Koalition vor der Zerreißprobe

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Die OGBL-Forderung nach einer substanziellen Mindestlohnerhöhung und andere Vorschläge zur Einkommensverbesserung der Haushalte sind nicht neu. Doch die nun gestartete Kampagne zur Kaufkrafterhöhung droht die koalitionsinternen Spannungen massiv zu verstärken. Hinzu kommt eine unzufriedene CGFP, die sich angesichts nicht eingehaltener Versprechen verprellt fühlt. Die Regierung steht vor einer Zerreißprobe.

Knapp ein Jahr vor den nächsten Parlamentswahlen erhöhen Luxemburgs größte Gewerkschaften im öffentlichen und im Privatsektor den Druck auf die Politik. Die CGFP möchte am liebsten ihre mit der vorigen Regierung abgeschlossene Vereinbarung über die Anfängergehälter vergessen, der OGBL pocht auf konkrete Maßnahmen zur Kaufkrafterhöhung.

Unter Druck, vor allem zeitlichem, stehen in erster Linie die Koalitionsparteien. Angesichts deprimierender Umfrageergebnisse sind sie auf breitestmöglichem Sukkurs angewiesen. Und das könnte dazu führen, in dieser oder jener Frage nachzugeben, sich sozusagen zu einigen letzten Vorwahlgeschenken verleiten zu lassen. Sollte es tatsächlich dazu kommen, würden diese jedoch mehr als bescheiden ausfallen. Denn allzu entschlossen treten Sprecher der Koalitionsparteien derzeit in den Fragen, die die CGFP- und die OGBL-Spitzen bewegen, nicht auf. Es überwiegen leise, vorsichtige Töne. Auch wenn der eine oder andere Mehrheitspolitiker eine auf den ersten Blick forschere Gangart einschlägt. Doch allein das beinhaltet ziemlich viel Sprengpotenzial.

Der zeitliche Rahmen für größere Veränderungen sei äußerst eng, gibt LSAP-Fraktionschef Alex Bodry zu verstehen. In zwei Wochen werde im Parlament der Staatshaushalt 2018 verabschiedet, sagte er uns gestern. Doch Fragen, die im Zusammenhang mit der Erhöhung der Kaufkraft stünden, würden seine Partei schon beschäftigten.

Romain Wolff

Hier sei die Koalition in den letzten Jahren keinesfalls untätig gewesen. Bodry erinnert an die Steuerreform, die zu Jahresbeginn in Kraft trat. Sie bedeute die erste wirkliche Kaufkrafterhöhung seit Jahren, sagt er. Hinzu kam die Index-Tranche in diesem Jahr.

Negativ aufgefallen war die Dreierkoalition mit ihrem „Zukunftspak“ gleich zu Beginn der Legislaturperiode. Was von der Regierung als notwendiges Maßnahmepaket zur Stabilisierung der öffentlichen Finanzen erklärt worden war, betrachteten die Gewerkschaften als unerhörten Griff in die Taschen der Beschäftigten. Nun fordern sie Kompensation. Was bisher zugestanden wurde, reicht nicht.

Trendwende

Dass es mit der Kaufkraftentwicklung in den letzten Jahren nicht zum allerbesten bestellt war, bestätigt Bodry indirekt mit der Aussage, 2017 habe dank Steuerreform und Wiedereinführung des normalen Index-Mechanismus eine Trendwende stattgefunden.

Aus alt mach neu

Die Forderungen der Gewerkschaften sind nicht neu. Vor allem der OGBL hat sie in den letzten Monaten immer wieder in Erinnerung gerufen. Der Kaufkraftverlust, den die Beschäftigten in den letzten Jahren erdulden müssten, gehöre angesichts guter Staatsfinanzen kompensiert. Der am Dienstag angekündigten Kampagne für mehr Kaufkraft kommt insofern entscheidende Bedeutung zu, als sie knapp ein Jahr vor den Wahlen gestartet wurde.
Was eben bezüglich des Neuheitswerts der gewerkschaftlichen Forderungen gesagt worden ist, gilt auch für die Reaktionen von Patronatsseite. So meldete gestern die Handwerkerförderation unverzüglich ihre Ablehnung einer allgemeinen Mindestlohnerhöhung an. Generalsekretär Romain Schmit befürchtete auf RTL negative Folgen für Geringqualifizierte. Auch würden verstärkt Grenzgänger ins Land gelockt werden.

Einige Forderungen des OGBL, wie die Anpassung der Steuertabellen an die Inflationsentwicklung, sieht er mit der Steuerreform bereits realisiert. Man könne sie doch nicht bereits im nächsten Jahr erneut anpassen, sagt er. Verbesserungen seien auch bei der Teuerungszulage erfolgt. Immerhin kämen jetzt zehn bis 15 Prozent mehr Haushalte in deren Genuss. Auch in puncto Arbeitsorganisation und -recht sei die Koalition aktiv gewesen. So diskutiere man nun über die Einführung von Arbeitszeitkonten auch im Privatsektor, nachdem ein entsprechendes Gesetzesvorhaben für den öffentlichen Dienst bereits eingereicht worden ist.

Wie andere Forderungen kurzfristig umgesetzt werden können, sieht Bodry nicht. Diese Überlegungen würden jedoch in den Diskussionen zum Wahlprogramm seiner Partei einfließen, sagt er. Auch die Erhöhung des Mindestlohns um zehn Prozent? Man müsse sich bewusst sein, dass allein eine Erhöhung des Mindestlohns nicht die Lösung aller Probleme sei. Bodry zufolge könnte auch in Richtung Steuerbefreiung des Mindestlohns gedacht werden, damit die Betriebe die zusätzliche Last nicht gänzlich zu tragen hätten, sie somit teilweise auf das Staatsbudget abgewälzt würde.

Entschiedener setzt sich Bodrys Parteifreund Arbeitsminister Nicolas Schmit für mehr Mindestlohn ein. Dessen Anhebung dürfe kein Tabuthema sein, wiederholte er gestern auf RTL Radio. Seiner Ansicht nach könne die Wirtschaft das verkraften. Schmit spricht von einer etappenweise Anhebung. Wobei man sich eine Erhöhung auch noch vor den Wahlen überlegen könne.

Eine Aussage, die ganz nach dem Gusto der Oppositionspartei CSV ist, insbesondere von Parteipräsident Marc Spautz, der in dieser Frage eine offene Flanke auf Koalitionsseite sieht. Schmit müsse nun schnellstens einen Gesetzentwurf auf den Tisch legen, so Spautz gestern auf Twitter. Zumindest ein Regierungsmitglied habe offenbar Handlungsbedarf beim Mindestlohn erkannt.

Einsame Rufer

Doch die LSAP-Politiker könnten zu einsamen Rufern in der Wüste werden. Denn mit der Mindestlohnfrage provozieren sie keine allzu große Begeisterung bei den Koalitionspartnern. Tatsächlich drückten sich Sprecher von DP und „déi gréng“ ziemlich verschwommen aus. Eigentlich wollte DP-Fraktionschef Eugène Berger gar nicht auf die Forderungen von CGFP und OGBL eingehen. Seines Wissens zufolge sei auf Regierungsebene nichts vorgesehen, sagt er uns, fügt jedoch hinzu, dass doch so manches schon geschehen sei. Wie Bodry erinnert er an die Steuerreform. Weiteren Handlungsbedarf sieht er keinen. Eine Ansicht, die auch auf Koalitionsebene geteilt werde, sagt er.

Wagemutiger gab sich gestern der neue DP-Generalsekretär Claude Lamberty. Seit drei Jahren sei die Erwerbslosenquote rückläufig. Eine Mindestlohnerhöhung würde diesen Trend gefährden, twitterte er in Erwiderung auf Nicolas Schmit.

Eine Erhöhung des Mindestlohns würde nicht alle Probleme aus der Welt schaffen, meint ihrerseits Viviane Loschetter, Fraktionschefin von „déi gréng“. Da müsse ein Maßnahmepaket her. Gelassen blickt sie auf den Wunschkatalog der Gewerkschaften. Ihre Partei nehme deren Vorschläge zur Kenntnis. Diese würden mit ihren Forderungen ihrer Rolle gerecht, sagt sie. Man wolle sich Zeit zur Analyse der Forderungen lassen. Auch Loschetter verweist auf das baldige Wahlprogramm. Und bestätigt damit den vorherrschenden Eindruck einer grünen Partei, die alles tut, um bloß nicht anzuecken. Vor allem, wenn es um Themen anderer, denn der eigenen Regierungsressorts geht.

Der Wunsch der CGFP, die vereinbarte Gehaltsregelung für die zukünftigen Staatsbeamten in Ausbildung zu kippen, sei schon erstaunlich, da die Gewerkschaft die Vereinbarung ja selbst unterschrieben habe, meint Bodry. Dies trage keinesfalls zur Festigung des Vertrauensverhältnisses zwischen Arbeitgeber, dem Staat, und Arbeitnehmern bei. Falls es Probleme bei Ausbildungsfragen der Praktikanten gebe, dann sollte darüber diskutiert werden, meint Bodry. Und Gehälterfragen müssten ohnehin in Verhandlungen erörtert werden.

Der CGFP zufolge würden angehende Staatsbeamten bereits voll belastet. Von Ausbildung könne nicht die Rede sein. Dabei sei Letzteres die Voraussetzung für ihre Zusage zur Regelung gewesen, dass Beamte in den beiden ersten Jahren 80 Prozent und im dritten Jahr 90 Prozent des Gehalts beziehen sollen.

Auch „déi gréng“ reichen der CGFP die Hand. „Wir stehen den Gewerkschaften, insbesondere der CGFP, für Diskussionen zur Verfügung“, sagt Viviane Loschetter. Ob derlei Kuschelpolitik ausreicht, um die Gemüter sowohl bei der CGFP als auch beim OGBL zu besänftigen? Immerhin wissen auch Letztere: Papier ist vor allem in Vorwahlzeiten geduldig und man sollte nur auf das zählen, was man fest in der Hand hat … In diesem Fall auf das Konto der Beschäftigten und Beamten.

ROBERT POLFER
30. November 2017 - 23.48

Wer das Mindestgehalt von unter 2000. € nicht kritisiert ist als Politiker oder Gewerkschaftler unrealistisch und nicht haltbar. In Luxemburg dürfte keiner unter 3000. € monatlich netto für 178 Stunden Arbeit entlohnt werden . ITM und Zoll müssen streng kontrollieren um dem Dumping entgegen zu steuern . Die ausländischen Arbeitgeber die allmorgendlich tausende Löhner zu uns entsenden lachen sich doch über unsere Dummheit kaputt . Hier in Schüttrange ist vor einigen Monaten ein grosses Familienhaus komplett ausnahmslos von Polen gebaut worden - nur Lieferwagen mit polnischen Kennzeichen vorort . Mit unserem übertriebenem Demokratiegetue machen wir uns selbst kaputt . Das Gleiche gillt mit Internet Einkauf - schlachten unseren Einzelhandel ....

Jscholnier
30. November 2017 - 7.19

Herr Montebrusco, ich stimme Ihnen zu, allerdings wird diese Regierung nicht unter dem Druck der Gewerkschaften einknicken. Einerseits , die Politik unserer Gewerkschaften alles nur Makulatur , alle aufgegriffenen Probleme dümpeln schon lange vor sich hin, bisher waren sie keine Zeile wert.Andererseits, unsere Politiker halten verkrampft an der Macht fest, ein Stühle rücken , unwahrscheinlich. Längst ist Politik zu einem Geschäft verkommen, ob auf Gewerkschafts-, Politikerseite, wo Machtansprüche und Egoismus den Idealismus , die Ehrlichkeit ersetzt haben.