NATO am Scheideweg?

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Ein Standpunkt von Dan Kersch und Sacha Pulli*

„Den Weltfrieden und die internationale Sicherheit zu wahren“, ist laut Artikel 1 der Charta der Vereinten Nationen eines der Hauptziele der Weltorganisation. Würde die UNO ausschließlich an ihrem ersten Artikel bemessen, müsste man sie wohl als Totalausfall bezeichnen. So hat zum Beispiel das Heidelberger Institut für Internationale Konfliktforschung weltweit 20 Kriege und 385 Konflikte im Jahre 2017 gezählt.

Aber auch das Versagen der sogenannten westlichen Außenpolitik ist augenfällig. Die Europäische Union spricht trotz einer gemeinsamen Außenbeauftragten immer öfters mit gespaltener Zunge. Die NATO, einst gepriesen als Verteidigerin der westlichen Werte, verstrickt sich zunehmend in ihre eigenen Widersprüche.

Die US-amerikanischen Alleingänge haben den Nahen Osten nicht sicherer gemacht, sondern ins totale Chaos gestürzt. In Syrien sind seit dem Beginn des Bürgerkriegs Hunderttausende Menschen ums Leben gekommen, Millionen – darunter die Hälfte Kinder – befinden sich auf der Flucht. In Libyen unterstützt die EU eine von kriminellen Milizen getragene, instabile Regierung, die in Internierungslagern gefangene Flüchtlinge in sklavenähnliche Abhängigkeiten stürzt und Menschenrechtsverletzungen zur Normalität erklärt. Die EU zahlt mit der Flüchtlingskrise eine Zeche, die nicht sie, sondern hauptsächlich die USA und Brexit-Kollege Großbritannien verursacht haben. Aber auch andere große europäische Nationen verdienen am Krieg. So zum Beispiel die Bundesrepublik Deutschland, die so gerne die Moral-Keule schwingt, um andere Länder, darunter Luxemburg, in die Schranken zu weisen. Deutschland schickt weiter Kriegsmaterial in die Krisengebiete, trotz Grundgesetz und neuer Regierung.

Gründungsmitglied Luxemburg

Am 5. April 1949 unterschrieb Luxemburg gemeinsam mit elf weiteren Ländern den Nordatlantikpakt. Der damalige luxemburgische Außenminister Joseph Bech meinte, dass Luxemburg sich damit „der mächtigsten Demokratie der Welt anschließe“ und der Pakt „den gewaltigsten und friedlichsten aller Machtverbände“ darstelle. In der Zwischenzeit ist die Anzahl der Mitglieder auf 29 gewachsen, demokratischer und sicherer aber ist die Welt dadurch nicht geworden.

Die ersten Jahrzehnte nach der Gründung der NATO waren geprägt vom Beginn des Kalten Krieges. Die Sowjetunion gründete mit den europäischen Ländern ihres Einflussgebietes am 14. Mai 1955 den Warschauer Pakt, mit entgegengesetzten Ansichten und Interessen. Immer wieder kam es zu indirekten Auseinandersetzungen zwischen den beiden Großmächten, mit Stellvertreterkriegen und Hunderttausenden von Toten.

Im Westen wurde die Politik der NATO nicht immer nur einfach so akzeptiert. Die europäische Friedensbewegung widersetzte sich offen gegen atomare Aufrüstung im Kader des

sogenannten Doppelbeschlusses. In ihr engagierten sich Menschen aller sozialen Schichten und aller Altersgruppen, von unterschiedlichsten politischen und religiösen Überzeugungen. Inwiefern die Friedensbewegung, die auch Sympathien in den früheren Ostblockstaaten hatte, erfolgreich war, ist heute schwer zu beurteilen. Mit dem Zusammenbruch der Sowjetunion und dem Ende der bipolaren Welt verknüpften die Menschen jedenfalls große Hoffnung auf eine friedliche Welt. Doch der Elan der Friedensbewegung ließ gleichzeitig nach. Ein Trugschluss, ein zwar erklärbarer und nachvollziehbarer, aber ein schwerer Fehler, wie sich heute zeigt.

So verständlich der Wunsch der früheren Ostblockstaaten war, nach dem Ende des Warschauer Pakts ihre Sicherheit gegenüber einem großen unbekannten – Russland – innerhalb eines großen Militärbündnisses zu gewährleisten, so deutlich wurde aber auch, dass die kontinuierliche Ost-Erweiterung der NATO nach dem Ende des Kalten Krieges nicht dazu beigetragen hat, die Situation in Europa auf lange Sicht zu stabilisieren. Das Gegenteil ist der Fall, wie nicht zuletzt die Ukraine-Krise und die daraus resultierende russische Annexion der Krim beweisen.

Was von den einen als legitimer Akt der Selbstbestimmung und der Selbstverteidigung angesehen wird, wird von der anderen Seite als Bedrohung und Verletzung von politischen Abmachungen nach dem Fall der Mauer eingestuft. Eine nur auf den ersten Blick lustig erscheinende Karikatur mit der Überschrift: „Es ist unannehmbar, wie nahe Russland mit seinem Territorium an NATO-Stützpunkte heranrückt“, verdeutlicht dieses strategische Dilemma in seiner ganzen Brisanz.

Der offensichtliche Interessenkonflikt wird zusätzlich angeheizt, weil sowohl innerhalb des NATO-Bündnisses (Trump, Erdogan) als auch außerhalb der NATO (Putin, Kim Jong-un) ausgewiesene Egomane das politische Weltgeschehen dominieren. Sie ziehen ohne Zögern die Karte des Nationalismus, um ihre innenpolitischen Probleme zu verheimlichen und ihre internationalen Interessen ohne Rücksicht durchzusetzen. Vor allem am Beispiel Türkei, die seit 1952 Mitglied der NATO ist, zeigt sich, dass die NATO-Mitgliedschaft viel weniger mit Werten als mit knallharter Geo-Politik zu tun hat. Dies ist insofern auch eine Selbstverständlichkeit, weil Militärbündnisse immer auch Machtinstrumente sind und als solche genutzt werden. Eine reine „Friedensbewegung“, wie sie 2015 der ehemalige Generalsekretär Anders Fogh Rasmussen beschrieb, war die NATO jedenfalls nie.

Die Geschichte wird zeigen, dass die Frage, welche derzeit in der internationalen Presse von sogenannten Russlandverstehern und sogenannten Russlandhassern diskutiert wird, um zu klären, wer am Ursprung der Provokationen steht, von sekundärer Bedeutung ist, ja vom eigentlichen Problem ablenkt. Viel wichtiger wird es sein, weitere Provokationen und Eskalationen zu verhindern. Um dies zu erreichen, bedarf es neuer, friedensfördernder Konzepte. Und angesichts der Konzeptlosigkeit und der derzeitigen politischen Schockstarre im Bewusstsein des eigenen Zustands „unseres“ Militärbündnisses muss auch die Frage beantwortet werden, welche politischen Kräfte imstande sein werden, diese Konzepte zu entwickeln und auch durchzusetzen. Mit Sicherheit werden es nicht ausschließlich Militärs sein. Die „friedliche Koexistenz“, die „strukturelle Nichtangriffsfähigkeit“ waren jedenfalls Begriffe, die innerhalb der Friedensbewegung entwickelt wurden und heute leider wieder ihre Bedeutung erlangen. Man wird sie durch weitere Ideen der globalen Weltgestaltung, der gemeinsamen Bekämpfung der weltumspannenden Probleme sowie einer chancengerechteren Weltwirtschaftsordnung ergänzen müssen.

Die bisher größte politische Krise

Die NATO steht am Tag ihres 69. Jahrestages vor einer politischen Krise, wie sie sie in dieser Form noch nicht gekannt hat. In Syrien stehen sich die strategischen Interessen der USA und der Türkei diametral gegenüber, diesmal allerdings nicht nur ideell, sondern militärisch mit ihren Armeen (auch wenn Trump einen Abzug seiner Truppen angekündigt hat). Weitere Bündnispartner sind in den Konflikt verwickelt, wie etwa Frankreich, das seine prinzipielle Unterstützung der Kurden angedeutet hat. Dagegen versucht die Türkei offensichtlich, die Gunst der Stunde zu nutzen, um ihr „Kurdenproblem“ zu lösen, ethnische Säuberungen voranzutreiben und sich eventuell sogar syrische Gebiete einzuverleiben. Der Palästina-Israel-Konflikt zeigt, wie wenig nachhaltig solche „Lösungen“ nach dem Gesetz des Stärkeren sind und wie unmittelbar sie den Weltfrieden langfristig gefährden. Falls die NATO sich nicht dazu durchringen kann, die von ihr verbal immer wieder ins Rampenlicht gerückten humanistischen Werte auch in dieser Frage von höchster politischer Brisanz in den Vordergrund ihres Handelns zu rücken, wird sie nicht nur in der afrikanisch-arabischen Welt weiter an Glaubwürdigkeit verlieren, sondern auch bei den Bürgerinnen und Bürgern ihrer eigenen Mitgliedsländer.

Für die politischen Verantwortlichen dieser Länder, welche sich weiterhin auch den demokratischen Prinzipien verpflichtet fühlen, bedeutet dies auch, die Möglichkeiten des EU-Vertrags zu nutzen und politische sowie militärische Verteidigungsdoktrinen außerhalb der NATO anzudenken. Dabei geht es nicht um militärische Aufrüstung, sondern um das der Friedensbewegung entsprungene Konzept der strukturellen Nichtangriffsfähigkeit, also einerseits des Aufbaus eines defensiven, militärischen Apparats, der über genügend Abschreckungspotenzial verfügt, um potenzielle Aggressoren abzuweisen, und andererseits die Weitertreibung umfassender Abrüstungsinitiativen, die weder die eigene noch die Verteidigungsfähigkeit des potenziellen Gegners gefährden.

Es besteht kein Zweifel, dass dieses Konzept nicht dem pazifistischen Ideal einer militär- und waffenfreien Welt entspricht und das grundlegende Problem des militärisch-industriellen Komplexes und der Durchsetzung einseitiger Interessen mit militärischen Mitteln nicht endgültig lösen kann. Angesichts der Vervielfältigung internationaler Konflikte, der Kompliziertheit der Verhältnisse und der Verstrickungen der Hauptakteure erscheint es uns aber als konkrete Alternative zum aktuellen „Laisser-faire“ der internationalen Politik mit wachsenden Spannungen und immer höheren Konfliktpotenzial.

* Dan Kersch ist aktueller Innenminister Luxemburgs und LSAP-Kandidat bei den anstehenden Parlamentswahlen
* Sacha Pulli ist angehender Geschichtslehrer und LSAP-Kandidat bei den anstehenden Parlamentswahlen 

Scholnier
6. April 2018 - 15.02

@Horst: Miltärische Aufrüstung ist nicht zu rechtfertigen, ob in Ost oder West. Allerdings heben wir Westler den Stinkefinger nicht zu hoch, hat doch gerade ein Nato Partner, die elementarsten Menschenrechte mit Füßen getreten, seinen Nachbarn agressiert. Zur Erinnerung, die Nato wurde als reines Verteidigungsbündnis gegründet, stillschweigend duldet man den Angriffskrieg des Nato Partner Türkei gegen die Kurden, unterstützt das blutige Vorgehen noch mit Waffen.

H.Horst
6. April 2018 - 10.05

"...was allerdings ihrer Bevölkerung als absolut notwendige Maßnahme zum Schutz vor möglichen Übeltäter, gemeint ist Putin, verkauft wird." Erklären sie bitte wie sie dazu stehen, dass Schweden und Finnland, beides Staaten die wohl kaum als Kriegshetzer bekannt sind, die Wehrpflicht wieder eingeführt haben, bzw. die Reservearmee deutlich vergrößert haben. Diese Lichtgestalten der Blockfreiheit trauen offensichtlich Putin-Russland nicht. Der tiefere Hintergrund dürfte in einerm Menschen- und Gesellschaftsbild liegen, welches dem Russlands diametral entgegensteht. Putin hat zum ersten mal Staatsgrenzen seit dem 2.WK mit Gewalt verändert und erklärt sich mit accord des orthodoxen Klerus zur Schutzmacht ethnischer Russen. Wenn Staatsgrenzen dem entgegenstehen werden sie beseitigt. Das "Sammeln Russischer Erden" und "Heim ins Reich" sind dieselbe ethno-nationalistische Expansionspolitik. Dieses Verhalten rechtfertigt Misstrauen und ausreichende Rüstung.

Scholnier
6. April 2018 - 9.52

@Monavisa: Et muss een och geint den Stroum schwammen, fir seng Idealer ze verteidegen.

H.Horst
6. April 2018 - 9.51

Ein europäisches Bündnis ? Mit wem, bitte ? Die Gesamt-EU hat bis dato keine gemeinsame Aussenpolitik definiert ohne die eine gemeinsame Sicherheitspolitik nicht funktioniert. Man ist sich schlicht nicht einig darüber wann, wie und wo Militär eingesetzt werden kann, muss und soll. Andere Frage. Wer soll dieses Militär führen ? Schon hier geht das historiengeschwängerte Geschrei los wenn luxemburgische Soldaten in Litauen unter deutscher Führung ihre Mission abarbeiten. Deutschland kann derzeit als einziger europäischer Staat ein teures Militär bezahlen. Besser sollte man "könnte" schreiben. Stellen sie sich den Aufschrei der Gerechten vor wenn D wieder stärkste europäische Militärmacht wäre. Die NATO unter US-Führung ist u. bleibt alternativlos weil die Europäer uneinig sind und bleiben, d.h. ein Papiertiger.

Koneczny
5. April 2018 - 21.08

Ech wees net firwaat den Artikel gudd ass.... Déi ganz Weltgeschicht besteet dach nëmmen aus dem ausspillen an ausgespillt ginn vum Féind a Frenn. Ugefaang béi den Ägypter, iwert d'Griechen bis bei d'Réimer an wéider iwert d'Franken zu den heitegen Natiounen.

Koneczny
5. April 2018 - 20.58

Déi Damm huet vläit de falsche Brëll op... :-)

Scholnier
5. April 2018 - 18.12

@freak68 : Ein Minister der Mitglied im "Friddenskomitee" war, jetzt einer Regierung angehört die die höchsten Militärausgaben der letzten Jahrzehnte zu verbuchen hat, ist für mich unglaubig.Als ehemaliges Mitglied des "Friddenskomitee" ,der Friedensbewegung fühle ich mich durch solch eine Politik ehemaliger Weggefährten verarscht.

Guy L.
5. April 2018 - 18.11

Das Konzept NATO ist sowas von überlebt und sollte abgeschafft werden! Eine europäisches Bündnis ohne USA und Türkei wäre eine bessere Lösung

freak68
5. April 2018 - 17.48

All Respekt fir di zwee Sozien do !!! Géif et där nëmmen méi op der Welt ginn, dann hätte mer vill Problemer manner...

J.C. KEMP
5. April 2018 - 16.21

D'Manéier, wéi di Dame um Bild hier Waff am Grapp huet, ass s..geféierlech. Dat geht hierem Noper riicht an de Kapp.