„Durch die große Tür wieder hinaus“

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Anne Brasseur ist seit Jahrzehnten eine tragende Säule der Demokratischen Partei. Lange wurde die Hauptstadt-DP an drei Namen festgemacht: Colette Flesch, Lydie Polfer und Anne Brasseur. Vor Kurzem hat Brasseur einen Schlussstrich unter ihre politische Laufbahn gezogen.

Tageblatt: Was war Ihr größter politischer Erfolg?

Anne Brasseur: Schwer zu sagen nach 42 Jahren politischer Tätigkeit, u.a. 28 Jahre auf kommunaler Ebene. Besonders froh bin ich über die Idee, auf dem „Knuedler“ eine Kinderspielfläche einzurichten. Diese musste jetzt der Umgestaltung des Platzes weichen. Es war ein ganz einfaches Projekt, aber jedes Mal, wenn ich über den Platz ging und dabei zufriedene Kinder, zufriedene Eltern und zufriedene Großeltern sah, sagte ich mir: Das war eine gute Idee, die nicht teuer war. Man misst sich nicht immer an den großen Sachen.

Wichtig war meiner Ansicht nach auch der Gesetzesvorschlag, um das Bewohnerparken („Stationnement résidentiel“) in die allgemeine Straßenverkehrsordnung einzuschreiben. Als Verkehrsschöffin der Stadt Luxemburg wollte ich das Bewohnerparken einführen, aber es gab dafür keine legale Basis. Daher auch der Vorschlag, der dann Gesetz wurde. Heute könnte man sich Luxemburg und andere Städte des Landes ohne „Stationnement résidentiel“ nicht mehr vorstellen. Sehr stolz bin ich darüber, dass ich als junge Abgeordnete Berichterstatterin zum Antikrisengesetz von 1983 sein konnte. Das Land befand sich in der Stahlkrise. Damals hingen 30.000 von 150.000 Arbeitsstellen im Land direkt oder indirekt von der Stahlindustrie ab. Es ging darum, Sozialpläne zu gestalten, aber auch unpopuläre Maßnahmen – wie eine Mehrwertsteuer- und Akzisenerhöhung – zu beschließen und den Solidaritätsfonds zu schaffen. Ich glaube, kein gestandener Politiker wollte sich des Themas annehmen. Ich habe mich gemeldet, da ich davon ausging, dass ich sehr viel dazulernen würde, finanztechnisch, aber auch arbeitsrechtlich und industriell.

Und die größte Enttäuschung?

Ich war nicht glücklich, als meine Partei 2004 die Wahlen zugunsten der CSV verlor, weil sie für dieselbe Politik jene Sitze gewann, die wir verloren. Ich hätte gerne ein fünfjähriges Mandat als Erziehungsminister drangehängt, weil ich noch etliche Projekte realisieren wollte.

An welchem Projekt hätten Sie noch unbedingt mitwirken wollen?

Persönlich hoffe ich, dass es dieser Mehrheit noch vor den Wahlen gelingen wird, eine Reihe von Reformen umzusetzen, wie etwa das Scheidungsgesetz. Ich kann nicht mehr mitstimmen, trage aber diese und andere Reformen mit. Etwas bedauere ich dennoch: Es ist uns in Luxemburg bisher nicht gelungen, mehr Kohäsion in unserer Gesellschaft zu schaffen. Wir haben Parallelgesellschaften, die alle für sich einzeln genommen zufrieden sind. Für das Land ist es jedoch enorm wichtig, eine inklusivere und kohäsivere Gesellschaft zu haben. Daran müssen wir noch arbeiten.

Im Parlament sind verschiedene Parteien vertreten. Die meisten Gesetzesvorhaben werden auch von der Opposition mitgetragen. In dieser Legislaturperiode beispielsweise hat die CSV 80 Prozent der Projekte befürwortet. Gab es in Ihrer politischen Laufbahn Momente, in denen Sie sich sagten: Eigentlich könnte ich ja auch in jener Partei sein?

Nein. Ich bin in der Demokratischen Partei aufgrund meiner Erziehung und auch aus der Überzeugung heraus, dass ich ein liberaler Mensch bin. Für mich bedeutet liberal kein „Laissez-faire“ und „Glück den Tüchtigen“. Für mich bedeutet liberal, dass der Einzelne zählt. Was aber nicht ohne Verantwortung des Einzelnen gegenüber der Allgemeinheit und der Allgemeinheit gegenüber dem Einzelnen geht, wenn er es nicht schafft. Für mich gehört zum Liberalsein auch Solidarität. Das wird oftmals vergessen. Diese liberale Politik wird von der DP gemacht, seit sie gegründet wurde. Ich könnte mir nicht vorstellen, einer anderen Partei anzugehören.

Gab es in Ihrer Vergangenheit Misstöne zwischen Regierung und Parlament? Was stört im Verhältnis Regierung-Parlament?

Es gab solche Momente, wobei ich jetzt keinen bestimmten nennen will. Aber es gab schon Situationen, in denen die Regierung dachte, sie könne sich über das Parlament hinwegsetzen. Das beginnt mit den Prozeduren, die alle einhalten müssen. Die Redezeit haben die Minister permanent missbraucht. Bei besonders heiklen Projekten haben sie nicht verstanden, dass man das Parlament einbinden müsste. Das hat mehr mit der Persönlichkeit des jeweiligen Regierungsmitglieds zu tun als mit Parteipolitik. In den Ausschüssen dachten sie manchmal, ihr Projekt würde einfach durchgewunken. Aber im Parlamentsausschuss können ja Verbesserungen vorgelegt werden. Und da muss man herausfinden, ob einfach Parteipolitik betrieben wird oder nicht. Bei der CSV stört mich derzeit, dass sie überall dort, wo es nur geht, versucht, Nein zu sagen. Das ist Opposition nur der Opposition willen. Meiner Ansicht nach ist man als Parlamentarier dazu da, die Regierung zu kontrollieren – unabhängig davon, ob man der Opposition oder der Mehrheit angehört.

Was müsste noch getan werden, um die Parlamentsarbeit zu verbessern?

Als ich im Parlament begann, hatten wir in der Fraktion je einen Halbzeitposten für eine Sekretärin und einen Fraktionssekretär. Das Parlament hatte, wenn ich mich richtig erinnere, rund 35 Beamte. Wir haben uns in der Zwischenzeit professionalisiert. Auch die Abgeordneten. Kaum einer ist noch berufstätig. Mit den Fraktions- und den Parlamentsmitarbeitern ist das Abgeordnetenhaus für die anfallenden Arbeiten gut aufgestellt. Aber man muss sich natürlich selbst mit den Themen befassen.

Der Vorteil früher war, dass man alles selbst machen musste. Die parlamentarischen Anfragen musste man selbst auf der Maschine schreiben, die Briefmarke auf den Umschlag kleben und den Brief abschicken. Es gab weniger Anfragen. Man stellte nur solche, die es eigentlich wert waren. Was ich bedauere, ist, dass wir heute keine Zeit mehr haben, uns hinzusetzen und zu überlegen, was mittel- und langfristig das Wichtigste ist. Heute zählen oftmals kurze Sprüche, mit denen man schnell in die Medien kommt. Was auf Kosten einer tiefschürfenden Arbeit geht.

Nutzt das Parlament seine Vollmachten?

Es war gut, dass im Zuge der Reform der staatlichen Buchführung und des Rechnungshofes die Möglichkeit geschaffen wurde, einem Oppositionspolitiker die Präsidentschaft des Budget- kontrollausschusses zu überlassen. Ich gehörte lange Zeit diesem Ausschuss an, war mehrere Jahre dessen Vorsitzende. Zu Beginn musste man feststellen, dass in einzelnen Ministerien das Haushaltsgesetz nicht mit der notwendigen Sorgfalt umgesetzt wurde. Das hat sich in der Zwischenzeit enorm verbessert. Ich glaube, das hat auch mit der Rolle des Parlaments zu tun. Kein Minister will hören, dass sein Ressort das Haushaltsgesetz nicht wie erfordert umsetzt. Bei anderen Gesetzen mangelt es jedoch noch an einer effizienten Kontrolle bei deren Umsetzung.

Was würden Sie einem jungen Parlamentsmitglied oder einem jungen Menschen, der sich der Politik verschreiben will, raten?

Es ist nicht so meine Art, Ratschläge zu erteilen. Ich wünsche mir aber, dass sich junge Menschen, und auch junge Frauen, engagieren. Sie sollen dies voll und ganz tun. Man sollte an das, was man tut, glauben. Also volles Engagement bei den Ideen und nicht die Karriere in den Vordergrund stellen. Ich habe natürlich gut reden. Ich hatte großes Glück, dass ich immer zum richtigen Zeitpunkt am richtigen Ort war.


42 Jahre Politik

Ihr Entschluss, bei den nächsten Wahlen im Oktober 2018 nicht mehr mitzumachen, fiel noch vor den letzten Wahlen 2013. Man muss loslassen können, sagt Anne Brasseur. Gute Freunde hatte sie über ihre Entscheidung bereits früh informiert. Den Zeitpunkt für die Ankündigung ihres Rücktritts wollte sie jedoch selbst wählen. In den zahlreichen Jahren habe sie viel erreicht, sagt Anne Brasseur. „Ich bin durch die große Tür in die Politik reingekommen. Jetzt versuche ich, durch die große Tür hinauszugehen.“

Die studierte Psychologin begann ihre Berufslaufbahn 1975 beim Psychologie- und Orientierungsdienst der Handwerkerschule und des Escher Knabenlyzeums. Von 1976 bis 1979 leitete sie den SCAS („Service central d’assistance sociale“), den sie mit aufbaute. 1975 wurde sie auf Anhieb in den Gemeinderat Luxemburgs gewählt. Von 1982 bis 1999 gehörte sie dem Schöffenrat an. 1979 wurde sie erstmals ins Parlament gewählt. Von 1999 bis 2004 war sie Schulministerin in der damaligen CSV-DP-Regierung. Mitte Januar hatte sie ihren Beschluss bekannt gegeben, ihr Mandat Ende desselben Monats niederzulegen.
Bis Ende Mai ist sie Mitglied der Parlamentarischen Versammlung des Europarates, deren Vorsitzende sie ist.

jang_eli
9. April 2018 - 22.50

Zitat: "Etwas bedauere ich dennoch: Es ist uns in Luxemburg bisher nicht gelungen, mehr Kohäsion in unserer Gesellschaft zu schaffen. Wir haben Parallelgesellschaften, die alle für sich einzeln genommen zufrieden sind. Für das Land ist es jedoch enorm wichtig, eine inklusivere und kohäsivere Gesellschaft zu haben. Daran müssen wir noch arbeiten." Aha, gehts etwas konkreter, was war Ihr Beitrag, Frau Brasseur, zu dieser Arbeit ?