ÖsterreichMultikrise könnte die Wiederwahl von Bundespräsident Van der Bellen noch gefährden

Österreich / Multikrise könnte die Wiederwahl von Bundespräsident Van der Bellen noch gefährden
Der österreichische Bundespräsident Alexander Van der Bellen bei der Eröffnung der 76. Bregenzer Festspiele am 20. Juli Foto: APA/AFP/Dietmar Stiplovsek

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Die Wiederwahl des österreichischen Bundespräsidenten Alexander Van der Bellen scheint sicher. Doch es könnte auch ganz anders kommen, wenn in der eskalierenden Multikrise frustrierte Wähler einen Blitzableiter suchen.

Das erste Staatsoberhaupt aus den Reihen der Grünen sollte der Wahl am 9. Oktober gelassen entgegenblicken können. Einer repräsentativen OGM-Umfrage zufolge würde Van der Bellen derzeit seinen Platz in der Hofburg gleich im ersten Wahlgang souverän verteidigen. Satte 63 Prozent werden dem 78-Jährigen prognostiziert.

Sein FPÖ-Herausforderer Walter Rosenkranz kann demnach nur mit 21 Prozent der Stimmen rechnen, was in etwa dem Umfrageniveau seiner Partei entspricht. Der Amtsinhaber profitiert vom Amtsbonus, seinen vielfach bewiesenen Krisenmanagerqualitäten, aber auch von der Zersplitterung des rechten Lagers. Denn neben Rosenkranz tritt mit Gerald Grosz ein ehemaliger Weggefährte Jörg Haiders an. Der wortgewaltige Rechtspopulist hat zwar schon seit sieben Jahren kein politisches Amt mehr und kaum mediale Beachtung, aber auf sozialen Netzwerken eine halbe Million Follower.

Ebenfalls in die Hofburg zieht es den Vorsitzenden der Impfgegner-Partei „Menschen, Freiheit, Grundrechte“ (MFG), Michael Brunner. Nachdem die türkis-grüne Regierung ungeachtet steigender Infektionszahlen fast alle Präventionsmaßnahmen abgeblasen hat, ist Corona zwar kein großes Thema mehr, doch die MFG hat ein neues: Brunner verspricht die „absolute Wiederherstellung der Neutralität Österreichs“ und ein Ende der Sanktionspolitik gegen Russland. Was Wladimir Putins Angriffskrieg in der Ukraine angeht, ist das rechte Lager bei aller Spaltung ziemlich einig: Er soll Österreich nichts angehen.

Auch FPÖ-Kandidat Rosenkranz verfolgt einen neutralistischen, dem Wesen der rein militärischen Neutralität eigentlich nicht entsprechenden Ansatz. Er wirft der Regierung vor, Österreich in einen Wirtschaftskrieg hineingezogen und damit einen neutralitätspolitischen „Sündenfall“ begangen zu haben. Derartiges würde er „als Bundespräsident niemals durchgehen lassen“.

Kotau vor Putin

Ins selbe Horn stößt Grosz, der gleich den Kotau vor Putin macht: „Nicht in unserem Namen, nicht im Namen einer Mehrheit der Österreicherinnen und Österreicher hat die Bundesregierung der neutralen Republik Österreich der Russischen Föderation im Verband mit den Mitgliedsstaaten der Europäischen Union mittels sechs Sanktionspaketen einen Wirtschaftskrieg erklärt“, schrieb Grosz in einem Offenen Brief an den Kremlchef. Und: Mit dem Krieg in der Ukraine habe Österreich nichts zu tun.

Eine Antwort hat Grosz zwar noch keine bekommen, der rechte Spin im österreichischen Präsidentschaftswahlkampf dürfte Putin aber kaum entgangen sein. Zumal dieser in den zwei Monaten vor der Wahl noch größere Bedeutung bekommen könnte. Denn angesichts einer inzwischen über neun Prozent liegenden Inflation und eines drohenden Energienotstandes schrumpft die Zustimmung der Österreicher zu den Sanktionen. Sollten die Energie- und Lebenshaltungskosten weiter steigen, sind inzwischen 55 Prozent für ein Ende der Sanktionen. Im März hatten immerhin noch 60 Prozent die Strafmaßnahmen befürwortet.

Von einem weiteren Preisanstieg bei Energie und Gütern des täglichen Lebens ist auszugehen, solange der Krieg in der Ukraine tobt. Und damit könnte passieren, was die Umfragen derzeit noch nicht hergeben: Van der Bellen muss in die Stichwahl, weil ihn die drei Rechtskandidaten gemeinsam mit dem gar nicht rechten Arzt, Ukraine-Freund und Bierpartei-Chef Dominik Wlazny, alias „Marco Pogo“, um die absolute Mehrheit bringen.

Norbert Hofer 2.0

Dann wird es spannend. Denn in der Stichwahl zwischen den beiden Bestplatzierten spielt die Zersplitterung der Rechten keine Rolle mehr. „VdB“ kann zwar mit den paar Stimmen der Wiener Marco-Pogo-Fans rechnen, aber aus dem rechten Lager hat er nichts zu hoffen. Dieses wird sich auf den voraussichtlich Zweitplatzierten fokussieren: Walter Rosenkranz. Mit ihm schickt die FPÖ einen neuen Norbert Hofer ins Rennen. Dieser hatte 2016 im ersten Wahlgang satte 35 Prozent geholt und war Van der Bellen in der Stichwahl mit für die FPÖ sensationellen 46,2 Prozent unterlegen. Das Rezept von damals: Hofer rückte als charmanter Kreidefresser die rechtsradikale Seite der FPÖ aus dem Bewusstsein vieler Wähler. Genau darauf setzt auch Rosenkranz: Wie Hofer ist der 60-jährige Jurist im Umgang freundlich, jeglichem Verbalradikalismus abhold und – besonders wichtig seit dem Ibiza-Skandal – absolut skandalfrei. Wenn er sich im Wahlkampf als Anwalt des Volkes geriert, dann tut er dies quasi qua Amt: Rosenkranz ist Mitglied der Volksanwaltschaft, jener staatlichen Institution, die von Behörden schlecht behandelten Bürgern zur Seite steht.

Da in der Ukraine bis Oktober kein Frieden ausbrechen wird, werden die Österreicher die Kriegsfolgen bis dahin wohl noch stärker zu spüren bekommen. Damit ist auch zu erwarten, dass der von Rosenkranz propagierte Ansatz des Sich-aus-allem-Heraushalten noch mehr Zuspruch findet. Die Illusion einer Insel der Seligen ist in den österreichischen Köpfen ohnehin tief verankert. Selbst Putin hat die Sehnsucht vieler nach Äquidistanz zwischen Ost und West nicht erschüttern können. Warnungen, der Russe könnte nach einem Erfolg in der Ukraine auch noch auf andere Länder Appetit bekommen, beschäftigen Politologen und Journalisten, nicht aber den Durchschnittsbürger. Der schaut auf seine exorbitante Stromrechnung und beginnt sich zu fragen, ob die Ukraine nicht auch ohne Krim und Donbass groß genug und daher ein Deal mit Putin besser wäre.

VdB, der „Systemkandidat“

Der Bundespräsident positioniert sich dagegen offensiv pro Kiew. Für ihn geht es in diesem Konflikt eben nicht nur um die Ukraine, sondern um viel mehr, eigentlich alles: Er nennt Putin einen „Diktator, der es nicht ertragen kann, dass Menschen hier in Europa in individueller Freiheit leben“. Van der Bellen trägt nicht nur das Krisenmanagement der trükis-grünen Koalition mit, sondern nahm sich – wohl mit Blick auf die ohnehin bereits destabilisierende Multikrise – auch als Mahner der Nation etwas zurück, indem er die Korruptionsturbulenzen der ÖVP weitgehend unkommentiert ließ. Die Grünen unterstützen den aus ihren Reihen stammenden Staatschef im Wahlkampf auch finanziell, die ÖVP gibt zwar als Partei keine Empfehlung pro Van der Bellen ab, mehrere ÖVP-Granden haben aber schon öffentlich ihre Votum für den Amtsinhaber bekundet. Damit läuft dieser jedoch Gefahr, als „Systemkandidat“, wie ihn FPÖ-Chef Herbert Kickl nennt, für eine von der Politik frustrierte Wählerschaft zum Sündenbock zu werden.

Noch ist Alexander Van der Bellen der Favorit, aber in einer Zeitenwende ist alles möglich.