ÖsterreichIbiza-Untersuchungsausschuss: Wurde die Kanzlerpartei von ihr nahestehenden Ermittlern begünstigt?

Österreich / Ibiza-Untersuchungsausschuss: Wurde die Kanzlerpartei von ihr nahestehenden Ermittlern begünstigt?
Der Rechtspopulist Heinz-Christian Strache bei der ersten Sitzung des Ibiza-Untersuchungsausschusses Foto: AFP/APA/Helmut Fohringer

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Der Ibiza-Untersuchungsausschuss im österreichischen Parlament brachte bisher viele schweigsame Zeugen, dafür aufschlussreiche Zeugnisse fragwürdiger Zustände bei den Ermittlungen.

Vor acht Tagen hat sich der Nationalrat daran gemacht, den größten Politskandal der zweiten Republik politisch aufzuarbeiten. Der „Untersuchungsausschuss betreffend mutmaßliche Käuflichkeit der türkis-blauen Bundesregierung“, so die offizielle Bezeichnung, soll klären, ob das korrupte Potenzial, das Ex-FPÖ-Chef Heinz-Christian Strache vor fast drei Jahren gegenüber einer vermeintlichen Oligarchen-Nichte bei laufenden Kameras erkennen lassen hatte, in der wenige Monate danach mit der ÖVP eingegangenen Koalition zur Entfaltung gekommen ist.

Allzu ergiebig waren die Informationen bisher allerdings nicht. Die Hauptdarsteller des Ibiza-Videos – Strache und sein Adlatus Johann Gudenus – machten exzessiv Gebrauch vom Entschlagungsrecht: Da gegen beide auch strafrechtliche Ermittlungen laufen, müssen sie Fragen nicht beantworten, wenn sie sich damit selbst belasten könnten. Strache blieb dabei, dass er dem als Milliardärin auftretenden Lockvogel keinerlei unmoralischen Angebote gemacht haben will. In den bekannten Sequenzen des den Abgeordneten noch immer nicht in voller Länge zugänglich gemachten Videos klingt das freilich etwas anders. Mit Aussagen wie „Novomatic (Glücksspielkonzern, Anm. d. Red.) zahlt alle“ will Strache nur „Gerüchte“ über Spendenflüsse an die Parteien transportiert haben. Und der koalitionäre Postenschacher ist ohnehin österreichische Tradition. Gegen die zu kämpfen war die FPÖ zwar angetreten, aber Strache bestätigte eine „Struktur“ der türkis-blauen Koalition, wonach Posten in Politik und staatsnaher Wirtschaft zu zwei Drittel an die ÖVP und zu einem Drittel an die FPÖ gehen sollten. Die strafrechtlich relevante Frage, ob etwa der Novomatic-Vorstandsposten für einen FPÖ-Bezirksrat als Gegenleistung für Gesetze im Sinn des Glücksspielkonzerns gedacht war, bleibt offen. Natürlich hat der im Februar abgelöste Konzernchef Harald Neumann vor dem Ausschuss jeglichen Deal mit der FPÖ oder anderen Parteien kategorisch bestritten. Dem steht ein bei einem Novomatic-Manager gefundenes Dokument entgegen, das die Staatsanwaltschaft als „Preisliste“ für von Novomatic angestrebte Kasinolizenzen einstuft.

Auch der Ex-FPÖ-Abgeordnete Markus Tschank, der für FPÖ-nahe Vereine sechsstellige Summen aus dem Verteidigungsministerium oder eben von Novomatic entgegengenommen hatte, versteckte sich hinter dem Entschlagungsrecht. Gegen ihn laufen ebenfalls strafrechtliche Ermittlungen. Und für alle gilt die Unschuldsvermutung.

Wo sind die Kurz-SMS?

Die Schweigsamkeit der Auskunftspersonen macht es der Opposition schwer, Salz in die türkis-blaue Ibiza-Wunde zu streuen. Doch aufschlussreich kann auch sein, was in den Akten nicht enthalten ist. Zum Beispiel die Nachrichten, die Strache mit Bundeskanzler Sebastian Kurz (ÖVP) ausgetauscht hat. Das Handy des Ex-Vizekanzlers wurde beschlagnahmt, sodass den Ermittlern alle Chatverläufe bekannt sind. Darin ging es um Posten und mögliche Gegenleistungen. Strache hat mit vielen kommuniziert. Natürlich auch mit Kurz, wie er im Ausschuss bestätigte. Doch seltsamerweise finden sich genau diese SMS beziehungsweise Whatsapp-Nachrichten nicht in den Akten.

SPÖ und Neos haben bereits eine „ergänzende Beweisanforderung“ an das ÖVP-geführte Innenministerium und das von der Grünen Alma Zadic geleitete Justizministerium geschickt. „Wir wollen, dass uns die Rohdaten der Verläufe via SMS & Co. übermittelt werden“, so der sozialdemokratische Abgeordnete Kai Jan Krainer. Was die Ermittler der Ibiza-Sonderkommission (Soko Tape) „herausdestilliert“ hätten, reiche nicht. 14 Tage haben die Ministerien Zeit. „Dass die Kurz-Chats partout nicht an die Öffentlichkeit gelangen, wirft ein seltsames Licht auf die Sache“, findet auch FPÖ-Generalsekretär Christian Hafenecker, dessen Partei den ehemaligen Koalitionspartner in der Causa Ibiza nicht ungeschoren davonkommen lassen will.

Das Innenministerium steht nicht nur wegen der ausständigen Kurz-SMS in der Kritik. Für Empörung sorgte auch die Aussage von Oberstaatsanwalt Matthias Purkart, der den Abgeordneten von einem Dokument berichtete, das die dem Innenministerium unterstehenden Ermittler an die Wirtschafts- und Korruptionsstaatsanwaltschaft übermittelt hatten. Es handelte sich um eine beim ÖVP-nahen Casinos-Aufsichtsratschef Walter Rothensteiner beschlagnahmte Notiz, in der es um ein Treffen zwischen Kurz und dem früheren ÖVP-Chef sowie Casinos-Aufsichtsrat Josef Pröll geht. Der Zettel war freilich so eingescannt worden, dass – Zufall oder Absicht? – der Name Kurz nicht zu lesen war.

ÖVP-Kandidat als Ermittler

Die Aussage des Oberstaatsanwaltes bestätigte einerseits ein gestörtes Verhältnis zwischen Ermittlern und Justiz, andererseits nährt sie den schon seit Längerem gehegten Verdacht parteipolitischer Ermittlungstendenzen im Innenministerium. So war in der „Soko Tape“ auch ein Ermittler vertreten, der sowohl zur ÖVP als auch zum Hauptbeschuldigten ein sehr spezielles Verhältnis pflegte. Der Kriminalbeamte hatte im Jahr 2015 bei den Gemeinderatswahlen in Niederösterreich für die ÖVP kandidiert und unmittelbar nach Auffliegen des Ibiza-Videos im vergangenen Mai eine SMS an Strache geschickt: „Lieber HC, ich hoffe auf einen Rücktritt vom Rücktritt … die Politik braucht dich! Alles Gute für alles Weitere! Lg N.“ Obwohl die SMS den Vorgesetzten bekannt war, wurde der Polizist in die Soko geschickt. Der Generalsekretär des Innenministeriums, Helmut Tomac, sieht noch heute nicht einmal einen Anschein von Befangenheit. Der Ermittler sei letztlich nur wegen des öffentlichen Drucks abgezogen worden.

Die nächste Sitzung des Ibiza-Ausschusses verspricht besonders spannend zu werden. Am Mittwoch kommender Woche ist Kanzler Kurz zur Aussage unter Wahrheitspflicht geladen. Seine bisherige Strategie ist die Selbstinszenierung als schwer enttäuschtes Opfer, das mit den Machenschaften seines Koalitionspartners nichts zu tun und von allem nichts mitbekommen hatte. Die Opposition nimmt dem Kanzler diese Rolle nicht ab.

Schon jetzt steht jedenfalls fest: Dieser Untersuchungsausschuss zeichnet einmal mehr ein Sittenbild der österreichischen Politik, das die Aussage von Bundespräsident Van der Bellen am Tag nach dem Auftauchen des Ibiza-Videos Lügen straft: „So sind wir (Österreicher) nicht“. Es gibt schon ein paar, die wie Strache & Co. ticken.