SerieHistorisches und architektonisches Esch (52): Das Escher Rathaus

Serie / Historisches und architektonisches Esch (52): Das Escher Rathaus
Giebeldreieck mit Inschrift und Relief mit seinen Symbolen: Bergmann, Hüttenarbeiter, Stadtwappen, Kaufhaus „Belle Jardinière“, Rathaus, Sankt-Joseph-Kirche, „Terres rouges“-Hüttenwerk Foto: Christof Weber, 2015

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Im Juli des Jahres 1934 wurde das alte Escher Rathaus, das 1863 vom Architekten Hartmann aus Diekirch gebaut wurde, am Rathausplatz (auch Marktplatz genannt, da hier der Freitagsmarkt seit 1874 stattfand) endgültig abgerissen. Während 71 Jahren hatte die „Märei“ den verschiedensten Zwecken gedient.

Rathaus, Friedensgericht und Schulsaal (bis 1899), Wohnung der Vikare (bis 1901), Gendarmerie (bis 1927), dann Polizeikommissariat (bis 1934) – das alte Escher Rathaus diente den unterschiedlichsten Zwecken. 1899 zogen die Gemeindeverwaltung und das Friedensgericht in das neue Gemeindeschulhaus der Alzettestraße (in den 1960er Jahren abgerissen, um dem „Centre Mercure“ Platz zu machen). Dieses Gebäude in der Alzettestraße diente also bis 1937 sowohl als Rathaus, Gericht und Schule (Oberprimärschule, zeitweise Industrieschule bzw. Mädchenlyzeum).

Ein monumentales Bauwerk wurde errichtet am Standort des alten Rathauses auf jenem „großen Platz“ der mit seinem Kiosk den „kleinen Platz“ (heutiger Norbert-Metz-Platz) als wirtschaftliches und politisches Zentrum abgelöst hatte. Das imposante Gebäude sollte den rapiden Aufschwung Eschs seit der Stadterhebung von 1906 symbolisieren. Das neue Rathaus, das Victor Wilhelm, Bürgermeister seit 1921, dort bauen wollte, hatte eine heftige Debatte hervorgerufen, da andere Arbeiten in jener Zeit der Nachwehen der Weltwirtschaftskrise von 1929 als dringlicher erachtet wurden. Schließlich durfte aber Bürgermeister Victor Wilhelm mit dem Stadtarchitekten Isidor Engler, dem Autor des Projektes, am 7. Oktober 1934 die feierliche Grundsteinlegung vornehmen.

Das neue 54 m lange und 18 m breite Rathaus wurde in rechteckiger Form erbaut und passt sich gut an den Platz vor dem Gebäude an. Die seitlich gelegenen Straßen (rue des Artisans, rue du Commerce, Grand-rue) wurden zu der Gelegenheit erweitert.

Die stolze Devise des Rathaus-Frontispizes, „Mir wölle bleiwe wat mer sin“, spiegelt die Liebe zur Heimat, aber auch den Freiheitssinn der Escher wider. „L’Hôtel de Ville – symbole des libertés communales“, betitelt der sozialistische Bürgermeister Hubert Clément sein Begleitwort zur Einweihungsbroschüre. Er erinnert an die Befreiung der Ortschaft durch den Grafen von Luxemburg bereits am Ende des 13. Jahrhunderts und die Verleihung von Rechten, welchen den Ort vom umliegenden Land abheben: „Nous avons voulu que le nouvel Hôtel de Ville soit digne de cette cité, jalouse de son glorieux passé et riche de son présent laborieux. Monument d’une solide élégance, il doit être selon nos intentions le symbole durable de la liberté et de l’autonomie du peuple eschois.“

Das Unternehmen Bauler führte den Rohbau aus. Die Steine kamen aus den Steinbrüchen von Gilsdorf, Ernzen, Dillingen und Ellergrund, der Schiefer aus den Gruben von Obermartelingen und Asselborn, die Farbfenster aus den Werkstätten der Gebrüder Linster aus Mondorf. Die Steinskulpturen auf der Hauptfassade und der Seitenfassade zur „Groussgaass“ mit den Themen (von links nach rechts Hüttenwerke, Wissenschaft und Literatur, Sport, Unterricht, Architektur, Elektrizität, Soziale Fürsorge, Ackerbau, Gruben und Gartenbau) wurden von den Escher Bildhauern Gebrüder Hary, Albert Kratzenberg, Wenzel Profant und Aurelio Sabbatini sowie Claus Cito aus Niederkerschen angefertigt.

Der Haupteingang wird von einem breiten Balkon überragt, der von vier Säulen getragen wird. Eine fünfstufige Treppe aus Granit führt zu drei Portalen, die Zugang zum Vestibül bieten. Von dort führt eine breite Treppe aus Lunel-Marmor zum erhöhten Teil der Eingangshalle und zum Erdgeschossniveau. Von hier aus beginnen die majestätische Freitreppe und die Korridore. Acht Säulen, deren untere Teile mit Marmor ausgekleidet sind, tragen die Decke.

Das Treppenhaus besteht aus Stahlbeton mit einer Marmorbekleidung und wird beleuchtet durch sechs hohe Farbfenster auf zwei Ebenen mit verschiedenen Motiven: im unteren Teil in der Mitte das Escher Stadtwappen, links der Ackerbau, rechts die Industrie; im oberen Teil die verschiedensten Zünfte und Künste.

In diesem monumentalen Gebäude war endlich genug Platz für einen großen Teil der Gemeindeverwaltung und -führung. Portierloge, Empfangsräume für die Bürger, Schuldienst, Gemeindeeinnahmen und -buchhaltung wurden im Erdgeschoss untergebracht, Zivilstand, Sekretariat, Sitzungssaal, Rezeptionsraum, Hochzeitssaal, Büros des Bürgermeisters und der Schöffen im ersten Stock, technische Dienste im zweiten und Archive im dritten Stock.

Der erste Stock wird in seinem zentralen Teil vom großen Gemeinderatssaal dominiert, zu dem drei große Tore den Zugang ermöglichen. Der Saal hat eine rechteckige Form, ist 7,50 m hoch, 16,10 m lang und 9,25 m breit. Der Boden ist mit einem Eichenparkett versehen. Die Wände sind mit 3,20 m hohen Eichenholzvertäfelungen verkleidet und in Tafeln unterteilt. Der Raum war in zwei Teile geteilt. Der erste Teil ist geprägt durch eine zweistufige erhöhte Plattform, auf der der große Tisch für die Sitzungen in Form eines Hufeisens ausgelegt ist. Vor diesem Tisch befanden sich die Tische für den Sekretär und den Stenografen sowie der Tisch für die Presse. Der zweite Teil des Raumes war für die Öffentlichkeit reserviert. Der Düdelinger Maler Frantz Kinnen (1905-1979) schuf für die 50-Jahresfeier der Stadt Esch 1956 zwei monumentale Ölgemälde, auf denen er in seiner einzigartigen Art und Weise abstrakte und figurative Kunst verband, um das Selbstbewusstsein der Stadt und der Industriearbeiter darzustellen.

Die äußere Front des Stadthauses ist einfach und nüchtern gehalten. Nur die bereits erwähnten Flachreliefs zwischen den Fenstern des ersten und zweiten Stocks und einige Medaillons verzieren die Hauptfassade und spiegeln die Reliefs am Sichelgebäude auf der anderen Seite des Platzes wider. Auf dem dreieckigen Giebel zeigt ein weiteres Relief im Vordergrund die großen Figuren des Bergarbeiters und des Hüttenarbeiters sowie das Stadtwappen, im Hintergrund die Silhouetten wichtiger Gebäude wie dem Kaufhaus „Belle Jardinière“, dem Rathaus, der Sankt-Joseph-Kirche und einem Hüttenwerk. Interessantes Detail: Wie der Maler Harry Rabinger für sein monumentales Gemälde im Luxemburger Pavillon der Weltausstellung in Paris (auch 1937) stellen die Bildhauer das Escher „Terres rouges“-Werk mit seinen typischen Elementen (Schrägaufzug, „Keeseminnen“, elektrische Zentralen) dar.

Erwähnen wir zum Schluss noch, dass das Escher Rathaus offiziell am 15. August 1937 eingeweiht wurde. Eine Einweihung, die mit großen Feierlichkeiten verbunden war: Fackelzug, Ausstellungen, Konzerte, Fest- und Volksspiele, Freilichtaufführungen, Feuerwerk …

Disperdal
15. Juni 2020 - 14.07

Es steht in dem Artikel nichts über die Verwendung des Stadthauses in 3. Reich. Wie gingen die Herren Besatzer mit den doch patriotischen Darstellungen an der Fassade um. Wäre interessant darüber zu lesen. Danke.