BelarusMassives Vorgehen gegen protestierende Frauen

Belarus / Massives Vorgehen gegen protestierende Frauen
Dem würde Wladimir Putin so nicht zustimmen – nur insofern, dass die Menschen in Russland, anders als beim weißrussischen Nachbarn, kaum wochenlang gegen den Staatspräsidenten demonstrieren könnten Foto: AFP/Genya Savilov

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In Weißrussland kam es auch an diesem Wochenende wieder zu Dutzenden von Demonstrationen mit den vom Regime seit 1995 verbotenen weiß-rot-weißen, historischen Unabhängigkeitsflaggen gegen den Autokraten Alexander Lukaschenko und für ein Ende der Gewalt.

In der Hauptstadt Minsk nahmen Zehntausende an einem „Marsch für Gerechtigkeit“ zum Obersten Gerichtshof teil. Sie forderten Strafverfahren gegen jene Sicherheitskräfte, die sich der Folter an festgenommen Demonstranten schuldig gemacht haben. Dabei wurde auch der noch rund 70 Verschwundenen der ersten Tage nach der mutmaßlich gefälschten Wahl gedacht. Einige von ihnen wurden inzwischen von Familienangehörigen tot in Wäldern rund um Minsk aufgefunden. Bis Redaktionsschluss war die Zahl der Festgenommen sowie der Verletzten noch nicht bekannt.

Das Regime hat allerdings auch in der sechsten Protestwoche weiterhin nur die Methode „zuschlagen und verhaften“. Damit soll die aufmüpfige Bevölkerung eingeschüchtert werden. Denn neben vergleichsweise im post-sowjetischen Raum hohen Sozialleistungen war es vor allem die Angst, die Lukaschenko seit seinem damals noch demokratischen, ersten Wahlsieg von 1994 an der Macht hielt. Dabei machen Lukaschenkos Schergen nun auch vor den friedlichen Märschen der „Frauen in Weiß“ keinen Halt mehr. Am Samstag wurden in Minsk über 300 bunt gekleidete Teilnehmerinnen festgenommen, darunter eine 73-jährige Rentnerin. Noch vor Wochenfrist waren es in Minsk „nur“ 99 gewesen. Am Anfang dieser Solidaritätsmärsche mit den verhafteten Männern ließ die Polizei die Frauen jedoch wochenlang gewähren. Frauen genießen in der weißrussischen Gesellschaft eine angesehene Rolle, die auf die großen Opfer im Zweiten Weltkrieg zurückgeht. Polizeigewalt gegen Frauen wird deshalb von allen Gesellschaftsschichten abgelehnt, Lukaschenko kann sich damit auch unter seinem aufgeblasenen Beamten- und Staatsangestelltenheer kaum Freunde oder gar Achtung schaffen.

Namen von Folterern publiziert

Dieses beginnt nun offenbar endlich auch zu bröckeln. So hat der vor zehn Tagen zur Flucht nach Polen erpresste ehemalige Botschafter von Paris und Warschau, Pawal Latuschko, am Sonntag angekündigt, das Außenministerium würde in den nächsten Tagen 30 Diplomaten entlassen, die als illoyal gegenüber Lukaschenko eingestuft würden. Latuschko ist das einzige ehemalige Mitglied von Lukaschenkos Machtzirkel in Swetlana Tichanowskajas oppositionellem „Koordinationsrat“.

Die Opposition setzt dem Lukaschenko-Regime inzwischen nicht mehr nur auf der Straße zu. Am Wochenende wurden auf Telegram-Kanälen über Tausend Namen von Polizisten und den gefürchteten OMON-Truppen publiziert, die sich zu Gewalt und gar Folter an Demonstranten haben verleiten lassen. Sei es aus Loyalität, Gruppenzwang oder für die dafür bezahlten Sonderprämien. Die Liste stammt aus der Budgetabteilung des Innenministeriums und es ist völlig unklar, wie es zu diesem Leak kommen konnte. Verantwortlich für die Veröffentlichung zeichnet eine Gruppe, die sich die „Cyber-Partisanen“ nennt. Es soll sich um eine Racheaktion für Repressionen gegen die boomende IT-Branche handeln. So wurde bereits vor den Wahlen der Minsker IT-Technopark-Gründer und Präsidentschaftskandidat Walery Zepkalo angeklagt. Inzwischen ist auch dessen oppositionelle Ehefrau Weronika ins Exil geflüchtet. Die beiden flohen über Moskau in die Ukraine.