Nach dem G7-GipfelIndustrieländer loben ihre Einigkeit, Hilfsorganisationen geben sich enttäuscht

Nach dem G7-Gipfel / Industrieländer loben ihre Einigkeit, Hilfsorganisationen geben sich enttäuscht
Mitglieder der Umweltschutzbewegung Extinction Rebellion sind nicht zufrieden mit den Ergebnissen des G7-Treffens Foto: Ben Birchall/PA Wire/dpa

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Mehr als zwei Milliarden kostenlose Corona-Impfdosen für die Welt, bessere Koordination bei klimafreundlichen Infrastruktur-Projekten, klare Konkurrenz zu China – zum Abschluss des G7-Gipfels im englischen Cornwall haben die Staats- und Regierungschefs am gestrigen Sonntag erhebliche staatliche Investitionen versprochen und die globale Führungsrolle für die größten westlichen Industriestaaten bekräftigt. Umweltlobbyisten und Entwicklungshelfer kennzeichneten die Ergebnisse als „eine historische verpasste Gelegenheit“, die Covid-Pandemie zu besiegen und einen umweltverträglichen Aufschwung einzuleiten.

Welche Erwartungen gab es?

Beim ersten persönlichen Treffen seit zwei Jahren wollten die Gäste aus Kanada, Japan und den USA sowie die drei Europäer Angela Merkel (Deutschland), Frankreichs Emmanuel Macron und der italienische Ministerpräsident Mario Draghi unter Vorsitz des britischen Gastgebers Boris Johnson eine klare Botschaft senden: Der Westen ist wieder da. Möglich wurde dies vor allem durch den neuen Bewohner des Weißen Hauses: Joe Biden symbolisiert die Rückkehr der USA zum vertrauensvollen Gespräch mit Verbündeten in multilateralen Foren, ohne dabei den amerikanischen Führungsanspruch aufzugeben. „Wie eine frische Brise“ habe er den Dialog mit dem 78-Jährigen empfunden, schwärmte Premier Johnson.

Auch die scheidende Führungsperson auf europäischer Seite ließ keine Gelegenheit aus, die neue Einigkeit zu feiern: Gemeinsam habe man „ein ganz eindeutiges Bekenntnis zur Regel-basierten, multilateralen Welt“ abgelegt, freute sich Kanzlerin Merkel. „Gemeinsam können wir mit neuem Elan an der Lösung der Probleme arbeiten.“

Welche Probleme lagen auf dem Tisch? Wie sieht deren Lösung aus?

„Besser und grüner aufbauen“ – sein innenpolitisches Motto hatte Brexit-Premier Johnson auch dem Gipfel vorgegeben. Allerdings, darin waren sich die Teilnehmer einig, kann der Wiederaufbau der Weltwirtschaft nur gelingen, wenn auch der Kampf gegen Sars-CoV-2 erfolgreich ist. Zu Beginn der Tagung war von insgesamt einer Milliarde Impfdosen für Entwicklungsländer binnen Jahresfrist die Rede; bis Ende 2022 würden 2,3 Milliarden Dosen produziert und verteilt werden, teilte Kanzlerin Merkel mit.

Die G7-Länder wollen den Firmen dabei helfen, auch in bisher kaum geimpften Regionen wie Afrika rasch die Herstellung ihrer Vakzine voranzutreiben. Der Chef der Weltgesundheitsorganisation WHO, Tedros Adhanom Ghebreyesus, goss Wasser in den Gipfelwein: Um die Welt ausreichend zu versorgen, seien elf Milliarden Dosen nötig. Dementsprechend kritisierte eine Koalition von Hilfsorganisationen den Plan heftig als „zu wenig und zu spät“.

Wie soll die Weltwirtschaft angekurbelt werden?

Mario Draghi, der hochgeachtete frühere Chef der Europäischen Zentralbank (EZB), sprach vornehm von „expansiver Fiskalpolitik“, vulgo: große Staatsausgaben und höhere Steuern. Tatsächlich besiegelte das Treffen die von der Pandemie beschleunigte Trendwende in der Wirtschafts- und Finanzpolitik: Möglichst dauerhafte, „grüne“ Investitionen sind sexy, Schuldenabbau gilt als Konzept für übermorgen.

Zur Finanzierung höherer Staatsausgaben hatten sich vergangene Woche die G7-Finanzminister auf eine neue Digitalsteuer sowie den Mindestsatz von 15 Prozent für die Besteuerung global tätiger Unternehmen geeinigt. Mit mehr Geld in der Staatskasse wollen die Teilnehmer zukünftig ein bisher verpasstes Versprechen einhalten: Entwicklungsländer sollen jährlich 100 Milliarden Dollar zur Umrüstung ihrer Volkswirtschaften auf Nachhaltigkeit bekommen.

Beim eigenen Klimaschutz verpflichteten sich die G7-Staaten bis 2030 auf eine annähernde Halbierung ihrer Emissionen von 2010. Bis spätestens 2050 werde dann Klima-Neutralität erreicht. Damit soll die Erderwärmung auf 1,5 Grad begrenzt bleiben.

Was hat es mit dem „neuen Marshallplan“ auf sich?

Die amerikanische Initiative richtet sich gegen die chinesische „neue Seidenstraße“. Anders als Peking, das die Empfängerländer durch dubiose Kredite systematisch in seine wirtschaftliche Abhängigkeit zwingt, werde die Finanzierung klimaverträglicher Infrastruktur-Projekte durch die G7 „nicht an Bedingungen“ geknüpft sein, kündigte Biden an. Man müsse der „erfolgreichen“ Politik Chinas etwas entgegensetzen, pflichtet ihm Merkel bei. Eine Taskforce soll nun konkrete Projekte sammeln und dem nächsten G7-Gipfel in Deutschland vorlegen.

Wie positioniert sich die G7 gegenüber der asiatischen Supermacht?

Vorsichtiger als von Biden und Johnson gewünscht. Nicht zuletzt Merkel betonte bei jeder Gelegenheit, man werde mit Peking in vielen globalen Fragen, nicht zuletzt beim Klimaschutz, auch weiterhin zusammenarbeiten müssen. Die Abschlusserklärung geht nur indirekt auf die Behinderung westlicher Firmen in China ein: Man wolle „Praktiken unterbinden, die den fairen Handel beeinträchtigen“. In der Region Xinjiang, wo Millionen von Muslimen unterdrückt und zur Zwangsarbeit verdonnert werden, solle Peking die Menschenrechte einhalten.

Unbequem für das kommunistische Regime dürfte auch die G7-Forderung nach einer „zeitigen und transparenten“ Untersuchung der Pandemie-Ursache werden. Dadurch trägt das Septett, unterstützt von den indo-pazifischen Demokratien Indien, Südkorea und Australien, den wachsenden Zweifeln an Pekings Offenheit Rechnung.

Die Reaktion ließ nicht lang auf sich warten. „Die Zeit, als eine kleine Gruppe von Staaten globale Entscheidungen treffen konnten, ist längst vorbei“, teilte ein Sprecher der chinesischen Botschaft in London mit.

Wie war die Stimmung?

Gut, na klar. Von „wichtigen Beratungen in wunderschönem Umfeld“, sprach Merkel und traf damit den Ton. Jenseits der Politik trugen die wildromantische Landschaft des äußersten Südwestens Englands und das stetig besser werdende Wetter zur guten Stimmung bei, allen technischen Schwierigkeiten zum Trotz. Für royalen Glamour sorgten drei Generationen der Königsfamilie, angeführt von der 95-jährigen Königin Elizabeth II. Im großartigen Botanischen Garten bei St. Austell (Eden-Projekt) warb Thronfolger Prinz Charles für bessere Koordination von Staatsgeldern und Privatinvestitionen bei der Finanzierung klimaneutraler Projekte weltweit.

Wie geht es für den US-Präsidenten weiter?

Joe und Jill Biden wurde am Sonntagabend noch eine besondere Ehre zuteil: Queen Elizabeth II empfing das amerikanische Präsidentenpaar auf Schloss Windsor bei London. Seit ihrer Thronbesteigung 1952 bewohnten 14 Präsidenten das Weiße Haus; außer Lyndon Johnson (1964-70) hat die heute 95-Jährige alle persönlich kennengelernt.

Am Montag und Dienstag trifft Biden eine Reihe seiner G7-Partner schon wieder persönlich, nämlich beim NATO-Gipfel sowie bei den US-Konsultationen mit der EU. Am Mittwoch kommt es dann zum Abschluss der einwöchigen Europareise in Genf zur Begegnung mit Russlands Präsident Wladimir Putin.