ÖsterreichKurz lässt sich nach dem Gipfel als David gegen Goliath feiern

Österreich / Kurz lässt sich nach dem Gipfel als David gegen Goliath feiern
Österreichs Bundeskanzler Sebastian Kurz brüstet sich mit seiner Haltung in Brüssel, die in Wahrheit dazu führt, dass nicht in Zukunftsprojekte investiert wird Foto: Stéphanie Lecocq/Pool/AFP

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In Europa bei vielen unten durch, in der Heimat von seinen Fans gefeiert: Bundeskanzler Sebastian Kurz inszeniert sich nach dem EU-Billionendeal als frugaler David, der es den Goliaths der EU gezeigt hat.

Der Kurz-Anbetungsverein ist ganz aus dem Häuschen. ÖVP-Granden und türkises Fußvolk überschlagen sich vor Begeisterung über den Auftritt ihrer Ikone beim ersten Brüsseler Gipfelmarathon seit Ausbruch der Pandemie. Europaministerin Karoline Edtstadler (ÖVP) bejubelt die Reduktion der direkten Zuschüsse im Corona-Hilfspaket von geplanten 500 auf 390 Milliarden Euro und den auf 565 Millionen Euro hochlizitierten Beitragsrabatt als „wichtigen Erfolg für Europa und Österreich“. „Danke für das gute Ergebnis, welches Du in Brüssel ausgehandelt hast. Gratuliere dazu“ – so und ähnlich lauten unzählige Kommentare auf des Kanzlers Facebook-Seite. Nicht nur Österreicher feiern mit: „Danke Herr Kurz, dass Sie Deutschland so gut vertreten haben“, schreibt ein offensichtlich deutscher User. Andere, weniger Begeisterungsfähige, finden sogar, Kurz hätte im großen Streit ums Geld noch viel unnachgiebiger sein und nicht rückzahlbare Zuschüsse überhaupt verhindern müssen.

Wohl auch deshalb ist der Kanzler in Interviews bemüht, jedem Verdacht, er könnte nicht hart genug gewesen sein, entgegenzuwirken. So entsteht die Saga vom österreichischen David, der zusammen mit den ebenso frugal tickenden Schweden, Niederländern und Dänen den deutsch-französischen Goliath das Fürchten gelehrt hat. Frankreichs Präsident Emmanuel Macron, der die EU gemeinsam mit Kanzlerin Angela Merkel in die Zäsur des gemeinsamen Schuldenmachens geführt hatte, sei zeitweise „sehr, sehr angefressen“ gewesen, weil er seinen Kopf nicht habe durchsetzen können, plauderte Kurz in den ORF-Abendnachrichten aus dem Gipfelnähkästchen. Er verstehe aber, dass es für den Franzosen unangenehm ist, „dass jetzt auch kleine Länder mitreden“. Das könne man aber nicht ändern. Unverblümt räumt Kurz ein, bei dem 100-stündigen Gipfel „relativ stark isoliert“ gewesen zu sein: „Es war teilweise eine Situation 20 gegen vier oder fünf“. Aber man habe dem Druck Macrons standgehalten.

Koalitionspartner auf Distanz

Kurz‘ grüner Koalitionspartner verweigert sich diesem Heldenepos und geht auf Distanz zur Erfolgsstory des Kanzlers: Vizekanzler Werner Kogler beklagt „falsche Kürzungen“ beim geplanten Klimafonds, der ein Opfer des Ringens um die Coronahilfen wurde. Mehr Geld fürs Klima wäre dem Grünen-Chef „lieber gewesen als das eine oder andere Prozent am Rabattbasar“. Wieder einmal sind die Grünen näher bei den oppositionellen Sozialdemokraten, deren Vorsitzende Pamela Rendi-Wagner das Verringern der Zuschüsse im Wiederaufbaufonds als „kurzsichtig und falsch“ kritisiert. Es liege nämlich in Österreichs Interesse, jene Volkswirtschaften zu stärken, mit denen die heimische Wirtschaft starke Handelsverbindungen habe, meint die SPÖ-Chefin mit Blick auf 90.000 am Außenhandel mit Italien hängende Arbeitsplätze.

Derart egoistische Solidarität ist freilich weniger leicht zu kommunizieren als die Kurz-Botschaft vom sparsamen David gegen den verschwenderischen Goliath. Die Türkisen sind im frugalen Rausch, auch wenn wohl nur den wenigsten die ambivalente Bedeutung des Begriffes, den der Duden nicht nur mit „bescheiden“ und „karg“, sondern auch mit „primitiv“ und „simpel“ übersetzt, bewusst sein dürfte.