LuxemburgEU-Staaten wollen Einigung in Asylpolitik finden

Luxemburg / EU-Staaten wollen Einigung in Asylpolitik finden
Unterkunft für Flüchtlinge des italienischen Roten Kreuzes auf der Insel Lampedusa: Die EU-Staaten tun sich schwer, sich auf eine gemeinsame Asylpolitik zu einigen Foto: AFP/Vincenzo Pinto

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Die Beteiligten verbreiten Zuversicht, dass sich die Innenminister der EU-Staaten an diesem Donnerstag endlich auf eine gemeinsame Asylpolitik verständigen könnten. Doch Deutschland, bislang treibende Kraft, will Ausnahmen vom neuen Grenzverfahren ausdehnen.

EU-Innenkommissarin Ylva Johansson hat den Optimismus zu ihrem Politik-Konzept erhoben. Anders würde sie die vielen Rückschläge auf dem Weg zu einem gemeinsamen europäischen Asylsystem wohl auch mental nur schwer verkraften. Doch dieses Mal sieht sie mehr als nur einen Silberstreif am Horizont. Die Asylexperten der EU-Staaten seien vor dem entscheidenden Treffen der 27 Innenminister an diesem Donnerstag in Luxemburg so tief in das Aushandeln der Details eingestiegen, dass daraus eine konstruktive Grundstimmung abgelesen werden könne. Auch EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen erhöhte die Erwartungshaltung: „Ich hoffe sehr, dass es am Donnerstag einen Schritt nach vorne gibt“, sagte sie am Dienstag in Berlin. Doch ausgerechnet Deutschland, das sich bislang stets als Motor der Einigung fühlte, vergrößert nun die Probleme.

Nur mühsam war es der deutschen Innenministerin Nancy Faeser in den vergangenen Wochen gelungen, Rückhalt für ein neues Außengrenzenverfahren bei den anderen EU-Staaten zu fördern. Dabei sollen Asylbewerber aus sicheren Herkunftsländern mit nur sehr geringen Anerkennungsquoten gar nicht erst innerhalb der Gemeinschaft monatelang auf ihr Verfahren warten, sondern bereits an der Grenze im Schnelldurchlauf einen Bescheid erhalten, ob ihr Asylgesuch anerkannt wird. „Je eher die Ergebnisse vorliegen, desto größer ist ihre Bereitschaft, zurückzukehren“, erläuterte Johansson bei der Präsentation eines neuen Aktionsplanes, der die Zusammenarbeit mit typischen Herkunfts- und Transitländern verbessern soll.

Doch die deutsche Regierung will nun eine Bestimmung des angedachten Systems aufweichen. Statt sich auf den Ursprungsentwurf einzulassen, nach dem unbegleitete Kinder und Kinder unter zwölf Jahren mit ihren Familienangehörigen von den Grenzverfahren ausgenommen werden sollen, will sie die Altersgrenze auf 18 Jahre hochschrauben. Die FDP macht da nicht mit und warnt davor, den Entwurf zu verwässern. Umgekehrt wächst bei den Sozialdemokraten und den Grünen der Druck auf die eigene Regierung, sie möge überhaupt keine Grenzverfahren zulassen.

Lasten gerecht verteilen

„Erschüttert“ wenden sich fast 800 Grünen-Mitglieder in einem Brief an die eigenen Leute in der Regierung und an der Fraktions- und Parteispitze. Der Populismus dürfe nicht in Gesetzesform gegossen werden, die Rechtsverschärfungen der EU müssten verhindert werden. Auch Grünen-Außenministerin Annalena Baerbock hatte zuvor die Grenzverfahren als hochproblematisch bezeichnet, jedoch darauf hingewiesen, dass dieser Kommissionsvorschlag die einzige Chance sei, auf absehbare Zeit zu einem „geordneten und humanen Verteilungsverfahren“ zu kommen.

Tatsächlich hat die schwedische Ratspräsident die Kommissionsvorschläge auch um einen Mechanismus ergänzt, der die Lasten der Flüchtlingsunterbringung gerecht verteilen soll. Fraglich blieb, ob Staaten, die sich an der Aufnahme von Asylberechtigten nicht beteiligen, dafür Ausgleichszahlungen leisten sollen. Aber auch ohne diese Frage zeichnete sich vor dem Treffen ab, dass es keine einstimmige Entscheidung, sondern allenfalls ein Mehrheitsvotum geben wird.

Der deutsche Kanzler Olaf Scholz mahnte im Vorfeld des Treffens an die Adresse der EU-Partner die Einsicht an, wie wichtig die Zusammenarbeit im Interesse jedes einzelnen sei. Es könne nicht sein, dass vier von fünf Asylantragstellern in Deutschland von Menschen kämen, deren Einreise zuvor in keinem anderen EU-Land registriert worden sei, obwohl Deutschland gar keine Außengrenzen habe.

Bereit, mehr Flüchtlinge aufzunehmen

EVP-Chef Manfred Weber rief die Mitgliedstaaten auf, sich auf einen gemeinsamen Standpunkt zu einigen, um die Verhandlungen über reformierte Dublin-Regeln und Asylverfahren aufnehmen zu können. Wenn sie dies nicht täten, „wäre das eine Pflichtverletzung gegenüber unseren Bürgerinnen und Bürgern“, sagte Weber dem Tageblatt. Die Ampel-Bundesregierung müsse schleunigst auf eine Lösung der Probleme hinarbeiten, „aber in Wirklichkeit passiert das Gegenteil“, kritisierte der EVP-Politiker. Zur Forderung von Grünen und Sozialdemokraten, Minderjährige zwischen zwölf und 17 Jahren von den Verfahren auszunehmen, erklärte Weber: „So werden Schleuser ermutigt, Familien und jüngere Menschen ins Visier zu nehmen, weil sie de facto eine Garantie haben, in Europa bleiben zu können“, warnte Weber. Damit würden Jugendliche „nicht geschützt, sondern verstärkt gefährdet“. Die Ampel müsse in europapolitischen Fragen endlich mit einer geschlossenen Position antreten.

Johansson zog zugleich eine Zwischenbilanz bei der Aufnahme von Ukraine-Flüchtlingen. 16 Millionen seien in die EU geflüchtet, elf Millionen bereits wieder zurückgekehrt, eine Million sei in andere Länder außerhalb der EU weitergereist, vier Millionen seien geblieben. Davon hätten 1,3 Millionen Arbeitsverträge abgeschlossen, viele seien jedoch unterhalb ihrer beruflichen Qualifikation beschäftigt. Angesichts der massiven russischen Zerstörungen der ukrainischen Strom- und Wasserversorgung habe sich die EU auf viele weitere Flüchtlinge in den Wintermonaten eingestellt. Das sei nicht eingetreten. Wenn sich die Dinge aber erneut verschlechterten, sei die EU bereit, mehr Flüchtlinge aufzunehmen.