Missbrauchsopfer spricht über Erfahrungen

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Von unserer Korrespondentin Barbara Barkhausen

Opfer häuslicher Gewalt fühlen sich häufig auch hinterher eingesperrt. Eine Australierin teilte nun ein eindringliches Foto und ihre Geschichte auf Facebook. Wie sie überlebt hat, könnte ein Leitfaden für andere sein, so hofft sie.

Anfang Februar veröffentlicht Judy Sharp ein Foto von sich und ihren Söhnen auf der Facebook-Seite ihres ältesten Sohnes. Es stammt aus dem Jahr 1992 und zeigt Judy, abgemergelt, hager und verängstigt, zwei kleine blonde Jungen zwischen ihren Beinen sitzend. Es ist ein eindringliches Bild, das die Leere und Angst einer misshandelten Frau greifbar macht.

Sharp selbst findet es bis heute schwierig, das Foto anzuschauen. Trotzdem teilt sie es jetzt in der Hoffnung, andere ermutigen zu können. „Dieses Foto wurde in der Nacht vor meiner Flucht aufgenommen“, schreibt sie auf Facebook. „Ich weiß nicht, wie ich diese Nacht überlebt habe.“ Ihr damaliger Mann habe das Bild aufgenommen und zu ihr gesagt, es die letzte Nacht, in der sie am Leben sein werde und er wolle das Foto, damit die Jungen eine Erinnerung an ihre Mutter hätten.

„Weg von solch einem Übel“

Die Söhne – nicht ganz zwei und vier Jahre alt – gaben Sharp schließlich den Mut, am nächsten Tag vor ihrem Mann zu flüchten. „Um ehrlich zu sein, bin ich nicht für mich selbst gelaufen, ich war zu erschöpft und abgenutzt, um etwas für mich selbst zu tun“, schreibt sie. „Ich habe es für meine Söhne getan.“ Damals habe sie weder Hoffnungen gehabt noch an eine Zukunft geglaubt. Sie wollte nur ihre Jungen „weg von solch einem Übel“ bringen.

In den ersten Tagen kämpfte die junge Mutter rein ums Überleben: um Essen, um eine Unterkunft und um ein bisschen Glück in jedem Tag zu finden. Sie hatte kein Geld, da ihr Mann stets alles fern von ihr gehalten hatte, und sie konnte in kein Frauenhaus, da ihr ältester Sohn Tim Autismus hat und als kleines Kind viel geschrien hatte und schwer zugänglich war.

Regeln sollen Betroffenen helfen

Sharp überstand die schweren Jahre damals mit Hilfe einiger Regeln, die sie für sich selbst machte und von denen sie nun hofft, dass sie auch anderen helfen. Zu ihren Grundregeln gehörte, nur einmal die Woche einkaufen zu gehen und immer zuerst die Rechnungen zu bezahlen. „Die Leute werden dich eher mit Essen versorgen als deine Rechnungen für dich zu bezahlen.“ Egal, wie schwer es einem falle: „Fragen Sie nach dem, was Sie brauchen“, schreibt Sharp. Dabei solle man aber immer nur nach wirklich wichtigen Dingen fragen, demütig und dankbar für jeden Akt der Freundlichkeit sein.

„Der Ehemann einer Freundin erzählte mir, dass es jeden Tag in jeder Hinsicht ein bisschen besser gehen werde.“ Sie habe ihm das nicht geglaubt, aber trotzdem angefangen, jeden Tag eine gute Sache aufzuschreiben. Ein wichtiger Bestandteil der neuen Familie, die Sharp aufbaute, war zudem ein Hund. „Es gibt niemanden, der immer so glücklich ist, dich zu sehen und dich dazu bringt, so zu lächeln und alles andere zu vergessen“, schreibt sie.
Häusliche Gewalt und Missbrauch hören nicht auf

Judy Sharp mit ihrem Sohn Tim

„Niemand verdient es.“

Besonders lange dauerte es, bis Sharp endlich glaubte, dass die häusliche Gewalt nicht ihre Schuld war. „Ich habe es nicht verdient. Niemand verdient es. Ich verdiene es so viel besser und es liegt an mir, das besser zu machen.“ Ihre Facebook-Mitteilung beendete die Australierin mit einem Appell an andere Opfer häuslicher Gewalt: „Wenn Sie in der gleichen Situation sind, in der ich vor all den Jahren war, machen Sie einen Schritt, sagen Sie es jemandem, bitten Sie jemanden um Hilfe.“ Wer es nicht für sich selbst tue, solle es zumindest für seine Kinder tun. „Häusliche Gewalt und Missbrauch sind niemals akzeptabel – warten Sie nicht darauf, dass es aufhört, das wird es nicht.“

Sharp ist heute eine bekannte australische Buchautorin. Ihr jüngerer Sohn Sam ist Leistungsschwimmer und arbeitet als Schwimmtrainer. Ihr autistischer Sohn Tim ist Künstler und stellt seine farbenfrohen Kreationen, darunter seinen eigenen Superhelden Laser Beak Man, auf der ganzen Welt aus.