Nordirland / Nicht rückwärtsgewandt genug: Ministerpräsidentin Arlene Foster tritt zurück

Zu Fosters Sturz trug bei, dass sie sich vergangene Woche im Belfaster Regionalparlament enthielt, als es um das Verbot der Konversionstherapie, also der angeblich möglichen Umorientierung von Homosexuellen, ging
Der Rücktritt von Ministerpräsidentin Arlene Foster wirft ein Schlaglicht auf die schwere politische Krise Nordirlands. Der Brexit ist zwar Hauptursache – aber bei weitem nicht die einzige.
Eindeutiger hätte die Geste kaum ausfallen können. Kaum sickerte am Mittwoch in Belfast durch, die nordirische Ministerpräsidentin Arlene Foster werde nach gut fünf Amtsjahren ihren Rücktritt ankündigen, signalisierte der Favorit auf Fosters Nachfolge in Partei- und Staatsamt schon einen Kurswechsel: Kurzfristig sagte Umwelt- und Agrarminister Edwin Poots ein lange vereinbartes Treffen mit seinem südirischen Pendant ab. Denn auf der Tagesordnung standen unter anderem praktische Probleme des britischen EU-Austritts; dieser stellt die Hauptursache für das vorzeitige Aus der 50-jährigen Vorsitzenden der protestantisch-unionistischen DUP dar.
Der schwarze Schatten des Brexit lastet schwer auf dem britischen Nordosten der Grünen Insel, deren Abtrennung vom Rest des Landes sich am Montag zum 100. Mal jährt. Seit Neujahr, als das Vereinigte Königreich endgültig Binnenmarkt und Zollunion der Brüsseler Gemeinschaft verließ, gilt für Nordirland eine Ausnahmeregel. Dieses Protokoll im EU-Austrittsvertrag hält die vielerorts kaum noch existente Landgrenze auf der Grünen Insel offen und garantiert den Verbleib von ganz Irland im europäischen Binnenmarkt. Dadurch entstand aber die Notwendigkeit begrenzter Zoll- und Warenkontrollen zwischen der einstigen Bürgerkriegsprovinz und der britischen Hauptinsel – eine Notwendigkeit, die von Premierminister Boris Johnsons Regierung gern geleugnet oder als irrelevant heruntergespielt wird.
Leere Regale in Supermärkten
Die Realität sieht anders aus. Die Regale führender Supermärkte blieben in den vergangenen Monaten immer wieder leer, weil wegen zeitraubender Kontrollen der Nachschub fehlte. Die Brexit-Regierung macht dafür Brüsseler Starrsinn verantwortlich; die EU-Kommission hat zusätzlich für Empörung gesorgt, weil sie Ende Januar im Impfstreit mit AstraZeneca kurzzeitig die Schließung der Landgrenze in Aussicht stellte. Im Gegenzug hat London einseitig die Übergangsfristen für Zoll- und Veterinärkontrollen verlängert, wogegen Brüssel gerichtlich vorgeht.
Dublin bedauere jegliche Beeinträchtigung der nordirischen Wirtschaft, beteuerte der irische Vizepremier Leo Varadkar kürzlich auf einer Veranstaltung der Konrad-Adenauer-Stiftung mit dem irischen European Movement. Die Schuld an den neuen Handelshindernissen liege aber woanders: „Wir wollten sie nicht, deshalb waren wir gegen den Brexit und gegen Großbritanniens Austritt aus dem Binnenmarkt.“
Auf ebenso einfache wie brutale Weise umschrieb Varadkar damit das Dilemma der nach London orientierten Protestanten. Die DUP positionierte sich als einzige größere politische Kraft Nordirlands vor fünf Jahren für den Brexit. Hingegen stimmten die Nordiren mit 56:44 Prozent für den Verbleib in der EU. Kein Wunder, dass die nun auftretenden Probleme selbst von der eigenen Klientel der Protestantenpartei zugerechnet werden.
Traurigerweise ist es für alle Frauen im öffentlichen Leben dasselbe. Ich möchte trotzdem dazu ermutigen, weiterzumachen und sich nicht vom Online-Lynchmob unterkriegen zu lassen.Die 50-Jährige hatte 2015 als erste Frau die Führung ihrer Partei und später das Regierungsamt übernommen
Zumal deren Unterhaus-Abgeordnete alle Kompromissideen von Johnsons Vorgängerin Theresa May torpedierten, darunter auch eine Lösung, die dem heutigen Protokoll annähernd gleichkommt. Der einst vom DUP-Parteitag gefeierte Brexit-Vormann Johnson versprach den Unionisten mehr Härte gegenüber Brüssel, unterzeichnete aber den nun geltenden Vertrag.
London müsse „öffentlich akzeptieren, dass Nordirland anders behandelt werden muss als der Rest des Vereinigten Königreiches“, fordert Mays einstiger Vizepremier David Lidington. Was der konservative Altpolitiker von Premier Johnson verlangt, gilt freilich auch für Fosters Nachfolger (von einer Nachfolgerin ist Partei-intern nicht die Rede), der bis Ende Mai feststehen soll: Ein Eingeständnis der politischen und gesellschaftlichen Realität wäre überfällig.
Favorit auf die Nachfolge leugnet die Evolution
Ob man dies von Poots erwarten kann? Das Mitglied einer protestantischen Sekte leugnet die Evolution und setzt Schwule gleich mit Menschen, die „gefährlichen“ Sex haben. Diese Meinungen sind in der DUP weitverbreitet: Zu Fosters Sturz trug bei, dass sie sich vergangene Woche im Belfaster Regionalparlament enthielt, als es um das Verbot der Konversionstherapie, also der angeblich möglichen Umorientierung von Homosexuellen, ging. Poots stimmte gegen das Verbot.
Schon tönt die Ko-Leiterin der Belfaster Allparteienregierung, Michelle O’Neill, mit ihr seien „rückwärtsgewandte Ideen“ nicht umzusetzen. Das ist deshalb wichtig, weil jeder DUP-Kandidat aufs Amt des Regierungschefs dem Karfreitagsabkommen von 1998 zufolge die Unterstützung der katholisch-republikanischen Sinn Féin braucht, als deren Regionalvorsitzende O’Neill amtiert.
Freilich ist die Rückwärtsgewandtheit nicht auf eine Seite des politischen und religiösen Spektrums beschränkt. O’Neill und ihre Parteivorsitzende Mary Lou McDonald nahmen vergangenen Sommer mit rund 2.000 anderen am Begräbnis des notorischen IRA-Terroristen Robert „Bobby“ Storey teil – und das zu einer Zeit, als die Covid-Vorschriften Beerdigungen auf 30 Trauernde beschränkten. Das Ermittlungsverfahren gegen die Parteiführung, deren enge Verbundenheit mit der irisch-republikanischen Terrortruppe demokratiepolitisch heikel bleibt, wurde zu Monatsbeginn sang- und klanglos beerdigt, was bis weit in die bürgerliche Gesellschaft hinein für Erbitterung sorgte – ein weiterer Nagel im Sarg von Arlene Fosters unglücklicher Amtszeit.
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