QuergelesenImmer nahe an der Grenze zwischen Zivilisation und Wildnis

Quergelesen / Immer nahe an der Grenze zwischen Zivilisation und Wildnis
Friedrich Gerstäcker

Jetzt weiterlesen! !

Für 0,59 € können Sie diesen Artikel erwerben.

Sie sind bereits Kunde?

Nachtrag zum 150. Todestag von Friedrich Gerstäcker, eines begnadeten Erzählers von altem Schrot und Korn, in dem René Oth den Meister der Abenteuerliteratur sieht.

Friedrich Gerstäcker (10.5.1816-31.5.1872) sammelte auf zahlreichen Reisen in fast alle exotischen Gefilde der Erde die Stoffe für seine bekannten Abenteuer- und Reisegeschichten. Dass es vor allem der ferne Westen Nordamerikas war, der ihn am meisten beeindruckte, bezeugen seine drei Romane „Die Regulatoren in Arkansas“ (1846), „Die Flusspiraten des Mississippi“ (1848) und „Gold“ (1858), die von ihrem Erscheinen an weit über ein Jahrhundert bis in unsere Tage Bestseller gewesen sind.

Aus den frühen Tagen des Wilden Westens

Auf dem deutschsprachigen Buchmarkt liegt derzeit nur eine einzige rezente Ausgabe des 44 Bände umfassenden Œuvres von Friedrich Gerstäcker vor: „Die Flusspiraten des Mississippi“ (1). Darin terrorisiert eine Räuberbande das gesamte Gebiet entlang des mächtigen Stroms und betreibt sogar auf einer der zahlreichen Inseln des Mississippi eine Falschmünzerei, mit deren gefälschten Banknoten die Kaufkraft der gesamten westlichen Territorien unterhöhlt wird. Weil sich dagegen das Gesetz als machtlos erweist, greifen die Flussanrainer zur Selbsthilfe, indem sie auf sich allein gestellt den Kampf gegen die Banditen aufnehmen.

Nicht nur in diesem Roman konnte der Autor seine amerikanischen Erlebnisse so anschaulich darbieten, dass selbst Karl May auf dessen Geländebeschreibungen, Handlungsstränge und Protagonisten zurückgriff.

Es gibt noch einen kleinen schmucken Band von Friedrich Gerstäcker, der derzeit erhältlich ist: „Der Flatbootmann und andere Erzählungen“ (2), die in den amerikanischen Südstaaten und im einsamen Washita-Gebirge spielen und in temporeiche, spannende Action eingekleidet sind. „Der Flatbootmann“ und „Schwarz und Weiß“ prangern das Unrecht der Sklaverei an und schildern den Kampf tapferer Menschen um ihre Freiheit, wohingegen in „Die Wolfsglocke“ das Ringen der Pioniere mit der unbarmherzigen Wildnis voll zum Tragen kommt.

Der Globetrotter mit der geschliffenen Feder

Während seiner ausgedehnten Streifzüge durch die Wildnis der Vereinigten Staaten von Amerika hatte Friedrich Gerstäcker das urwüchsige, raue, ungebundene Dasein in einer unberührten Landschaft zu schätzen gelernt, was sich auch in der Darstellung widerspiegelt, die ein Mitbürger von ihm gab:

„Er war durchaus Naturmensch, ein sogenannter unbeleckter Bär. Er kümmerte sich wenig um guten Ton und Mode. Ein Schlapphut von grauem Filz oder ein breitrandiger Panamastrohhut, eine Joppe und dicke Stiefel mit bauschigen Hosen darüber bildeten seine Bekleidung. Im Umgang war er ohne Umstände, zwanglos und ziemlich amerikanisch, in der Haltung nachlässig und im Gespräch harmlos und lustig. Er gab sich keinerlei Mühe, bedeutend zu erscheinen. Er redete, wie ihm der Schnabel gewachsen war.“

Im Land der „unbegrenzten Möglichkeiten“ übte Friedrich Gerstäcker zahllose Berufe aus: Er war Matrose, Koch und Heizer auf einem Dampfboot, Gehilfe eines Silberschmieds und eines Apothekers, Leiter eines Hotels, Lehrer, Schilfrohrschneider, Jäger und Trapper.

Spannende Lesehits aus der guten alten Zeit

Nicht nur in seinen prallbunt-bewegten Geschichten, die im Far West angesiedelt sind, schöpfte der Schriftsteller voll aus der eigenen Erfahrung. Auch seine Erzählungen aus Südamerika verfasste er aus ureigenem Erleben heraus und nicht aus der flüchtigen Sicht des Touristen. So zog er mit einem Postreiter durch die weiten Steppen der Pampa, die damals noch von wilden indianischen Reitervölkern beherrscht wurden, unter denen sich die unbeugsamen Penchuenchen hervortaten, die im Mittelpunkt seiner Kurzgeschichte „Das Fort an der Salzfurt“ erfolgreichen agieren. Diese Erzählung lässt sich in der von mir betreuten Anthologie „Winnetous Rote Brüder: Klassische Indianergeschichten“ (3) nachlesen.

Mit seinen Klassikern des ethnografischen Abenteuerromans, die sich durch zupackende Frische auszeichnen, vermochte Friedrich Gerstäcker sogar an Popularität seinen im gleichen Zeitraum schreibenden Zunftkollegen Charles Sealsfield (1793-1864) zu überrunden, dessen literarische Glanzleistung „Häuptling Tokeah und die Weiße Rose“ (4) auch rezent neu aufgelegt wurde. Darin zieht sich der weise Indianer Tokeah mit seinem Stamm vor dem Ansturm der weißen Siedler immer tiefer in noch unbewohnte Gebiete zurück, um weiterhin nach den Regeln der Vorfahren leben zu können.

Ein Zeitgenosse hatte Charles Sealsfield als einen Autor „von hoher dichterischer Befähigung, glühender Fantasie, rastloser Lebendigkeit und scharfem Blick“ charakterisiert, was sich auch ohne Weiteres auf Friedrich Gerstäcker beziehen könnte, dessen Szenen und Motive Karl May genau studierte – und übernahm.

Charles Sealsfield
Charles Sealsfield

Lesetipps

(1) Friedrich Gerstäcker: „Die Flusspiraten des Mississippi“ (Unionsverlag, Zürich, 416 S., 14,95 Euro)

(2) Friedrich Gerstäcker: „Der Flatbootmann und andere Erzählungen“ (Edition Ustad im Karl May Verlag, Bamberg, 280 S., 5,00 Euro)

(3) René Oth (Hrsg.): „Winnetous Rote Brüder: Klassische Indianergeschichten“ (Karl May Verlag, Bamberg, 464 S., 6,99 Euro)

(4) Charles Sealsfield: „Häuptling Tokeah und die Weiße Rose“ (Unionsverlag, Zürich, 384 S., 12,90 Euro)