RusslandIn seiner Jahresbotschaft droht Putin dem Westen und verspricht den Russen viel

Russland / In seiner Jahresbotschaft droht Putin dem Westen und verspricht den Russen viel
Kein Wort über die Ukraine, keines über Nawalny: Auch bei seiner Rede lässt Putin die Öffentlichkeit über seine Absichten im Ungewissen  Foto: AFP/Alexander Nemenov

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In seiner Jahresbotschaft warnte der Kreml-Chef den Westen vor „asymmetrischer“ Reaktion auf Provokationen. Und er stellte soziale Verbesserungen nach Corona in Aussicht.

Wieder einmal hat Wladimir Putin sein Publikum verblüfft. Seine Rede an die Nation vom Mittwoch im Moskauer Ausstellungszentrum Manege war mit großer Spannung erwartet worden. Die Kommentatoren hatten sich im Vorfeld mit Mutmaßungen übertroffen: Würde Putin einen offenen Krieg gegen Kiew erklären? Würde er harte Maßnahmen gegen den Westen ankündigen? Oder gar den „Anschluss“ von Belarus an Russland verkünden? Der belarussische Machthaber Alexander Lukaschenko wird heute, Donnerstag, in Moskau erwartet. Das Timing wirkte irgendwie auffällig.

Nichts von alledem ist eingetreten. Es war eine über weite Strecken langweilige Rede, die viele Putinsche sozialpolitische Ankündigungen enthielt. Im Publikum saßen trotz Corona-Krise hunderte hochrangige Beamte eng beieinander, nur etwa ein Drittel trug eine Maske, obwohl es eigentlich allgemeine Vorschrift ist. Nach eineinhalb Stunden stellte manch ein Beobachter erleichtert fest: „Das war’s? – Glück gehabt!“ Wobei: Beim Kreml-Chef weiß man nie ganz genau, was noch alles kommt.

Putin zieht Vergleiche mit dem „Dschungelbuch“

Außenpolitisch hielt sich Putin jedenfalls bis zum Schluss zurück. Erst gegen Ende der Ansprache kritisierte er „unfreundliche Aktionen“ des Westens. Russland für vermeintliche Untaten zu beschuldigen, sei für einige Länder „zu einer Art Sport“ geworden. Dabei verglich er die Vereinigten Staaten und ihre Verbündeten mit Figuren aus dem „Dschungelbuch“ des – wie er ihn nannte – „großen Schriftstellers“ Rudyard Kipling: Rund um den bösen Tiger Shere Khan würden sich „allerlei kleine Tabaqui“ (hinterlistige Schakale) sammeln. Bei Überschreitung roter Linien werde Moskau „asymmetrisch, schnell und hart“ reagieren.

Es sind Drohgebärden, wie man sie vom Kreml gewohnt ist. Konkreter wurde Putin lediglich in einer Causa: Er ereiferte sich über das Schweigen des Westens im Fall eines angeblichen Attentatsversuchs gegen Lukaschenko. Lukaschenko selbst hatte in der Vorwoche behauptet, dass „wahrscheinlich der CIA oder das FBI“ für einen (misslungenen) Putschversuch gegen ihn verantwortlich seien. In Moskau gab es in diesem Zusammenhang zwei Festnahmen. Viel mehr wurde über den mutmaßlichen Attentatsplan nicht bekannt.

Machtdemonstration mittels Nichtkommentierung

Aktuelle Themen hat Putin bei seiner Rede bewusst nicht kommentiert. Damit demonstriert er seine Macht. Der Kreml-Chef lässt die Öffentlichkeit über seine Absichten im Ungewissen. Das gehört zu seiner politischen (Verwirr-)Taktik. Kein Wort also über den russischen Truppenaufmarsch an der russisch-ukrainischen Grenze, der Europa derzeit in Atem hält. Kein Wort auch über seinen schärfsten Kritiker Alexej Nawalny, dessen Anhänger für den Abend Proteste angekündigt hatten.

Noch während Putin sprach, wurden (aufgrund der innerrussischen Zeitdifferenz) in sibirischen Städten Demonstranten verhaftet. In Moskau sollte die Kundgebung auf dem Manege-Platz stattfinden – just an der Stelle, wo Stunden zuvor der Kreml-Chef vor hunderten Zuschauern gestanden war. Das Areal war allerdings schon tagsüber weiträumig abgesperrt, die Polizeipräsenz im Zentrum enorm.

Die meiste Zeit sprach Putin am Mittwoch über die soziale und wirtschaftliche Lage in Russland seit Ausbruch der Corona-Pandemie. Das russische Gesundheitssystem habe die Pandemie besser überstanden als viele andere Länder, erklärte er und rief seine Mitbürger zur Impfung auf. Über die hohe Übersterblichkeit in seinem Land verlor er kein Wort.

Kurz ist Russland zu sehen, wie es wirklich ist

Es sollte der Eindruck entstehen, dass Russland sich bereits in der „Post-Covid“-Ära befände, die Krise überstanden sei. Freilich sinken die Realeinkommen der Bürger schon seit mehreren Jahren, und nicht erst seit Corona. Vor der Duma-Wahl im Herbst sieht der Kreml die Notwendigkeit, sozial schwache Bevölkerungsgruppen mit Geldgeschenken zu helfen. Putin stellte etwa baldige finanzielle Zuschüsse für Alleinerziehende und Schwangere in Aussicht. Auch dem Gesundheitsbereich, Bildungssektor, Tourismus und der Regionalentwicklung widmete der Kreml-Chef mit vielen kleinen Maßnahmen Aufmerksamkeit. Eine große Vision blieb er schuldig.

Putin rief die Russen auf, weiterhin vorsichtig zu bleiben und die geltenden Hygienemaßnahmen zu beachten. Kameraschwenk auf die Gesichter der Zuhörer, die wenigsten mit Masken. Für einen kurzen Moment war Russland zu sehen, wie es wirklich ist.

HTK
24. April 2021 - 9.10

Drohen und versprechen.Was sonst.