Ein Anwalt spielt Gott

Ein Anwalt spielt Gott
Spaß an der Arbeit hat Kenneth Feinberg nicht: "Nein, wirkliche Freude bringt das nicht, was ich mache."

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Der Anwalt Kenneth Feinberg ist darauf spezialisiert, Entschädigungsfonds zu verwalten. Zu seinen berühmtesten Fällen gehörte die BP-Ölkatastrophe im Golf von Mexiko. Feinberg wird vorgeworfen, Gott zu spielen. Nun kommt ein Dokumentarfilm über ihn in die Kinos.

Von unserem Korrespondenten Sebastian Moll

Der Mann, den sie mit Gott vergleichen, sitzt im vierten Stock des Willard Hotel und blickt direkt auf das Weiße Haus. Zwischen dem Büro von Kenneth Feinberg und dem Machtzentrum der westlichen Welt liegt alleine die Pennsylvania Avenue.

Auf dem Besuchertischchen von Feinbergs Büro im Willard, das er alleine mit einer Assistentin nutzt, steht eine Galerie von gerahmten Dankeskarten. Eine von Barack Obama ist dabei, eine von George W. Bush, eine von Bill Clinton und eine von dessen Frau Hilary. Und ganz vorne steht ein Schreiben von Senator Edward Kennedy, dem Bruder von JFK, in dessen Büro Feinberg als Stabschef in den 70er-Jahren seine Karriere begonnen hat.
Feinberg erledigt die Drecksarbeit

Feinberg wirkt einsam hier, alleine mit den Mächtigen der Welt. „Man macht diesen Job nicht, um Freunde zu gewinnen“, sagt der 72-Jährige, dessen Augen müde sind und dessen Gesicht ausgezehrt wirkt. Der Job, von dem Feinberg spricht, ist eine Aufgabe, die es nur einmal gibt. „Special Master“ wurde der gelernte Anwalt in seiner Funktion für die Regierung in der Vergangenheit genannt – ein spezieller Meister. Es ist ein Euphemismus für einen, der den Mächtigen die Drecksarbeit abnimmt.

Mit Agent Orange hat alles begonnen

So wie nach dem 11. September. Mehr als 3.000 Angehörige der Opfer stellten damals Ansprüche auf Entschädigung. Die Regierung schuf einen Fonds, rund 5 Milliarden Dollar (4 Milliarden Euro/4,7 Milliarden Franken) wurden zur Verfügung gestellt, nicht zuletzt, um die großen amerikanischen Fluggesellschaften vor einer Massenklage zu schützen, die das gesamte amerikanische Transportsystem gefährdet hätte.

Seine Sporen hat sich Feinberg Anfang der 70er-Jahre verdient. Zehntausende von Vietnamveteranen litten damals unter Spätfolgen des Kontakts mit Agent Orange – jener Chemiekeule, mit welcher das US-Militär versucht hatte, den Dschungel in Vietnam zu entlauben, um den Vietkong den Schutz zu rauben. Die Leiden reichten von Hautausschlägen bis zum Bauchkrebs. Als Feinberg mit der Schlichtung der Sammelklage beauftragt wurde, steckten die Verhandlungen zwischen den Opfern und der chemischen Industrie bereits im achten Jahr. Feinberg brachte den Fall innerhalb weniger Wochen zur Schlichtung.

Als kalt und nüchtern wurde Feinberg einer breiten Öffentlichkeit bekannt, als man ihn nach dem 11. September berief, um den Entschädigungsfonds zu verwalten. Bei einem Protest hielt ein erboster Angehöriger ein Schild hoch, auf dem stand: „Es gibt nur einen Spezialmeister. Hören Sie auf, Gott zu spielen, Mr. Feinberg.“ „Playing God“ heißt auch der Dokumentarfilm über Feinberg, der seit Donnerstag in deutschen Kinos läuft.
Es ist dieser Vorwurf der Anmaßung, den Feinberg sich unter allen Anfeindungen, mit denen er sich auseinandersetzen muss, am meisten zu Herzen nimmt. „Ja, das ist ein Problem“, sagt er, darauf angesprochen. „Die Macht, die ich habe, ist zu groß“, fügt er dann an. „Ich bin Richter und Geschworenengericht zugleich.“ Irgendjemand war immer unglücklich. Im Golf von Mexiko musste Feinberg immer wieder Ansprüche von Menschen abwehren, die ihren Schaden nicht nachweislich mit der Ölkatastrophe in Verbindung bringen konnten.

Auch von VW beauftragt

Feinberg geht das nahe, mehr, als er sich anmerken lässt. „Es ist wirklich hart“, sagt er, „man nimmt das immer mit nach Hause.“ Feinberg glaubt, dass er der Öffentlichkeit dient. Doch seine fürstliche Kompensation von BP nach der Ölpest stellt seine Beteuerungen, dass es ihm vor allem um die Opfer geht, deutlich infrage. Zwischen 800.000 und 1,2 Millionen Dollar bekam er damals monatlich von dem Ölriesen. Die Bezahlung von VW für seine Dienste nach dem Emissionsskandal wurde zwar nicht veröffentlicht, dürfte jedoch nicht wesentlich niedriger gelegen haben.

Der Eindruck, dass Feinberg sich dafür entlohnen lässt, seine Auftraggeber vor Klagen zu schützen, lässt sich angesichts solcher Zahlen nur schwer entkräften. Feinberg wischt solche Vorwürfe genervt vom Tisch. „Die Menschen müssen ja nicht mitmachen, wir zwingen niemanden dazu, das Geld zu nehmen.“ Es ist der Trotz von einem, der sich von allen unverstanden fühlt. „Nein, wirkliche Freude bringt das nicht, was ich mache“, gibt er zu.