In Warschau„Jetzt räumen wir auf!“: Polens Opposition marschiert für demokratische Wahlen

In Warschau / „Jetzt räumen wir auf!“: Polens Opposition marschiert für demokratische Wahlen
Hunderttausende nahmen am Protest gegen die Politik der PiS-Regierung teil Foto: dpa/Leszek Szymanski

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In Warschau haben am Sonntag Hunderttausende Menschen gegen den Kurs der rechtsgerichteten polnischen Regierung protestiert. Der Marsch „gegen Teuerung, Diebstahl und Lüge“ könnte die größte Demonstration in Polen seit der demokratischen Wende von 1989 gewesen sein.

„Jetzt räumen wir auf!“, heißt es auf einem am Besen befestigten Plakat. „Kaczynski = Diktator – ab vors Staatstribunal!“ und „Duda = Marionette“ ist auf anderen zu lesen. Zehntausende Polen sind am Sonntag aus allen Landesteilen nach Warschau gefahren, um an einem von der liberalen Opposition organisierten Marsch „gegen Teuerung, Diebstahl und Lüge“ teilzunehmen. Die Veranstaltung verwandelte die Hauptstadt in ein Meer von polnischen und EU-Flaggen, das an vielen Orten entlang der Marschroute in der Innenstadt den Charakter eines Volksfests annahm.

Wir sind heute hier, um der ganzen Welt zu zeigen, dass wir stark und bereit sind, wie vor 40 Jahren für Demokratie und Freiheit zu kämpfen

Donald Tusk, Parteivorsitzender der liberalen Bürgerplattform

Der Parteivorsitzende der liberalen Bürgerplattform (PO), Donald Tusk, hatte bereits Mitte April zu dem Protestmarsch aufgerufen, der nicht zufälligerweise auf dieses Datum Anfang Juni hin organisiert wurde. Der 4. Juni markiert nämlich die ersten halbfreien Wahlen des Ostbocks vor 34 Jahren. Sie beendeten nach dem „Runden Tisch“ zwischen der Gewerkschaft Solidarnosc und der realsozialistischen Regierung die Diktatur der Polnischen Arbeiterpartei PZPR und führten indirekt auch zum Mauerfall in Berlin.

„Wir sind heute hier, um der ganzen Welt zu zeigen, dass wir stark und bereit sind, wie vor 40 Jahren für Demokratie und Freiheit zu kämpfen“, sagte Tusk zum Beginn des kilometerlangen Demonstrationszugs. Er sehe Zehntausende, die sich nicht hätten brechen und verängstigen lassen, beschwor Tusk den Geist der antikommunistischen Proteste der 1980er-Jahre herauf. An der Seite des informellen Oppositionsführers Tusk trat auch Polens Arbeiter- und Freiheitsheld Lech Walesa auf, was den Ernst der politischen Situation in Polen unterstreichen sollte.

PiS-Politiker spricht von „Marsch des Hasses“

Polens Justizminister Zbigniew Ziobro bezeichnete die Demonstration dagegen bei einem Auftritt in Südostpolen als „Marsch des Hasses, der Niedertracht und der Vulgarität“.

Als große Motivation zur Demo-Teilnahme entpuppte sich ein umstrittenes Gesetz von letzter Woche, das Tusk und alle anderen Oppositionspolitiker künftig von der Ausübung eines öffentlichen Amtes, etwa als Minister, ausschließen kann. Eine von der PiS-Mehrheit im Parlament berufene Sonderkommission soll demnach Personen ausfindig machen, die angeblich russische Interessen in Polen vertreten haben sollen, und diese mit einem Amtsverbot von bis zu zehn Jahren bestrafen. Genau dies wird von PiS Tusk seit Jahren vorgeworfen.

Die Berufung einer Sonderkommission mit derart weitreichenden Vollmachten hat dazu geführt, dass weitere wichtige Oppositionsparteien den PO-Marsch unterstützten und ihre Anhänger aufforderten, daran teilzunehmen. Dazu gehört das katholische Bündnis „Dritter Weg“ und die neue Bauernpartei Agro-Union. Zusammen mit der PO kommen sie derzeit in den Umfragen auf knapp über 50 Prozent Wähleranteil. Allerdings sind es noch fünf Monate bis zu den Parlamentswahlen.

In Warschau wurden jedenfalls bis Sonntagmittag vom Onlineportal onet.pl mindestens 300.000 friedliche Demonstranten geschätzt. Dies wäre die größte Demonstration in Polen seit der demokratischen Wende von 1989.