ÖsterreichNach Legalisierung der Suizid-Beihilfe expandiert umstrittener Schweizer Verein

Österreich / Nach Legalisierung der Suizid-Beihilfe expandiert umstrittener Schweizer Verein
Österreichs Verfassungsgerichtshof kippte die Strafbarkeit der Beihilfe zum Selbstmord – die neue Regelung tritt zum 1. Januar 2022 in Kraft Foto: dpa/Georg Hochmuth

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Nachdem der österreichische Verfassungsgerichtshof vorigen Freitag das Verbot der Beihilfe zum Suizid gekippt hat, will ein Schweizer Verein sein einschlägiges Know-how exportieren. Die Mutter eines toten Klienten warnt.

Die Aufhebung des Verbotes der „Beihilfe zum Selbstmord“ durch den österreichischen Verfassungsgerichtshof stößt auf Ablehnung bei Kirchen und Ärztekammer, erfreut aber den Schweizer Sterbehilfeverein „Dignitas“, der die Verfassungsklage für drei Betroffene und einen Arzt initiiert hatte. Die seit 22 Jahren weltweit tätigen Selbstmord-Assistenten haben schon mehr als 3.000 Menschen beim Freitod begleitet, darunter auch einen Luxemburger. Österreicher, die sich diese für 200 Franken Einschreibgebühr, 80 Franken Jahresmitgliedsbeitrag und volle Kostenübernahme angebotene Dienstleistung sichern wollen, müssen bislang in die Schweiz reisen. In diesem Jahr haben das bereits vier getan, seit 1998 leistete „Dignitas“ insgesamt 68 Österreichern Suizidbeihilfe, bei der dem Todeskandidaten nach ärztlicher Beratung eine tödliche Dosis Natriumpentobarbital verschrieben wird.

Der Trip zur letzten Reise soll bald nicht mehr erforderlich sein. Denn die eidgenössischen Suizid-Helfer wollen direkt in Österreich aktiv werden. Aufgrund des bisher geltenden Verbots bestünden in Österreich keine Struktur und keine Erfahrung mit professioneller Suizidhilfe, so „Dignitas“ zum Tageblatt und verweist darauf, aufgrund 22 Jahre internationaler Tätigkeit „über entsprechende Kompetenz“ zu verfügen.

Der österreichische Gesetzgeber ist gut beraten, sich das Wirken des Schweizer Vereins genau anzuschauen. Denn das Höchstgericht hat der Politik auch Maßnahmen zur Verhinderung des Missbrauchs von Suizid-Beihilfe aufgetragen. Im Gegensatz zum Verein „Exit“, der seine Freitodbegleitung ausdrücklich nur Schweizer Staatsbürgern anbietet, ist „Dignitas“-Gründer Ludwig A. Minelli von geradezu missionarischem Eifer beseelt. Und er legt das Recht auf Selbstmord sehr weit aus. So hat er in der Schweiz erfolgreich dafür gekämpft, auch psychisch Kranken beim Eintritt ins Jenseits assistieren zu dürfen. Bis vor einigen Jahren drohte eidgenössischen Medizinern, die psychisch kranken Suizidwilligen eine tödliche Schlafmitteldosis verschreiben wollten, der Entzug der Approbation. Das ist längst nicht mehr der Fall.

Umstrittenes Testament

Davon „profitierte“ auch Rüdiger Struck. Der körperlich gesunde, aber depressive Kärntner beging am 25. März 2013 mit Hilfe von „Dignitas“ in Lachen am Zürichsee Suizid. Seine Mutter versteht das bis heute nicht. Sie sei von dem Verein nicht einmal über die Absicht ihres 34-jährigen Sohnes informiert worden, sagt Birgit Struck zum Tageblatt. Auch, dass ihr Sohn einen ersten Tötungstermin habe verstreichen lassen, habe offenbar keine Zweifel am Suizidwillen genährt. Die Kärntnerin ist überzeugt, dass Rüdiger von außen beeinflusst war, „sonst hätte er niemals Selbstmord begangen“. Ihr Sohn habe sogar kurz vor seinem Tod in der Schweiz ein Autohaus gegründet.

In dem Fall ging es auch um Geld, sehr viel Geld. Rüdiger Struck, dem sein verstorbener Vater, ein erfolgreicher deutscher Unternehmer, ein Millionenerbe hinterlassen hatte, setzte ein Jahr vor seinem Freitod testamentarisch zwei Vereine mit Nähe zu „Dignitas“-Chef Minelli als Haupterben ein. Der nach Rüdigers Tod folgende Erbschaftsstreit wurde mit einem Vergleich beigelegt, Birgit Struck erhebt somit keine Ansprüche mehr gegen das Umfeld Minellis, der beteuert, von dem Testament seines Klienten gar nichts gewusst zu haben. 2018 war der 87-Jährige von einem eidgenössischen Gericht in anderen strittigen Fällen freigesprochen worden. Die Staatsanwaltschaft hatte ihm Bereicherung an drei deutschen Frauen vorgeworfen, die er zum Suizid verleitet haben soll. Dass Minelli von seinem Verein im Jahr umgerechnet 112.000 Euro Honorar erhielt, fand das Gericht angemessen.

Birgit Struck befürchtet dennoch Probleme, „wenn solche Vereine bei der Beihilfe zum Selbstmord die Finger im Spiel haben“. Die Aussicht, dass „Dignitas“ nun aufgrund einer neuen gesetzlichen Basis direkt in Österreich aktiv werden will, erfüllt sie mit Entsetzen: „Mein Gott, oh nein, da läuft es mir ganz kalt über den Rücken!“