CoronaFinnland ist Europas Musterschüler – das hat viel mit schlauer Politik zu tun

Corona / Finnland ist Europas Musterschüler – das hat viel mit schlauer Politik zu tun
Schnee fällt in Europas nördlichster Hauptstadt Helsinki: Die Finnen kamen bislang gut durch die Corona-Krise Foto: AFP/Vesa Moilanen

Jetzt weiterlesen! !

Für 0,59 € können Sie diesen Artikel erwerben.

Sie sind bereits Kunde?

Finnland gilt europaweit als Vorbild bei der Corona-Handhabung. Kaum ein anderes Land hat Neuinfektionen und Todesrate so niedrig halten können. Deshalb gibt es derzeit auch keinen erneuten Lockdown.

Es schneit dieser Tage heftig in Helsinki. In der Fredrikinstraße im angesagten Stadtteil Punavuori kämpft ein Mann damit, sein unter dem Schnee begrabenes Auto freizuschaufeln. Um die Ecke im Green Hippo Café sitzen rund 40 zumeist junge Gäste ohne Masken. Sie trinken, reden oder surfen auf ihren Smartphones im Internet. Die Tischbedienung trägt jedoch eine Maske. Und die Tische stehen weiter auseinander. Vor dem Café ist zudem eine Warteschlange, in der jeweils zwei Meter Abstand gehalten werden muss, damit nicht zu viele Menschen gleichzeitig im Café sind. Auch in den Geschäften am zentralen Esplanadi herrscht reges Treiben.

Während in großen Teilen Europas wieder harte Corona-Lockdowns verhängt wurden, herrscht in Finnland eine Art normaler Alltag, der nur mit dem im Sonderwegland Schweden vergleichbar ist. Mit einem Unterschied allerdings: Die Finnen können es sich leisten – in kaum einem anderen Land lagen Todes-, Neuinfektions- und Intensivstationsbelegungsrate wegen Covid-19 von Beginn der Pandemie an bis jetzt so niedrig wie in Finnland.

Die aktuellen Werte der Neuinfektionen liegen im Sieben-Tage-Schnitt bei nur 44,7 je 100.000 Einwohnern (Luxemburg: 131; Deutschland: 94,4; Schweden 214; Frankreich 219; Spanien 531,1). Die Neuinfektionsrate gilt jedoch nicht als völlig sicheres Vergleichsmaß. Denn in jedem Land wird unterschiedlich viel getestet.

Aber auch bei der Covid-Todesrate schneidet Finnland deutlich besser ab. Insgesamt sind dort nur 114 Menschen je einer Million Einwohner gestorben (insgesamt 354). In Luxemburg starben hochgerechnet auf eine Million Einwohner mit 929 gut achtmal so viele Menschen.

Beide Wellen verliefen flacher und kürzer

In Finnland verliefen beide Corona-Wellen flacher und kürzer als in den meisten anderen Ländern. Wie ist das möglich?

Die Regierung fuhr eine vor allem zeitlich richtig eingestellte Eindämmungsstrategie aus Härte und Lockerungen. Als die Infektionsrate in Finnland noch sehr niedrig war, führte sie einen Lockdown durch, der Covid-19 rechtzeitig ausbremste. Danach kamen relativ schnell wieder Lockerungen für die Bürger. Im Juli lag die tägliche Neuinfiziertenrate fast bei null.

Bei dem zweimonatigen Lockdown wurden sämtliche Einrichtungen geschlossen, so auch die Schulen, und nicht mehr als zehn Personen durften zusammenkommen. Im weitgehend digitalisierten Land war die Umstellung auf Fernunterricht und Homeoffice eine Leichtigkeit. Auch hat Finnland sofort landesweit ausreichend Infektionsschutzmaterial aus seinen umfangreichen Krisenfalllagern verteilen können. Zudem hat das Land schnell eine hohe Corona-Testrate erreicht.

Auch wurde zeitweise der gesamte Großraum der Hauptstadt Helsinki durch Ein- und Ausreiseverbote isoliert. Polizei und Militär überwachten die Einhaltung. Die finnischen Grenzen wurden zeitweise fast ganz geschlossen. Die noch niedrigen Infektionszahlen blieben dadurch beherrschbar. Es kam nicht zum Flächenbrand. Nicht die Härte des Lockdowns, sondern das Timing sei entscheidend gewesen, heißt es denn auch vom finnischen Gesundheitsamt.

App mit Anklang und viele, viele Tracer

Zudem führt Finnland eine intensive Kontaktverfolgung durch. Eine App namens „Corona Flash“ half dabei. Rund die Hälfte der 5,5 Millionen Finnen lud sie herunter. Außerdem wurden mehrere Tausend „Corona-Jäger“ für die Kontaktverfolgung ausgebildet – verstreut über das ganze Land. Rund 60 Prozent der Kontaktpersonen wurden so ausfindig gemacht. Wenn ein finnischer Ort zum Infektionsherd wird, isolierte man ihn sofort.

Die pflichtbewussten Finnen hielten sich auch an alle Anweisungen der Regierung. Laut Eurobarometer-Umfrage gaben 73 Prozent der Finnen an, dass die Restriktionen leicht zu meistern waren. Gegen den Lockdown im Frühjahr gab es auch keine Proteste. Zudem wurde für den Sommerurlaub 2020 erfolgreich empfohlen, nicht ins teils Corona-übersäte Ausland zu reisen, was zur Abmilderung der zweiten Welle beitrug.

Wir mögen es, andere einen Meter oder mehr von uns entfernt zu halten

Mika Salminen, Gesundheitsamtschef

Durch rechtzeitige Maßnahmen konnten die Finnen auch schneller wieder in ein weitgehend normales Leben zurück. „Grüne Zone“ nennen die Vertreter der Null-Corona-Linie dies. Das tat auch der Wirtschaft gut, die nicht so in die Knie ging wie in anderen Ländern. Im besonders von Corona betroffenen zweiten Quartal 2020 fiel das Bruttoinlandsprodukt um 4,9 Prozent im Vergleich zum gleichen Zeitraum im Vorjahr.

Doch ob Finnlands Strategie gänzlich als Vorbild herhält, bleibt fraglich. Denn als wichtiger Faktor gilt auch, dass das nur 5,5 Millionen Einwohner zählende Land die niedrigste Bevölkerungsdichte in der EU hat: Sie liegt bei 18,2 Einwohnern pro Quadratkilometer, in Luxemburg sind es 240 Menschen. Auch die finnischen Großstädte sind dünner besiedelt als zum Beispiel deutsche. In Helsinki kommen gut 2.700 Einwohner auf einen Quadratkilometer. In München sind es mehr als 4.700.

Begünstigt wurde der finnische Erfolg auch durch Mentalität und Kultur: Die Nordler halten mehr Abstand zueinander, begrüßen sich distanzierter ohne Händeschütteln, Umarmung oder Wangenkuss. „Vielleicht ist die finnische Komfortzone ein bisschen weiter als in einigen anderen europäischen Ländern. Wir mögen es, andere einen Meter oder mehr von uns entfernt zu halten, sonst fühlen wir uns unbequem“, sagte Gesundheitsamtschef Mika Salminen einmal. Laut Umfrage gaben 23 Prozent der Finnen gar an, dass Lockdown und Einsamkeit ihr Leben verbessert hätten. Das Alleinsein ist eben eine der finnischen Urtugenden – neben dem Saunagang.