Wahlen in DeutschlandFeature aus dem Willy-Brandt-Haus: „Der nächste Kanzler heißt Olaf Scholz“

Wahlen in Deutschland / Feature aus dem Willy-Brandt-Haus: „Der nächste Kanzler heißt Olaf Scholz“
Mit Feierabendbier: SPD-Kanzlerkandidat Olaf Scholz nach der Wahlparty im Willy-Brandt-Haus Foto: dpa/Wolfgang Kumm

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Erstmals nach 16 Jahren hofft die SPD wieder auf das Kanzleramt. Trotz eines Kopf-an-Kopf-Rennens mit der Union macht Olaf Scholz deutlich, dass er Angela Merkel beerben will. Aber kann er Grüne und FDP dafür gewinnen?

Olaf Scholz lässt sich Zeit. Zu knapp sieht der Abstand zwischen seiner SPD und der Union aus. Der Kanzlerkandidat wartet oben im sechsten Stock der Parteizentrale, bis die ersten belastbaren Hochrechnungen da sind – und sein Konkurrent, Unionskanzlerkandidat Armin Laschet (CDU) aufgetreten ist. Um kurz nach 19 Uhr ist es endlich so weit. „Olaf, Olaf“-Sprechchöre schallen durch das Willy-Brandt-Haus. Ausgerechnet für den Mann, den die Partei vor zwei Jahren nicht mal als Vorsitzenden haben wollte.

Jetzt steht Scholz mit breitem Grinsen neben seiner Frau Britta Ernst auf der Bühne und wird gefeiert. Scholz winkt, bedankt sich bei den Wählern, die der SPD ein starkes Comeback beschert hätten. Alle Balken seien für seine Partei nach oben gegangen. Obwohl der Wahlausgang offen ist, beansprucht Scholz – wie zuvor Laschet – den Auftrag für eine Regierungsbildung für sich.

Die Bürger hätten sich für einen Regierungswechsel entschieden – und „dass der nächste Kanzler dieses Landes Olaf Scholz heißt“, so der 63-Jährige. Die SPD werde mit Pragmatismus, Zuversicht und Geschlossenheit in Sondierungsgespräche gehen. Und er sei zuversichtlich, dass die SPD-Wähler sich wie am heutigen Wahltag dann wieder freuen könnten, ruft Scholz mit einem Lächeln. So gelöst hat man den früheren „Scholzomaten“ selten gesehen.

Auch SPD-Chefin Saskia Esken lobt ihn. „Dies ist dein Erfolg, Olaf!“ Für die Sozialdemokratie sei es ein „historischer Abend“, meint Esken. Die Frau, die von der Union im Wahlkampf als linkes Schreckgespenst dargestellt worden war, sieht dies maßgeblich als ihr Verdienst. Esken will sich in dem jetzt beginnenden Machtpoker nicht unter Wert verkaufen. Wird sie Ministerin, bleibt sie Parteichefin?

Nicht nur Euphorie

Ein Architekt des Erfolgs ist aber auch Generalsekretär Lars Klingbeil. Er ist der Erste, der sich an dem Abend um kurz nach 18 Uhr vor den Kameras im Willy-Brandt-Haus äußert. Er wird frenetisch beklatscht, bejubelt. Ihm verdankt die SPD die Kampagne ohne große Fehler, dafür mit fulminantem Comeback aus der 15-Prozent-Bedeutungslosigkeit. „Wir wussten immer, dass es ein enges Rennen wird. Wir wussten, das wird ein knapper Wahlkampf“, sagt Klingbeil. „Aber ganz klar ist: Die SPD hat den Regierungsauftrag. Wir wollen, dass Olaf Scholz Kanzler wird.“ Zu diesem Zeitpunkt sieht eine ZDF-Prognose die SPD mit 26 Prozent zwei Prozentpunkte vor der CDU/CSU.

Dennoch sieht man auch viele nachdenkliche Gesichter bei der SPD. Viele hatten auf einen größeren Vorsprung zur Union gehofft. Mehrere Jusos auf der Wahlparty sind enttäuscht, dass es für ein Linksbündnis aus SPD, Grünen und Linken wohl keine Mehrheit gibt. „Rot-Grün wäre am besten, dann R2G und zur Not auch die Ampel“, sagt einer aus dem Landesverband Berlin. Eine Kenia-Regierung, also ein Bündnis aus SPD, Union und Grünen, wollen sie ausschließen, bloß nicht noch einmal gemeinsame Sache mit CDU und CSU machen.

Tatsächlich wäre es für Scholz eine Schwächung seiner Verhandlungsposition mit den Liberalen. Lindner müsste keine Sorge haben, dass Scholz ihn mit einem Linksbündnis unter Druck setzen kann. Scholz weiß, dass die Verhandlungen mit der FDP nun teuer werden dürften, mit den Grünen jedoch auch.

Für die Sozialdemokratie ist es trotz des knappen Ausgangs auf Bundesebene ein goldener Wahlsonntag. Mit den drei Erfolgen in Bund, Berlin und Schwerin zeigt die oft totgesagte Volkspartei, dass sie lebt und gewinnen kann. Olaf Scholz, Franziska Giffey, Manuela Schwesig – alle drei stehen für einen pragmatischen Mitte-Kurs mit nur moderatem Linksdrall. Das dürfte Parteilinken wie Saskia Esken und Kevin Kühnert zu denken geben. Für Scholz wird das in den kommenden Wochen und Monaten in den Koalitionsverhandlungen wichtig werden. Er braucht intern Beinfreiheit, um überhaupt Kanzler zu werden.