StandpunktKlima-Sicherheitsnetze für alle

Standpunkt / Klima-Sicherheitsnetze für alle
 Foto: Lino Mirgeler/dpa

Jetzt weiterlesen! !

Für 0,59 € können Sie diesen Artikel erwerben.

Sie sind bereits Kunde?

Angesichts sich intensivierender Vorbereitungen für die diesjährige Klimakonferenz COP26 in Glasgow konzentriert sich derzeit die Aufmerksamkeit auf die Verhinderung einer künftigen Katastrophe. Doch spielen sich im Leben von Millionen der weltärmsten und schutzbedürftigsten Menschen bereits jetzt Klimakatastrophen ab. Was wird COP26 diesen Menschen bieten?

Wer mit einer Stecknadel in die Landkarte der weltweiten humanitären Notfälle pikst, landet höchstwahrscheinlich bei einer Krise, die durch Dürren, Überflutungen oder Stürme verursacht oder verschärft wurde. Extreme Wetterereignisse trieben 2019 über 34 Millionen Menschen in Hunger und Ernährungsunsicherheit. In den 55 Ländern mit Ernährungskrisen sind 75 Millionen Kinder unter fünf Jahren chronisch unterernährt und einem erhöhten Risiko von Durchfallerkrankungen, Lungenentzündungen und anderen mit Dürren und Überflutungen einhergehenden tödlichen Krankheiten ausgesetzt.

Save the Children reagiert auf diese Notfälle. Am Horn von Afrika behandeln unsere Ernährungsprogramme die Kinder aus durch wiederholte Dürren, Überflutungen und die schlimmste Heuschreckenplage seit einer Generation zugrundegerichteten bäuerlichen Familien. In der Sahelregion arbeiten wir mit Bevölkerungsgruppen zusammen, die von Dürren getroffen und durch zunehmend tödliche Wasserkonflikte zum Verlassen ihrer Heimat gezwungen wurden. Doch die humanitären Anstrengungen sind vom Ausmaß der Krise überfordert – und Schlimmeres steht noch bevor.

Eine der letzten Gelegenheiten

COP26 ist eine unserer letzten Gelegenheiten, die erforderlichen Maßnahmen umzusetzen, um die Temperaturen unter der 2015 im Pariser Klimaabkommen vereinbarten Schwelle von 1,5-2 ºC zu halten. Doch selbst eine Erwärmung um 1,5 ºC hätte, was die Armut und Mangelernährung in den ärmsten Ländern angeht, katastrophale Folgen. Klimawissenschaftliche Erkenntnisse deutend mit überwältigender Mehrheit auf weniger berechenbare Regenfälle, extremere, häufigere und länger anhaltende Dürren und zerstörerischere Stürme hin. Zugleich prognostiziert die Weltorganisation für Meteorologie für Afrika (die weltweit am stärksten von Nahrungsmittelunsicherheit geprägte Region) einen langfristigen Rückgang der Nahrungsmittelerträge.

Die reichen Länder investieren bereits stark in Maßnahmen zur Anpassung an Klimabedrohungen. Im Katastrophenfall können sich ihre Bürger auf ausgereifte Sicherheitsnetze, gut finanzierte Gesundheitssysteme und Vermögensverluste und -schäden abdeckende Versicherungen stützen. Überall in Europa werden derzeit die Maßnahmen zum Schutz vor Überflutungen verstärkt, und das aktuelle US-Landwirtschaftsgesetz umfasst ein Versicherungsprogramm des Bundes im Volumen von 39 Milliarden Dollar, um die stark subventionierten Produzenten gegen Ernteverluste abzusichern.

Man vergleiche dies mit der Lage der Bauern in Afrika. Wenn dort Extremwetterereignisse die Ernten vernichten, das Vieh töten und die Lebensmittelpreise in die Höhe treiben, reagieren die Familien, indem sie Mahlzeiten auslassen und die Ausgaben für Gesundheit und Bildung reduzieren. Aus Mangel an Versicherungen und Ersparnissen sind die ärmsten Haushalte gezwungen, ihr Produktivvermögen einschließlich ihrer Tiere zu verkaufen, was ihnen faktisch den Weg hin zu einer anschließenden Verbesserung ihrer Lage versperrt. Die Verluste an ihren Tierbeständen während der Dürre des Jahres 2016 kosteten Somalias Bauern schätzungsweise zwei Milliarden Dollar – ein außergewöhnlicher Vermögensschaden für eine der ärmsten Bevölkerungen der Welt.

Zu wenig und zu spät

Die bevorzugte Erstreaktion der internationalen Gemeinschaft auf Klimakatastrophen besteht in humanitärer Hilfe. Dies rettet Leben, doch hilft das aktuelle System unweigerlich zu wenig und zu spät. Im letzten Jahr stellten die Geber nur die Hälfte der von den Vereinten Nationen angeforderten Finanzmittel zur Verfügung – eine Rekordlücke. Und ein Großteil dieser Hilfe erfolgte erst, nachdem die gefährdetsten Familien bereits ihren Nahrungsmittelverbrauch reduzieren, ihre Kinder aus der Schule nehmen und Vermögenswerte verkaufen mussten.

Es gibt bessere Möglichkeiten, um die schutzbedürftigsten Bevölkerungen zu unterstützen. Vor drei Jahren traf ich in Wajir, einer wasserarmen Gegend in Nordkenia, im Gefolge einer verheerenden Dürre Hirtinnen, die es geschafft hatten, weder die Mahlzeiten ihrer Kinder zu reduzieren noch ihr Vieh zu verkaufen, weil sie Geld aus dem kenianischen Sicherheitsnetz gegen den Hunger erhalten hatten. Gleich nach Einsetzen der Dürre wurden (auf der Basis von Niederschlagsdaten) automatisch Geldzahlungen veranlasst.

Gut konzipierte Sicherheitsnetze haben Erfolg, wo humanitäre Hilfe häufig scheitert, weil sie schutzbedürftige Menschen auffangen, sobald diese abzustürzen beginnen, statt zu warten, bis sie am Boden liegen; daher bieten sie ein Sprungbrett zur Erholung. Es gibt eine Vielzahl von Belegen aus dem Sahel, vom Horn von Afrika und anderen Regionen, dass kleine Geldtransfers die Ernährung verbessern, die Investitionen erhöhen und die Ernteproduktion steigern, insbesondere wenn sie sich an Frauen richten. Und diese Programme können auf eine Krise schnell reagieren. Während der Dürre des Jahres 2017 wurde Äthiopiens Sicherheitsnetz auf zusätzliche drei Millionen Menschen ausgeweitet.

Resilienz gegenüber Klimawandel stärken

Frühes Handeln ist der Schlüssel zu einer raschen Erholung. Jeder Dollar, der am Horn von Afrika in den ersten Wochen einer Dürre in Erholungsmaßnahmen investiert wird, kann den dortigen armen Bauern 50 Dollar an Einkommens- und Vermögensverlusten vier Monate später ersparen. Kombiniert mit Frühwarnsystemen können Sicherheitsnetze eine Grundlage für die Krisenvermeidung bilden. In Bangladesch wurden schutzbedürftigen Haushalten im Vorfeld einer erwarteten Überflutung Zuschüsse gewährt, die sie in die Lage versetzten, die betroffenen Gebiete zu verlassen. Das Programm rette nicht nur Leben und schützte Vermögen, sondern erreichte auch doppelt so viele Menschen wie eine frühere humanitäre Hilfsaktion und kostete dabei nur halb so viel.

Zielgerichtete Sicherheitsnetze wären eine effiziente und gerechte Methode, um die Resilienz gegenüber dem Klimawandel zu stärken. Leider sind sie gegenwärtig dort am schwächsten, wo sie am dringendsten gebraucht werden. In den einkommensschwachen Ländern ist derzeit nicht einmal jeder Fünfte dadurch geschützt, und in Afrika sind Sicherheitsnetze chronisch unterfinanziert, bruchstückhaft und schlecht gerüstet, um der kritischen Herausforderung von Kinderarmut und Mangelernährung zu begegnen.

Auf der COP26 sollten die Staats- und Regierungschefs die Weltbank und die Vereinten Nationen mit der Entwicklung einer Strategie beauftragen, um die 155 Millionen von Ernährungskrisen betroffenen Menschen zu erreichen, und bei der Konzeption der Sicherheitsnetze den Kindern Priorität einräumen.

Eine Erhöhung der Finanzmittel wird – insbesondere angesichts der schlechten Haushaltslage vieler Entwicklungsländer im Gefolge der Pandemie – entscheidend sein. Die G7 hat bereits grundsätzlich zugestimmt, eine neue Zuteilung der Reservewährung des Internationalen Währungsfonds, der Sonderziehungsrechte (SDRs), zu bewilligen. Diese Mittel auf die ärmsten Länder umzuverteilen würde viel dazu beitragen, Haushaltsspielräume für Investitionen in Sicherheitsnetze zu schaffen. Dasselbe gilt für zusätzliche Schuldenerlasse und die von der zur Weltbankgruppe gehörenden Internationalen Entwicklungsorganisation vorgeschlagene Bereitstellung zusätzlicher 25 Milliarden Dollar.

Kein Mittel gegen Klima-Ungerechtigkeit

Als Ausrichter der COP26 sollte die britische Regierung ihre Bemühungen zur Anpassung an den Klimawandel darauf konzentrieren, Unterstützung für Sicherheitsnetze zu gewinnen. Eine Aufhebung ihrer jüngsten Entscheidung, das britische Entwicklungshilfebudget um ein Drittel zu kürzen, wäre ein guter Start. Die Kürzung der Unterstützung für Ernährungsprogramme und klimabezogene humanitäre Hilfe in Regionen wie dem Sahel und dem Horn von Afrika ist eine kurzsichtige Verletzung von Führungsverantwortung und eine beschämende Abkehr vom Multilateralismus.

Sicherheitsnetze sind kein Mittel gegen Klima-Ungerechtigkeit. Doch im Verbund mit entschlossenen Maßnahmen, um die Emissionen bis Mitte des Jahrhunderts auf einen Nettowert von null zu drücken, könnten sie das Leid derjenigen begrenzen, die die geringste Verantwortung für die Klimakrise tragen. Wir müssen diese Chance auf der COP26 ergreifen.

* Kevin Watkins ist CEO von Save the Children UK.
Aus dem Englischen von Jan Doolan
Copyright: Project Syndicate, 2021.

www.project-syndicate.org

Realist
7. April 2021 - 13.38

Lucilinburhuc: Es brennt nicht. Im Gegenteil: Draussen ist es trotz Frühling a...kalt, und wenn jemand heute fürs Klima hüpft, dann höchstens um sich aufzuwärmen. Und was Greta will, was ich will und was wir beide bekommen oder auch nicht bekommen steht in den Sternen.

Lucilinburhuc
7. April 2021 - 11.00

„Ich will, dass ihr in Panik geratet. Ich will, dass ihr die Angst spürt, die ich jeden Tag spüre. […] Ich will, dass ihr handelt, als würde euer Haus brennen. Denn es brennt.“ Greta Thunberg