Brüssel / Fidesz sorgt für Streit im Europaparlament

Ungarns Ministerpräsident Viktor Orban kann’s freuen: Viele EVP-Abgeordnete geben „den Deutschen“ die Schuld für das Patt in der EVP (Foto: AFP/John Thys)
Die konservative EVP-Fraktion verhängt wegen eines Nazi-Vergleichs einen Maulkorb gegen einen ungarischen Politiker – doch vielen geht das nicht weit genug. Auch ein Luxemburger EP-Abgeordneter regt sich auf.
Aufruhr im Europaparlament: Die konservative Europäische Volkspartei (EVP) hat dem ungarischen Abgeordneten Tamas Deutsch einen Maulkorb umgehängt, ihn aber nicht aus der Fraktion ausgeschlossen. Dies sorgt nun für Empörung quer durch die Fraktionen – denn es geht um weit mehr als um eine Person. Der Streit dreht sich auch um den Rechtsstaat in Ungarn, Regierungschef Viktor Orban und die Politik von CDU/CSU, die in der EVP den Ton angeben.
Deutsch hatte den deutschen EVP-Fraktionschef Manfred Weber (CSU) im November in die Nähe der Gestapo sowie des Geheimdienstes AVH im kommunistischen Ungarn gerückt. Weber nannte Deutschs Verhalten während einer Sondersitzung der EVP am Mittwochabend inakzeptabel, wie es aus Fraktionskreisen hieß. „Genug ist genug“, sagte Weber. Allerdings forderte er nicht den Ausschluss – wie der österreichische Abgeordnete Otmar Karas.
Um die richtige Reaktion entbrannte ein stundenlanger Streit. Am Ende entschied sich eine Mehrheit dafür, dass Deutsch künftig keine Redezeit mehr im Europaparlament bekommt. Zudem soll er nicht mehr Berichterstatter zu bestimmten Themen werden und auch sonst keine Posten im Namen der Gruppe mehr bekommen. Gegen einen Rauswurf hatten sich vor allem CDU/CSU ausgesprochen. Nur der CDU-Abgeordnete Dennis Radtke forderte einen harten Schnitt.
Für mich geht die Entscheidung nicht weit genugluxemburgischer EVP-Abgeordneter
Für Streit sorgte bei der Krisensitzung auch der weitere Umgang mit Fidesz. Seit März 2019 ist die Fidesz-Mitgliedschaft in der EVP auf Eis gelegt – unter anderem wegen wiederholter Verstöße gegen EU-Grundwerte sowie wegen mehrerer beleidigender Attacken auf den damaligen EU-Kommissionschef Jean-Claude Juncker. Zur Fraktion gehören die Fidesz-Abgeordneten bislang jedoch weiter.
Dabei soll es auch vorerst bleiben, entschieden die EVP-Abgeordneten. Eine „finale Entscheidung“ soll erst nach dem Ende der Corona-Pandemie fallen – auf einem Präsenz-Parteitag. Doch der Streit ist damit nicht ausgestanden. Der luxemburgische EVP-Abgeordnete Christophe Hansen zeigte sich enttäuscht: „Für mich geht die Entscheidung nicht weit genug.“ Er sei sicher, dass die nötige Mehrheit für einen Rauswurf da gewesen wäre.
Verwundert zeigten sich auch Abgeordnete anderer Parteien. Die Entscheidung sei „lächerlich“, schrieb der Chef der SPD-Gruppe, Jens Geier, auf Twitter. Tamas komme „mit einmal auskitzeln“ davon, so Geier. Noch deutlicher äußerte sich der Grünen-Parlamentarier Daniel Freund. „Man fragt sich mittlerweile ernsthaft, was man noch machen muss, um aus dieser Fraktion zu fliegen“, so der Rechtsexperte aus Aachen.
Orbans Macht über CDU und CSU
Eigentlich standen die Chancen für Tamas Deutsch in der Fraktionssitzung schlecht, so Freund weiter. Gerettet habe ihn vorerst die Intervention aus Berlin: „Es ist die schützende Hand von CDU/CSU, die den Verbleib von Deutsch in der EPP-Fraktion gesichert hat. Gleiches gilt für den Rest der Fidesz-Abgeordneten. Ohne das Konrad-Adenauer-Haus wären sie schon längst nicht mehr in der EPP.“
Dieser Auffassung sind auch viele EVP-Abgeordnete. Sie geben „den Deutschen“ die Schuld für das Patt in der EVP. CDU-Chefin Annegret Kramp-Karrenbauer und Kanzlerin Angela Merkel hätten vor einem harten Bruch gewarnt und ihre schützende Hand über Deutsch gehalten, heißt es in Brüssel. Belegen lässt sich das allerdings kaum. Klar ist nur, dass die Haltung der CDU/CSU-Abgeordneten den Ausschlag gegeben hat.
Ohne Fidesz würde die EVP ihren privilegierten Status als größte Fraktion im Europaparlament verlieren. Damit hätte Merkel noch mehr Mühe, ihre Vorhaben in Brüssel durchzubringen. Zuletzt hatte sich Orban mit einem Veto gegen das neue EU-Budget und den damit verbundenen Rechtsstaats-Mechanismus gestellt. Merkel konnte ihn nur mit einer Klarstellung beim Rechtsstaat zum Einlenken bewegen. Doch auch diese Klarstellung ist im Europaparlament heftig umstritten.
Asylregeln: EuGH verurteilt Ungarn
Ungarn hat mit seiner umstrittenen Flüchtlingspolitik erneut eine Niederlage vor Gericht erlitten: Der Europäische Gerichtshof (EuGH) in Luxemburg verurteilte das Land gestern wegen Verstoßes seiner Asylregeln gegen EU-Recht. Das Gericht verurteilte Ungarn vor allem wegen der „rechtswidrigen Inhaftierung“ von Migranten in Lagern an der Grenze und der Abschiebung von Flüchtlingen ohne Beachtung der geltenden Garantien.
Der EuGH entsprach damit weitgehend einer Klage der EU-Kommission gegen Ungarn. Die Brüsseler Behörde hatte seit dem Höhepunkt der Flüchtlingskrise 2015 wiederholt Zweifel an der Vereinbarkeit der ungarischen Asylregeln mit EU-Recht geäußert.EU-Innenkommissarin Ylva Johansson sprach von einem „wegweisenden Urteil“. Alle Mitgliedstaaten müssten sicherstellen, dass Flüchtlinge „einen Antrag auf internationalen Schutz stellen können, auch an den Grenzen“, betonte sie. (AFP)
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