Bröckelnde ErfolgsmodelleMillionen Australier im Lockdown, Südostasien unter Delta-Druck

Bröckelnde Erfolgsmodelle / Millionen Australier im Lockdown, Südostasien unter Delta-Druck
Die australischen Millionenstädte Sydney und Melbourne sind mal wieder im Lockdown Foto: AFP/Brendan Thorne

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In Australien tragen Möbelpacker das Virus von einer Millionenstadt in die andere. In Vietnam, Thailand, Malaysia und Kambodscha steigen die Zahlen rasant.

Die Delta-Variante hat trotz strenger Regulierungen und einer Ausgangssperre für die Bewohner Sydneys nun auch im über 700 Kilometer entfernten Melbourne Fuß gefasst. Mitarbeiter eines Umzugsunternehmens scheinen das Virus zwischen den beiden größten australischen Städten transportiert zu haben.

Die Möbelpacker lieferten vergangene Woche Möbel von Sydney nach Melbourne. Dabei brachten sie anscheinend auch die Delta-Variante mit sich. Bisher dachten die Behörden noch, erste Ansteckungen schnell entdeckt zu haben. Doch am Donnerstag tauchten nun Fälle auf, die sich anscheinend in einem Sportstadium infiziert haben. Dies scheint letztendlich den Auslöser dafür gegeben zu haben, dass nach Sydney nun auch Melbourne in den Lockdown geht. Damit sind nun die zwei größten Städte und Wirtschaftszentren Australiens effektiv abgeriegelt.

In Melbourne sind derzeit nur fünf Tage Lockdown geplant, um den Gesundheitsbehörden Zeit zu geben, die Ausbreitung des Virus zu verfolgen. Doch für die dortigen Menschen ist es bereits der fünfte Lockdown seit Beginn der Pandemie. Den vergangenen Winter wie auch den Frühlingsanfang auf der Südhalbkugel verbrachten die rund fünf Millionen Bürger der Stadt fast komplett mit einer strengen Ausgangssperre. Nachdem ein Cluster außer Kontrolle geraten war, wurde die Stadt über hundert Tage abgesperrt. Auch in diesem Jahr reagierte Melbourne bereits auf zwei Ausbrüche des Coronavirus. Im Februar rief die Stadt eine fünftägige Ausgangssperre aus und Ende Mai dehnte sich ein Lockdown auf 14 Tage aus.

Infektion mit minimalem Kontakt

Der aktuelle Ausbruch in Melbourne ist noch verhältnismäßig klein – bisher stehen weniger als 20 Neuinfektionen mit ihm in Verbindung, doch Sydney hat gezeigt, wie schnell die Delta-Variante außer Kontrolle geraten kann. Nachdem sich dort ein Limousinenfahrer vermutlich bei einer Flugzeugcrew angesteckt hatte, war der Covid-Ausbruch Ende Juni innerhalb weniger Tage auf über 80 Infizierte angestiegen. Einige der Infektionen passierten laut der Behörden rein beim Vorübergehen – also mit minimalem Kontakt – ähnlich wie jetzt im Sportstadium in Melbourne.

Selbst das beste Land von allen, Vietnam, steht vor Problemen
Selbst das beste Land von allen, Vietnam, steht vor Problemen Foto: AFP/Huu Khoa

Sydney hat allein in den vergangenen zwei Wochen und trotz Lockdown über 700 Infektionen registriert. Am Donnerstag meldeten die Behörden 65 Neuinfektionen. Am Montag waren es noch 112 Fälle gewesen, am Dienstag 89 und am Mittwoch 97. Über 70 Menschen müssen bereits im Krankenhaus behandelt werden, 19 liegen auf der Intensivstation, fünf müssen beatmet werden. Unter den Schwerkranken sind auch etliche jüngere Menschen. Zwei ältere Menschen starben in Folge des neuen Covid-Ausbruchs. Laut der Gesundheitsbeauftragten des Bundesstaates New South Wales, in dem Sydney liegt, ist keiner der Patienten auf der Intensivstation bisher geimpft gewesen.

Delta-Variante ist „komplettes Neuland“

Australien hinkt mit seiner Impfkampagne im Vergleich zu anderen westlichen Ländern hinterher. Bisher wurden weniger als zehn Millionen Impfdosen ausgegeben. Rund neun Prozent der Bevölkerung sind vollständig geimpft. In Sydney soll die Ausgangssperre deswegen noch bis mindestens Ende des Monats bestehen bleiben. Ministerpräsidentin Gladys Berejiklian sagte in ihrer täglichen Pressekonferenz, dass man sich mit der Delta-Variante in „komplettem Neuland“ befinde. „Die Zahl der infizierten Menschen in der Gesellschaft in den letzten 24 Stunden ist zu hoch“, sagte die Politikerin. „Wenn wir diese Zahl nicht auf null oder so nah wie möglich an null bringen, können wir den Lockdown nicht beenden.“ Dann bestehe die Gefahr, dass das Virus außer Kontrolle gerate.

Bisher war Australien verhältnismäßig gut durch die Pandemie gekommen. Mit rund 31.000 Infektionen und 912 Toten hatte der Inselstaat die Viruserkrankung deutlich besser im Griff als der Rest der Welt. Australiens Regierung hatte gleich zu Beginn der Pandemie die Außengrenzen des Landes geschlossen und die meisten Coronaausbrüche mit Blitzlockdowns oder Kontaktverfolgung innerhalb weniger Tage unter Kontrolle gebracht.

Auch Musterschüler Vietnam vor Problemen

Doch die Delta-Variante, die erstmals in Indien aufgetreten ist, stellt nicht nur das australische Erfolgsrezept vor neue Herausforderungen. Auch die südostasiatischen Erfolgsmodelle bröckeln angesichts der Delta-Variante. Vietnam, Thailand, Malaysia und Kambodscha hatten die erste Covid-19-Welle recht erfolgreich unterdrückt, doch nun steigen die Infektionen mit der Delta-Variante drastisch. „Sydney, Bangkok und Phnom Penh sitzen alle im selben Boot – sie sind mit der gleichen Variante des Virus konfrontiert und zögerten zunächst alle, vollständig dichtzumachen“, sagte Michael Toole, ein Epidemiologe des Burnet Instituts in Melbourne.

Selbst das beste Land von allen, Vietnam, habe Probleme, sagte der Experte. Denn all das, auf was man sich im letzten Jahr verlassen konnte, nämlich Schnelltests und Rückverfolgung sowie selektive Sperren, würde dieses Mal nicht funktionieren, „weil sich das Virus zu schnell ausbreitet“. Laut Toole hätten bisher nur die australischen Städte Perth, Brisbane und Darwin die neue Virusvariante richtig bekämpft. „Um diese Variante zu bekämpfen, müssen wir schneller und härter reagieren.“ Man dürfe nicht zu weich sein, sondern müsse schnell harte Restriktionen einführen, sobald nur wenige Fälle entdeckt werden, so der Experte.