner. Der Rest entfiel auf andere Minderheiten wie Türken, Roma, Vlachen oder Serben.
Fast zwei Jahrzehnte später wird die Bevölkerung wegen der Emigration und sinkender Geburtenraten auf nur noch 1,6 bis 1,8 Millionen Menschen geschätzt. Doch genau weiß niemand, für wie viele Mazedonier in Zukunft noch Krankenhäuser, Straßen oder Schulen zu planen sind. Denn ethnische und politische Spannungen hatten einen neuen Zensus stets verhindert: 2011 wurde der letzte Zählversuch nach zehn Tagen vorzeitig abgebrochen.
Rechtsnationale Kräfte argwöhnen auch dieses Mal, dass mit dem Zensus der Anteil der Albaner auf über 30 Prozent gehievt werden solle, um der Minderheit zu mehr Gewicht zu verhelfen. Politiker der mit regierenden Albaner-Partei DUI wiederum haben bereits angedroht, das Ergebnis nicht anerkennen zu wollen, falls der Albaner-Anteil unter die 20-Prozent-Hürde gedrückt werde. Denn diese sichert Albanisch den Status als zweite offizielle Amtssprache zu.
Die Emigration trifft alle: Allzu große Verschiebungen dürften im Verhältnis zwischen Mehr- und Minderheiten kaum zu erwarten sein. Verfassungsrechtler betonen zwar, dass der Zensus keine politischen Auswirkungen haben könne, da für jede Änderung der Verfassung eine Zweidrittelmehrheit nötig sei. Aber dennoch ist der Streit um den Zensus politisch motiviert: Jede Seite verdächtig die andere, das Zählen der Seelen zu ihren eigenen Gunsten nutzen zu wollen.
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