/ Inder erhalten illegale Antibiotika-Cocktails
Von unserer Korrespondentin Elke Bunge
Multinationale Konzerne produzieren und verkaufen Unmengen nicht zugelassener Antibiotika in Indien. Dies könnte erklären, warum gerade in Indien besonders viele multiresistente Erreger entstehen. Das geht aus einer neuen Studie hervor.
Es ist ein Handel mit schweren Folgen: In Indien werden Antibiotika-Cocktails illegal produziert und vertrieben. Cocktail, das heißt, es wird nicht von der Wirksamkeit eines einzigen Wirkstoffs ausgegangen, sondern gleich zwei oder sogar mehr verschiedene Antibiotika befinden sich in einer einzigen Tablette.
In Europa und USA nicht zugelassen
Diese Präparate sind in Indien im Trend: Von den insgesamt 204 sich im Handel befindlichen Antibiotika-Medikamenten sind mehr als die Hälfte, nämlich 118, derartige Kombinationspräparate. Statt auf einen einzigen Wirkstoff zu vertrauen, werden in Indien ein Drittel aller Patienten mit einem Wirkstoff-Cocktail behandelt. Von diesen Kombinationspräparaten sind nur fünf Präparate in Europa oder den USA als Medikament zugelassen. Zu diesem Ergebnis kommt jetzt eine Studie der klinischen Pharmakologin Patricia McGettigan und ihrer Kollegen von der Queen Mary University of London. Diese aktuell in der Fachzeitschrift British Journal of Clinical Pharmacology publizierte Studie hat untersucht, wie viele und welche Antibiotikapräparate von 2007 bis 2012 in Indien verkauft wurden und wie viele davon die Zulassungsvorschriften Indiens, der USA oder Europas erfüllen.
Aus Kostengründen in Asien produziert
Medikamente, deren Patente abgelaufen sind, bringen den Pharmakonzernen keine großen Gewinne mehr ein. Generika können preiswert von anderen Herstellern produziert werden. Um diese immer günstiger zu produzieren, haben westliche Hersteller die Wirkstoffproduktion nach Asien verlagert. Doch genau diese Verlagerung könnte ein Grund sein, warum gerade in Indien resistente Erreger vermehrt auftauchen. Denn hier fehlt schlicht die Kontrolle und so kommen Präparate-Cocktails in den Umlauf. Von den 118 sich im Handel befindlichen Kombinationspräparaten erfüllen 64 Prozent nicht einmal die nationalen Zulassungsbestimmungen, so die aktuelle Studie. Allein 53 dieser Wirkstoffkombinationen werden von multinationalen Konzernen produziert. Die Forscher sind schockiert: „Wie erklären diese Konzerne die Tatsache, dass sie in Indien massenhaft Produkte verkaufen, die in ihrem eigenen Land nicht zugelassen wären und teilweise selbst in Indien nicht den Vorschriften genügen?“
Brutstätte multiresistenter Keime
Mit der Produktion beginnt auch die unbewachte Einnahme der Kombipräparate. „Der freie Verkauf unkontrollierter, nicht zugelassener Antibiotika unterminiert alle Bemühungen, die grassierende Ausbreitungen von Resistenzen einzudämmen“, betont McGettigan. Heute gehört Indien zu den Ländern mit den höchsten Antibiotika-Resistenzraten. Höchst gefürchtet ist seit einigen Jahren das Enzym NDM-1, benannt nach der Stadt, in der es entdeckt wurde: Neu-Delhi (M-1 steht für Metallo-Betalaktamase 1). Gegen dieses von den Bakterien gebildete Enzym gibt es, so das Robert-Koch-Institut in Berlin, nur noch zwei Antibiotika, die Erreger mit NDM-1 bekämpfen können.
Diese Entwicklung ist nicht nur gefährlich für die Menschen im eigenen Land. Der internationale Reiseverkehr führt zu einer Verteilung multiresistenter Bakterien über den gesamten Globus. NDM-1 hat längst in anderen Ländern Einzug gehalten. 700.000 Menschen fallen jedes Jahr antibiotikaresistenten Krankheitserregern zum Opfer, so die Weltgesundheitsorganisation WHO.
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