Wikileaks-GründerNeue Runde im Auslieferungsverfahren gegen Julian Assange: USA fordern von Großbritannien Überstellung

Wikileaks-Gründer / Neue Runde im Auslieferungsverfahren gegen Julian Assange: USA fordern von Großbritannien Überstellung
Julian Assange unterwegs zum Gericht im Jahr 2019 – wie es mit dem Wikileaks-Gründer weitergeht, bleibt weiter offen Foto: AFP/Daniel Leal-Olivas

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Wikileaks-Gründer Julian Assange steckt weiter im Kampf gegen die Justiz auf beiden Seiten des Atlantiks. Eine Auslieferung „würde er nicht überleben“, sagt seine Lebensgefährtin.

„Freiheit für Julian Assange“, fordert der Chefredakteur der Enthüllungsplattform Wikileaks, Kristinn Hrafnsson. „Geben Sie das Ausliefertional (AI) an die Regierungen der USA und Großbritanniens.“ Eine Überstellung aus dem Londoner Gefängnis Belmarsh nach Amerika „würde Julian nicht überleben“, fürchtet seine Lebenspartnerin und Mutter zweier gemeinsamer Kinder, Stella Moris. Für Assanges Freilassung spricht sich auch eine der beiden Schwedinnen aus, deren Beschwerde über das Verhalten des Wikileaks-Gründers vor elf Jahren den Stein ins Rollen brachte.

Unbeirrt von derlei Appellen beginnt an diesem Mittwoch vor dem Londoner High Court die nächste Runde im Kampf des Wikileaks-Gründers gegen die Justiz auf beiden Seiten des Atlantiks. Die mündliche Berufungsverhandlung ist auf zwei Tage anberaumt, die Entscheidung dürfte frühestens im Advent fallen.

Mit Verweis auf die harschen Haftbedingungen in US-Gefängnissen sowie auf Assanges fragilen körperlichen und psychischen Gesundheitszustand hatte das Bezirksgericht im Januar die Auslieferung verweigert: Die Sicherheit des depressiven und suizidgefährdeten Aktivisten sei jenseits des Atlantiks nicht gewährleistet. Dagegen legten Vertreter der damaligen Administration von Präsident Donald Trump sofort Berufung ein.

USA auch unter Biden unerbittlich

Am unerbittlichen Vorgehen gegen den 50-Jährigen hat auch der Regierungswechsel in Washington nichts geändert: Dort gilt Wikileaks als „feindseliger nicht-staatlicher Geheimdienst“. Weniger melodramatisch drückte es die Entscheidung des Bezirksgerichts aus: Assange sei über die normale, von der US-Verfassung und der Europäischen Menschenrechtskonvention geschützte Tätigkeit eines investigativen Journalisten hinausgegangen: „Es geht hier nicht um das Recht auf freie Meinungsäußerung.“

Die Enthüllungsplattform hatte 2010 und 2011, teilweise in Zusammenarbeit mit renommierten Medien wie New York Times, Guardian und Spiegel, US-Geheimdokumente veröffentlicht. Durch die Veröffentlichungen kamen schwere Kriegsverbrechen amerikanischer Soldaten in Afghanistan und Irak ans Licht; viele Delikte bleiben bis heute ungeahndet. Inzwischen haben sich viele der Medien, die ursprünglich intensiv und vertrauensvoll mit Assange zusammengearbeitet hatten, von seinen Methoden distanziert.

Der Australier soll die später wegen Geheimnisverrats verurteilte Soldatin Chelsea Manning zum Kopieren der 250.000 diplomatischen Depeschen angestiftet haben, Wikileaks bestreitet dies. Dem 50-Jährigen drohen in den USA wegen Computer-Hackings und Spionage bis zu 175 Jahre Freiheitsstrafe; realistischer, so die US-Regierungsvertreter, sei eine Zeitspanne von vier bis sieben Jahren.

Assange hatte sich im Juni 2012 der vom britischen Supreme Court angeordneten Auslieferung nach Schweden wegen angeblicher Sexualdelikte entzogen, indem er in der Londoner Botschaft von Ecuador um Asyl bat. Knapp sieben Jahre später konnte Scotland Yard ihn in der Botschaft festnehmen, anschließend verbüßte er eine knapp einjährige Haftstrafe wegen seines Verstoßes gegen die Kautionsauflagen. Inzwischen sitzt er seit zweieinhalb Jahren im Gefängnis Belmarsh im Osten von London.

Für den High Court geht es, unabhängig vom Ausgang des Verfahrens, auch um die Wiederherstellung des erheblich ramponierten Ansehens der britischen Justiz. Im erstinstanzlichen Verfahren wurde Medien, Beobachtern und der Öffentlichkeit der Zugang zu den Verhandlungen erschwert oder unmöglich gemacht. Die Restriktionen gingen weit über die allenfalls nachvollziehbare Vorsicht wegen der Corona-Pandemie hinaus. So schloss Bezirksrichterin Vanessa Baraitser unter fadenscheinigem Vorwand – angeblich waren interne Gerichtsdokumente in der Öffentlichkeit gelandet – renommierte Menschenrechtsorganisationen wie Amnesty International und Human Rights Watch vom Verfahren aus.

Solche Schwierigkeiten habe ich bei keinem anderen Verfahren erlebt

Rebecca Vincent von der Nicht-Regierungsorganisation „Reporter ohne Grenzen“

Andere Beobachter mussten stundenlang im Morgengrauen anstehen, um Zugang zum Gerichtssaal zu erhalten. „Solche Schwierigkeiten habe ich bei keinem anderen Verfahren erlebt“, berichtete Rebecca Vincent von der Nicht-Regierungsorganisation „Reporter ohne Grenzen“ zu Wochenbeginn auf einer Veranstaltung der Londoner Foreign Press Association (FPA).

Als Grund für die unerbittliche Verfolgung des an Asperger-Syndrom, einer Erkrankung des autistischen Spektrums, leidenden Australiers vermuten Aktivisten ein „Rachekomplott“ der USA nach der Aufdeckung schwerer US-Kriegsverbrechen. Zusätzlich habe Wikileaks den Auslandsgeheimdienst der USA gegen sich aufgebracht, weil es von März 2017 an „Vault 7“ veröffentlichte. Die internen CIA-Dokumente belegen die umfassende Überwachung von Telefonen und Computern weltweit.

Daraufhin habe der damalige CIA-Direktor Mike Pompeo über eine Entführung, ja sogar den Mord an Assange räsoniert, berichtete kürzlich die Internet-Plattform Yahoo. Angeblich sei der später als Trumps Außenminister bekannt gewordene Jurist mit solchen Plänen auf entschiedenen Widerstand seiner Fachkollegen im Weißen Haus gestoßen.

In Spanien laufen Ermittlungen gegen den Chef der Sicherheitsfirma Undercover Global. David Morales soll nicht nur die Sicherheit des prominenten Asylanten in der Londoner Botschaft Ecuadors garantiert haben; offenbar lieferte er Erkenntnisse aus der Überwachung auch an die CIA weiter. Der Fall genießt höchste internationale Aufmerksamkeit. Immer wieder haben sich Parlamentarier aus Assanges Heimat Australien, aus Großbritannien sowie befreundeten Staaten für ihn eingesetzt.