Streit um NordirlandEU leitet Verfahren gegen Großbritannien ein

Streit um Nordirland / EU leitet Verfahren gegen Großbritannien ein
Eine Fähre hat in Nordirland angelegt: Der Warenverkehr zwischen Großbritannien und der irischen Provinz löst Unstimmigkeiten zwischen Brüssel und London aus Foto: Paul Faith/AFP

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Rund ein Jahr nach dem Brexit bahnt sich die erste schwere Krise zwischen Großbritannien und der EU an. Der Grund dafür ist jedoch nicht der erbitterte Streit um den britisch-schwedischen Pharmakonzern AstraZeneca und die verspäteten Impfstoff-Lieferungen in die EU. Es geht vielmehr um die neuen Handelsregeln für Nordirland.

London hatte Lockerungen beim Handel mit Nordirland eigenmächtig bis Oktober verlängert und Proteste aus Dublin und Brüssel ignoriert. Darauf reagiert die EU-Kommission nun mit einem Vertragsverletzungsverfahren. Konkret geht es um das Nordirland-Protokoll, das Teil des vor einem Jahr geschlossenen Austrittsabkommens ist.

Dieses Protokoll sieht Kontrollen von Warenlieferungen zwischen Großbritannien und Nordirland vor, um den europäischen Binnenmarkt vor Missbrauch zu schützen. Bis Ende März gilt jedoch eine Ausnahmeregelung, die Lieferengpässe vermeiden helfen soll. Diese Regel hat London nun ohne Abstimmung mit Brüssel verlängert. Der britische Brexit-Beauftragte David Frost sagte, die Verlängerung sei rechtmäßig. Er sprach von „vorübergehenden, operativen Schritten“. Das Nordirland-Protokoll habe „oft übermäßige Konsequenzen“, so Frost. Zur Begründung verwies er auf leere Supermarkt-Regale und ungelöste Probleme bei der Abfertigung von Warenlieferungen.

In Brüssel und Dublin spricht man dagegen von einem klaren Rechtsbruch. EU-Kommissionsvize Maros Sefcovic hatte Frost mehrfach aufgefordert, seine Entscheidung zurückzunehmen und in Gespräche einzutreten. Da London nicht einlenken wollte, löste er nun das EU-Verfahren aus. Es gehe um „einseitige Entscheidungen und Verstöße gegen internationales Recht durch Großbritannien“.

Als Zeichen des Entgegenkommens wählte Sefcovic allerdings nicht die „Nuklearoption“ – eine Klage vor dem Europäischen Gerichtshof (EuGH), der von den Brexit-Anhängern seit jeher angefeindet wird. Er entschied sich vielmehr für den sanfteren Weg – einen Streitschlichtungsmechanismus, der im Brexit-Abkommen enthalten ist. Der Streit wandert nun vor einen Schlichtungsausschuss, in dem beide Seiten vertreten sind. Die Verhandlungen dürften einige Wochen in Anspruch nehmen, sagte ein EU-Vertreter in Brüssel. Am Ende könne sowohl eine gütliche Einigung als auch eine Vergeltung – etwa die Verhängung von Strafzöllen oder Lieferbeschränkungen – stehen.

London muss Verpflichtungen einhalten

Der Schritt ist heikel, denn die Lage in Nordirland ist ohnehin schon angespannt. Zum Eklat kam es im Februar, als die EU-Kommission einen Moment lang damit drohte, Impfstoff-Exporte von AstraZeneca nach Nordirland zu unterbinden. Diese Drohung wurde zwar binnen weniger Stunden zurückgezogen, angeblich handelte es sich um ein Missverständnis. Doch seither liegen die Nerven blank.

Die britische Regierung bezichtigt die EU, einzig und allein ihren Binnenmarkt im Auge zu haben und die angespannte Lage in Nordirland zu ignorieren. Mit ihrem Vorgehen gieße sie Öl ins Feuer, statt sich um den Schutz des Karfreitags-Abkommens zu kümmern, heißt es in London.

Demgegenüber stellt sich das Europaparlament in Brüssel auf die Seite der Kommission. Die EU sei bereit, einen pragmatischen Ansatz zu verfolgen, sagte David McAllister, der Chef der „UK Coordination Group“. Das setze aber voraus, dass London seine Verpflichtungen einhält. „Rechtliche Schritte einzuleiten, ist daher folgerichtig“, so der EVP-Politiker.

Aus Verärgerung über das britische Vorgehen hatte das EU-Parlament zuletzt die noch ausstehende Ratifizierung des Ende 2020 geschlossenen Handelsvertrags mit Großbritannien vertagt. Auch dies hatte die Spannungen angeheizt.