ÖsterreichKurz & Co. brüskieren Ibiza-Ausschuss mit Serie von Erinnerungslücken

Österreich / Kurz & Co. brüskieren Ibiza-Ausschuss mit Serie von Erinnerungslücken
Österreichs Kanzler Sebastian Kurz konnte dem Ibiza-Unterschungsausschuss wegen spontaner Erinnerungslücken nicht weiterhelfen Foto: AFP/APA/Helmut Fohringer

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Enttäuschte Hoffnung auf neue Erkenntnisse im Ibiza-Untersuchungsausschuss: Österreichs Bundeskanzler Sebastian Kurz und sein Finanzminister Gernot Blümel (ÖVP) nervten die Opposition mit unglaublichen Erinnerungslücken.

Ehe er mit Schutzmaske zum Verhör durch die Abgeordneten kam, verkündete Kurz weitere Lockerungen der Corona-Beschränkungen. Der Druck zur Rückkehr in die Normalität ist ungeachtet des weiter lauernden Virus groß. Und dem gibt der Kanzler nach.

Nicht nachgeben wollten der 33-Jährige und sein Freund Blümel dagegen dem Drängen, diese Woche endlich die Karten auf den Tisch zu legen. Die Machthaber zeigten dem Ausschuss süffisant bis arrogant lächelnd die kalte Schulter. Vor allem Kurz’ SMS-Kommunikation mit Ex-Vizekanzler und Ex-FPÖ-Chef Heinz-Christian Strache hätte interessiert. Denn der Hauptdarsteller des Ibiza-Videos, das der Untersuchungsausschuss wegen eines Gerangels zwischen Justiz und Sicherheitsbehörden noch immer nicht zu sehen bekommen hat, war mitteilungsbedürftig: „Strache hat mehr SMS geschrieben, als ich selber lesen kann“, plauderte Kurz aus dem Nähkästchen der gescheiterten Koalition. Diese SMS-Flut könnte Licht ins Dunkel des mutmaßlichen Postenschachers und Gesetzeskaufes bringen, worum es hier geht.

Doch Kurz enttäuscht die Abgeordneten. Immer wieder lautet seine Antwort auf Fragen nach Hintergründen zur Vergabe wichtiger Posten, er habe dazu „keine Wahrnehmung“. Die SMS sind keine Erinnerungshilfe mehr: „Ich lösche meine Nachrichten ständig.“

Strache: Ibiza-Video „halb so wild“

Zumindest ein paar Chat-Nachrichten haben die konsequente Löschpraxis überlebt und sogar den Weg an die Öffentlichkeit gefunden. Demnach kam das Ibiza-Video für Kurz nicht so überraschend wie für die meisten Österreicher. Am Vorabend der Veröffentlichung fragte er per SMS bei Strache nach: „Was kommt da genau, LG Sebastian?“ Straches Antwort: „Halb so wild. Viele falsche Vorwürfe, die so nicht stattgefunden haben …“ Andere SMS offenbaren Differenzen, die das krampfhaft gezeichnete Bild der super harmonischen Koalition konterkarieren, aber nichts beitragen zur Klärung der Frage, ob diese Regierung gegen Bakschisch Posten oder Gesetze verkaufte. Strache hatte ja bei seinem Tritt in die Videofalle auf Ibiza im Sommer 2017 detailliert beschrieben, wie das laufen könnte.

Auch wenn die Kanzler-SMS fehlen, gibt es viele auf Handys anderer Protagonisten dieser Regierung sichergestellte Chat-Nachrichten, die zumindest Indizien für Korruption enthalten. Da war etwa der von Strache in den Vorstand der teilstaatlichen Casinos Austria gehievte Wiener FPÖ-Bezirksrat Peter Sidlo, dem ein Personalberater eigentlich die Qualifikation abgesprochen hatte.

WhatsApp-Nachrichten nähren den Verdacht, dass sich der an den Casinos beteiligte Glücksspielkonzern Novomatic für die Zustimmung zu Sidlo die Gewährung von Glücksspiellizenzen erwartet haben könnte. Kurz sagt, er könne zum SMS-Verkehr anderer nichts sagen. Außerdem habe er keine Richtlinienkompetenz, sprich: Er darf formal die Arbeit seiner Minister nur koordinieren. Mit vielem will Kurz nichts zu tun gehabt und von vielem nichts gewusst haben, was bei einem Kontrollfreak wie ihm schwer vorstellbar ist.

Opposition ist empört

Doch auch Blümel, der als Koalitionskoordinator der ÖVP-FPÖ-Regierung qua Amt alles unter Kontrolle gehabt haben musste, bot nur Erinnerungslücken feil. Er will nicht einmal mehr wissen, ob er im ÖVP-nahen, nach Ausbruch des Ibiza-Skandals aufgelösten Verein „Pro Patria“ Kassierer gewesen ist. Auch von der umstrittenen Bestellung Sidlos wusste er angeblich nichts. Selbst auf die banale Frage, ob er nach dem Ende der türkis-blauen Koalition seinen Dienstlaptop abgegeben habe, gibt es keine klare Antwort: „Ich glaube, ich hatte gar keinen Laptop, ich habe über das Handy gearbeitet.“

SPÖ-Fraktionsführer Kai Jan Krainer zählte genau mit, wenn sich Blümel nicht erinnern konnte. 86 Stricherl standen am Ende der Vernehmung auf seiner Liste.

Die Opposition ist empört über die im Verhalten des Kanzlers und seines Adlatus ausgedrückte Geringschätzung des Parlaments. Der Neos-Abgeordneten Stephanie Krisper platzte der Kragen: „Die geht mir am Arsch“, schimpfte sie dank eingeschaltet gebliebenem Mikro für alle hörbar. Sie will aber nicht die Verfahrensrichterin Ilse Huber gemeint haben. Die wegen ihres ÖVP-freundlichen Agierens in der Kritik stehende Dame erklärte dennoch am Freitag ihren Rücktritt aus Protest gegen die „persönlichen Angriffe“.