Gergely Karacsony: „Alles muss hier geändert werden“

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Von unserem Korrespondenten Thomas Roser, Budapest

Vor Ungarns Parlamentswahl am 8. April wittert die zersplitterte Opposition erstmals seit langem wieder etwas Morgenluft gegenüber der rechtspopulistischen Fidesz von Ministerpräsident Orban. Der Linkskandidat Gergely Karacsony rechnet sich Chancen aus.

Auf der alternativen Liste: Gergely Karacsony

Der 42-jährige Gergely Karacsony gilt als einer der populärsten Politiker in Ungarn. Geboren im ostungarischen Fehergyarmat, arbeitete er nach seinem Soziologie-Studium in Budapest beim Meinungsforschungsinstitut Median. 2009 schloss Karacsony sich der neugegründeten grünen LMP an und wurde 2010 ins Parlament gewählt.
Weil die LMP die Kooperation mit anderen linksliberalen Oppositionsparteien ablehnte, verließ er 2013 die Partei und gründete mit anderen LMP-Dissidenten die alternative Liste „Dialog für Ungarn“. Als Kandidat mehrerer Linksparteien wurde Karacsony bei den Kommunalwahlen 2014 zum Bezirksbürgermeister im Budapester Stadtteil Zuglo gewählt.

Tageblatt: Als Sie sich im letzten Jahr zum Spitzenkandidat küren ließen, schien Ihre Wahlmission noch ziemlich aussichtslos. Warum traten Sie dennoch an?

Gergely Karacsony: Lange trat die Opposition nicht geeint gegenüber der Fidesz-Partei von Viktor Orban auf. Auch ich hatte sie kritisiert, gegenüber Fidesz keine Visionen zu entwickeln. Doch ich gelangte an einen Punkt, an dem ich das Gefühl hatte, dass ich nicht mehr nur reden, sondern etwas tun müsse. Ich bin einer der beliebtesten Politiker in Ungarn. Und ich glaubte, dass ich es mir nicht mehr erlauben könne, nichts zum Erfolg der Opposition beizutragen.

Überraschend hat die Opposition vor kurzem die Bürgermeisterwahl in der Fidesz-Hochburg Hodmezövarhely gewonnen. Was rechnen Sie sich für die Parlamentswahl aus?

Den Sieg, was sonst (lacht). Fidesz ist schwächer als wir angenommen haben. Die Partei tat in Hodmezövarhely dasselbe, was sie in ganz Ungarn tut: großzügige Gefälligkeiten für die eigene Klientel und Einschüchterung der politischen Gegner. Doch was Fidesz erreichte, war genau das Gegenteil: Es gingen mehr wählen als jeder erwartet hatte. Orban setzt diese verfehlte Politik fort. Mit seinen Drohungen mobilisiert er ungewollt die Oppositionswähler.

Was ist Ihre Strategie, dass beim Kampf um die entscheidenden Direktmandate möglichst wenig Oppositionsstimmen verloren gehen?

Wenn man die Stimmen der demokratischen Oppositionsparteien zusammenzählt, kamen sie schon bei den Wahlen 2014 in einem Drittel der Wahlkreise gemeinsam auf mehr Stimmen als Fidesz. Wir streben darum deren geeintes Auftreten an zur Unterstützung des jeweils aussichtsreichsten Oppositionskandidaten.

Aber wäre für Sie auch eine Kooperation mit der rechtsextremen Jobbik vorstellbar?

Ich sehe keinerlei Möglichkeit einer formalen Kooperation mit Jobbik. Aber wir wissen, dass Jobbik in einigen wenigen Wahlkreisen klar stärker ist als wir. Da unsere Ressourcen ohnehin begrenzt sind, werden wir sie möglichst effizient nutzen, also nicht in diesen Wahldistrikten. Wir müssen uns auf die Großstädte und Budapest konzentrieren.

Mit welchem Ergebnis rechnen Sie?

Ich sehe drei mögliche Szenarien. Erstens: Fidesz gewinnt erneut – die entscheidende Frage wäre dann, mit welcher Mehrheit. Ein anderes Szenario ist, dass Fidesz die absolute Mehrheit im Parlament verfehlt. In diesem Fall müsste die gesamte Opposition eine zeitliche befristete Allianz zur Änderung der Wahlgesetze eingehen, der dann beispielsweise nach einem halben Jahr Neuwahlen folgen könnten. Beim dritten Szenario holt die Linke einschließlich der Liberalen und Grünen die absolute Mehrheit – und könnte so eine eigene Regierung bilden.

Was würden Sie in diesem Fall ändern wollen?

Alles muss hier geändert werden, vor allem was Gesundheitswesen, das Erziehungssystem, die Arbeitslosigkeit und der soziale Zusammenhalt der Gesellschaft angeht. Mein Plädoyer für eine soziale Demokratie ist nicht nur die Antwort auf die illiberale Demokratie der letzten acht Jahre, sondern auch Kritik an der Art und Weise, wie sich Ungarn in den 20 Jahren zuvor entwickelt hat, als meistens Linksregierungen an der Macht waren.

Falls Fidesz erneut gewinnen sollte, mit was wäre in Ungarn zu rechnen?

Fidesz hat ihren Zenit längst überschritten. Ohne die Flüchtlingskrise von 2015 könnte sich die Partei schon jetzt kaum mehr behaupten. Die Anti-Migranten-Propaganda der Partei hat zwar noch immer einen gewissen Effekt. Doch auch wenn Fidesz noch einmal gewinnen sollte, sind die weitere Erosionserscheinungen und Verluste der Partei bei den Kommunal- und Europawahlen im nächsten Jahr unvermeidlich.

Fürchten Sie bei einem Sieg von Orban eine verschärfte Gangart gegenüber der
Opposition?

Ja, jedes autoritäre Regime sucht immer neue Feinde, um ein Gefühl der Bedrohung zu verbreiten und die Unterstützung der eigenen Anhänger aufrechtzuerhalten. Orban hat angedroht, die Opposition nach der Wahl zu sanktionieren. Nur Putin und Erdogan sprechen eine solche Sprache – zwei Staatsführer, mit denen Orban sich besonders gut versteht. Doch mit den Drohungen gegen die Opposition droht er auch deren Wählern – und treibt die Leute an die Urnen, die den Wechsel wollen.