DeutschlandMerkel wirbt leidenschaftlich für verlängerte Weihnachtsferien und verschärfte Corona-Maßnahmen

Deutschland / Merkel wirbt leidenschaftlich für verlängerte Weihnachtsferien und verschärfte Corona-Maßnahmen
„Tut mir im Herzen leid“: Angela Merkel will strengere Corona-Maßnahmen Foto: dpa/Kay Nietfeld

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Die Debatte über den Etat des Kanzleramtes ist traditionell der Höhepunkt jeder Haushaltswoche im Bundestag. Im Mittelpunkt der gestrigen Auseinandersetzung stand wie erwartet die Corona-Politik der Bundesregierung. Dabei wurde Angela Merkel ungewöhnlich emotional.

Bevor die Kanzlerin ans Rednerpult treten kann, redet sich erst einmal AfD-Fraktionschefin Alice Weidel in Rage. Auch das ist Tradition: Bei der sogenannten Elefantenrunde im Hohen Haus hat die größte Oppositionspartei das erste Wort. Glaubt man Weidel, ist Deutschland nicht mehr zu retten. Ihre Kanzlerschaft werde als Katastrophe in die Geschichte eingehen, ruft sie Merkel zu. Der Lockdown richte mehr Kollateralschäden als Nutzen im Kampf gegen das Virus an, schimpft die AfD-Frau.

Überhaupt sei Deutschland nach 15 Jahren Merkel ein Land, das seine Grenzen nicht gegen illegale Einwanderung schützen wolle, in dem eine „industriefeindliche Politik“ herrsche und „Frauen sich nachts nicht mehr auf die Straße trauen“. Weidels Fraktionskollegin Beatrix von Storch wird später noch eins draufsetzen und Merkel vorwerfen, „Deutschland in ein Trümmerfeld verwandelt“ zu haben.

Dauerbeschallung durch die AfD

Die Gescholtene nimmt solche Breitseiten ohne sichtbare Regung zur Kenntnis. Schrille Dauerbeschallung hat eben auch einen gewissen Abnutzungseffekt. Als Merkel das Wort ergreift, klingt es zunächst wie Routine. Die Kanzlerin verweist auf die pandemiebedingt enorme Haushaltsverschuldung, und dass ihr dies „alles andere als leicht“ falle. Am Tag zuvor hatte Kassenwart Olaf Scholz im Parlament schon ganz ähnlich geredet.

Wenn wir jetzt vor Weihnachten zu viele Kontakte haben und es anschließend das letzte Weihnachten mit den Großeltern war, dann werden wir etwas versäumt haben, das sollten wir nicht tun

Angela Merkel

Doch dann löst sich Merkel von ihrem Redemanuskript, berichtet von persönlichen Gesprächen mit Pflegekräften („Was da geleistet wird, was sich da abspielt“), erwähnt „Glühweinstände“ und „Waffelbäckereien“, bei denen es ihr „wirklich im Herzen leid“ tue, dass die sich nicht mit der aktuellen Corona-Lage vertrügen. Und sie warnt auf eindringliche Weise vor weiter steigenden Todeszahlen insbesondere unter älteren Menschen. „Wenn wir jetzt vor Weihnachten zu viele Kontakte haben und es anschließend das letzte Weihnachten mit den Großeltern war, dann werden wir etwas versäumt haben, das sollten wir nicht tun“, sagt Merkel.

Der Nutzen von Kontaktbeschränkungen sei „nicht erwiesen“, ruft jemand von der AfD dazwischen. Da kontert die Kanzlerin mit leiser Ironie: In ihrem früheren Leben in der DDR habe sie sich auch deshalb für ein Physikstudium entschieden, weil man die Schwerkraft nicht außer Kraft setzen könne. Soll heißen: Auch der Sozialismus stand nicht über den Naturgesetzen, genauso wenig wie heute die Virus-Verharmloser. So wirbt Merkel dann auch leidenschaftlich für eine Umsetzung der jüngsten Empfehlungen der Akademie der Wissenschaften Leopoldina. Dazu zählen weitgehende Geschäftsschließungen, verlängerte Weihnachtsferien und die Einstellung von Gruppenaktivitäten bei Sport und Kultur.

Kritik an unberechenbarer Corona-Politik

FDP-Chef Christian Lindner sieht in dieser Ansage einen weiteren Beweis für die Unberechenbarkeit der regierungsoffiziellen Corona-Politik. Die Halbwertzeit der Erklärungen und Empfehlungen werde immer kürzer, die „Korrektur der Korrektur“ werfe Fragen nach der wissenschaftlichen Evidenz der Maßnahmen auf, erregt sich der Chef-Liberale. Auch Annalena Baerbock vermisst eine klare Perspektive. „Von einer Ministerpräsidentenrunde zur nächsten zu hangeln, das kann so nicht weitergehen“, bemängelt die Grünen-Vorsitzende. Selbst Unionsfraktionschef Ralph Brinkhaus hadert mit dem Krisenmanagement von Bund und Ländern. Er habe die „klare Erwartungshaltung“, dass bei den Maßnahmen nachgebessert werde und diese langfristig tragfähig seien.

Angela Merkel hört sich die Vorhaltungen von ihrem Platz aus geduldig an und vertieft sich schließlich in ihr Handy. Vielleicht ist sie gedanklich schon beim nächsten Bund-Länder-Krisentreffen.