Tschetschenien / Erstmals sagt ein Insider aus, doch Kadyrow trotzt den Foltervorwürfen und der Kreml schweigt

Kadyrows Angriffslust auch gegenüber Moskau lässt vermuten, dass er in dem Fall nicht klein beigeben wird
Die Enthüllungen eines Ex-Polizisten über Menschenrechtsvergehen in Tschetschenien belasten die Führung in Grosny schwer. Erstmals werden damit journalistische Recherchen von einem Insider bestätigt. EU und USA fordern Moskau zum Schutz der Reporterin auf, die den Fall ins Rollen brachte. Der Kreml schweigt.
Sulejman Gesmachmajew lebt nicht mehr in Tschetschenien. Mit seiner Familie ist er in einen europäischen Staat geflohen. Sein genauer Aufenthaltsort ist unbekannt. Seine Enthüllungen bedeuten eine Gefahr für sein Leben. Gesmachmajew gehörte früher den tschetschenischen Sicherheitskräften an. Nachdem er das russische Staatsgebiet verlassen hatte und in Sicherheit war, packte er aus. Der Moskauer Kreml-kritischen Zeitung Nowaja Gaseta schilderte er, was er als Unteroffizier des „Achmat Kadyrow“-Regiments erlebte. Das Polizei-Regiment wird als „Speznas“ für besondere Aufgaben wie Terrorismusbekämpfung eingesetzt.
Seine Aussagen geben erschütternde Einblicke in die Gewaltexzesse der Sicherheitskräfte, an deren Spitze der Republikschef Ramsan Kadyrow steht. Kadyrow preist die frühere Bürgerkriegsrepublik im Nordkaukasus als Ort des Friedens und Wohlstands an, in dem er mit harter, aber gerechter Hand herrscht. Doch die neuesten Enthüllungen der Nowaja Gaseta zeigen ein anderes Bild. Sie erzählen von Willkür und Menschenverachtung, von Folter und Hinrichtungen. Menschen, die im Verdacht stehen, vom Kadyrow-Regime abzuweichen, sind ihres Lebens nicht sicher.
Als Erste berichtete eine Reporterin von der Folter
Im September 2017 hatte Jelena Milaschina, die unnachgiebige Tschetschenien-Reporterin der Nowaja Gaseta, erstmals von Folterungen und Hinrichtungen berichtet, die sich im Jänner 2017 in der tschetschenischen Hauptstadt Grosny zugetragen hatten. Milaschina beschrieb eine mehrtägige Spezialoperation, die Massenfestnahmen junger Männer zur Folge hatte. (Gesmachmajew war als Polizist an ihr beteiligt, dazu später.)
Die Verdächtigen wurden auf die Basis des Kadyrow-Regiments gebracht und dort illegal in einem Keller festgehalten. Ihnen wurden islamistische Anschlagspläne vorgeworfen. Während mehrere Männer tatsächlich Verbindungen zu bewaffneten Gruppen hatten, dürften in anderen Fällen die Kontakte auf falschen Belastungen beruhen. Die Männer seien zunächst gefoltert worden, um Geständnisse herauszupressen. Schließlich seien mindestens 27 von ihnen durch Polizeikräfte ermordet worden. Auf Ansuchen des Mediums widmete sich das russische Ermittlungskomitee dem Fall. Doch im Mai 2018 wurden die – nicht sehr nachdrücklichen – Ermittlungen eingestellt. Die tschetschenischen Behörden stritten die Festnahmen überhaupt ab und behaupten, dass die verschwundenen Männer sich in Syrien dem Islamischen Staat angeschlossen hätten.
Wenn der Festgenommene nicht gesteht, dann beginnt die Folter ein, zwei Stunden später wieder, so lange, bis die Person gesteht oder getötet wirdAussteiger aus dem Kadyrow-Regime
Die ausführliche Aussage des Ex-Polizisten, der die Namen der Missetäter nennt, bietet nun neuen Zündstoff. Erstmals erheben nicht Journalisten und Menschenrechtler schwere Vorwürfe gegen den Sicherheitsapparat, sondern ein Insider aus dem System. Gesmachmajew schildert Folter mit Strom, Misshandlungen mit Schlägern und Gummischläuchen sowie simuliertes Ertränken in einem Wasserfass. „Wenn der Festgenommene nicht gesteht, dann beginnt die Folter ein, zwei Stunden später wieder, so lange, bis die Person gesteht oder getötet wird.“ Zwei Männer seien erschossen worden. Da die Todesschüsse zu laut waren und Blutlachen verursachten, habe der Regiments-Kommandant seinen Männern die Erdrosselung empfohlen. „Die Restlichen wurden mit einem Bergsteiger-Seil erwürgt“, schildert der Unteroffizier, der selbst nicht getötet haben will und sich kurz nach der Aktion beurlauben ließ.
Das neuerliche Aufflammen des Falls provozierte auch einen Schlagabtausch zwischen Moskau und Grosny. Zwar hat der Kreml Tschetschenien Kadyrow überantwortet und bietet dessen Organen nur ungern Einhalt. Fälle, die internationales Aufsehen erregen, wie etwa die jüngsten Verschleppungen tschetschenischer Internet-Aktivisten aus russischen Städten in ihre Heimat, religiöser Tugend-Terror gegen Jugendliche oder eben die Hinrichtungen von 2017, sind jedoch unangenehm für Moskau.
Kompaniechefs wenden sich via Instagram an den Kreml
Das offizielle Grosny trotzt den Foltervorwürfen. In einem martialischen Instagram-Video wendeten sich die Kompaniechefs des „Achmat Kadyrow“-Regiments an Präsident Wladimir Putin. Sie beklagen einen angeblichen „Informationskrieg“ gegen ihre Reihen und schwören, das Kadyrow-Regime mit ihrem Blut zu verteidigen. Die Botschaft: Der Kreml solle gegen die Nowaja Gaseta vorgehen.
Schon früher hat Kadyrow die Tschetschenien-Reporterin Milaschina in sozialen Medien bedroht; 2020 wurde sie Opfer einer körperlichen Attacke in Grosny. Amnesty International startete unterdessen in der Vorwoche einen Solidaritätsaufruf mit Milaschina, in dem die russischen Behörden zum Schutz der Journalistin und zu Ermittlungen gegen ihren Angreifer aufgerufen werden. Auch die EU und die US-Botschaft in Moskau forderten Moskau auf, gegen die Drohungen gegen Milaschina vonseiten der tschetschenischen Führung vorzugehen. Der Kreml zeigte keine Reaktion.
Putins Sprecher, Dmitrij Peskow, empfahl der tschetschenischen Führung lediglich, ihren Streit mit dem Moskauer Medium mithilfe eines Gerichts zu regeln. Worauf Kadyrow ungehalten konterte: „Herr Peskow, Sie verblüffen mich.“ Er, Kadyrow, habe gedacht, dass sich russische Bürger stets mit wichtigen Anliegen an ihren Präsidenten wenden könnten. Kadyrows Angriffslust lässt vermuten, dass er in dem Fall nicht klein beigeben wird.
- Jokic führt Denver zum ersten Sieg - 2. Juni 2023.
- Südafrika weicht Fragen nach möglicher Putin-Verhaftung aus - 2. Juni 2023.
- Kiew erneut massiv mit russischen Raketen und Drohnen beschossen - 2. Juni 2023.
Sie müssen angemeldet sein um kommentieren zu können.
Melden sie sich an
Registrieren Sie sich kostenlos