BelgienDie neue Regierung steht schon eine Woche nach ihrem Start unter Druck

Belgien / Die neue Regierung steht schon eine Woche nach ihrem Start unter Druck
Belgiens neuer Regierungschef Alexander De Croo wird viel damit zu tun haben, die Koalition zusammenzuhalten Foto: Danny Gys/Pool/AFP

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Fast 500 Tage (genau: 493) hat Belgien auf seine föderale Regierung gewartet. Mit Alexander De Croo, dem neuen liberalen Premier aus Flandern, würde endlich wieder so etwas wie Normalität einkehren, hofften viele in Brüssel. Die bleierne Zeit unter der Corona-Notregierung von Sophie Wilmès wollten die Belgier hinter sich lassen.

Doch knapp eine Woche nach dem Start der sogenannten „Vivaldi“-Koalition kann von Entspannung keine Rede sein. Die Corona-Krise ist zurück, schlimmer noch als im Frühjahr. Und die sieben beteiligten Parteien, deren Farben Grün, Rot, Orange und Blau an die „Vier Jahreszeiten“ von Vivaldi erinnern, präsentieren sich gar nicht harmonisch.

Für Ärger sorgt vor allem Georges-Louis Bouchez, der Chef der französischsprachigen Liberalen. Bouchez hatte versucht, eigenmächtig Ministerposten zu „verschieben“ – und war auf energischen Widerstand nicht nur bei den Koalitionspartnern, sondern auch in seiner eigenen Partei gestoßen. Nun wurde ihm ein Maulkorb umgehängt.

Frustriert wirkt aber auch Paul Magnette. Der machtbewusste Präsident der wallonischen Sozialisten wäre selbst gern Premierminister geworden. Doch am Ende musste er weichen, um Platz für De Croo zu machen. Nur ein Flame, so mußte Magnette einsehen, kann eine Koalition führen, die in Flandern gegen die größte Partei regiert.

Das ist der Geburtsfehler der neuen Koalition: Obwohl sie mit 87 von 150 Sitzen über eine komfortable Mehrheit im Föderalparlament verfügt, sieht es in den Regionen nicht gut aus. Flandern fühlt sich übergangen, weil die größte Partei, die N-VA, nicht an der neuen Regierung beteiligt wurde. Das könnte den flämischen Nationalismus anheizen; die N-VA ist auf strammen Oppositionskurs gegangen. Aber auch die Wallonie ist unzufrieden. Die französisch-sprachige Region ist bei der Wahl im Mai 2019 nach links gerückt und hat Mühe, sich mit dem neuen liberalen Premier zu identifizieren. Belgien werde schon viel zu lange von wirtschaftsfreundlichen Flamen regiert, heißt es nicht nur bei der linksradikalen „Partei der Arbeit“ PTB.

Dabei konnten die Sozialisten und die Grünen im neuen Regierungsprogramm einige soziale und grüne Akzente setzen. Die Mindestrente soll auf 1.500 Euro angehoben werden, es soll eine Steuer auf große Vermögen geben und ein Investitionsprogramm nach dem Vorbild des europäischen „Green Deal“ soll die Wirtschaft ankurbeln.

Corona-Krise macht Belgiern zu schaffen

Allerdings sind viele Punkte im Koalitionsprogramm noch sehr vage. Die Bürger scheint es auch nicht über-zeugt zu haben. Nach einer Umfrage, die die Tageszeitung Le Soir nach der Regierungsbildung veröffentlicht hat, haben nur 38 Prozent der Belgier Vertrauen in „Vivaldi“. 47 Prozent haben kein Vertrauen – und 16 Prozent zeigen sich gar desinteressiert an der neuen Regierung. Die Menschen haben offenbar andere Sorgen. Vor allem die „zweite Welle“ der Corona-Pandemie und die damit verbundene soziale und wirtschaftliche Krise macht vielen Belgiern zu schaffen. Als die Regierung De Croo ihr Amt aufnahm, wurden im Durchschnitt jeden Tag 2.466 neue Corona-Infektionen gemeldet.

Und die Zahlen steigen weiter an. Die Lage ist so ernst, dass De Croo seinen ersten öffentlichen Auftritt als Regierungschef der Corona-Krise widmen musste. Die Schutzmaßnahmen wurden erneut verschärft. Cafés und Kneipen müssen um 23 Uhr schließen, außer Haus darf man nur noch enge Sozialkontakte zu drei Personen pflegen. „Alle Signale stehen auf Rot“, beschrieb Le Soir die angespannte Lage. Doch immerhin haben De Croo und der neue Gesundheitsminister Frank Vandenbroucke ihren ersten gemeinsamen Auftritt nicht vergeigt. „Selbst die Experten waren zufrieden“, schrieb Het Nieuwsblad. Wenigstens die Krisenkommunikation sei besser geworden.

Grund zu Freude hat auch Petra de Sutter, die neue grüne Ministerin für den öffentlichen Dienst und die Beamten. Die 57-Jährige ist nämlich die erste Transsexuelle in einem so hohen Amt – sie ist auch Vize-Premierministerin. In Belgien regt das niemanden auf, es macht nicht einmal Schlagzeilen. Und das ist denn doch noch eine gute Nachricht aus dem krisengeschüttelten Königreich: Tolerant sind sie immer noch, die Belgier.

HTK
8. Oktober 2020 - 9.42

Was haben Belgien und Italien gemeinsam?? Sie funktionieren am besten ohne Regierung.