ÖsterreichDie Minister des Messias: Partei von Sebastian Kurz taumelt von einer Affäre in die nächste

Österreich / Die Minister des Messias: Partei von Sebastian Kurz taumelt von einer Affäre in die nächste
Seit Jahresbeginn sind bereits vier von Kurz’ Ministern ins Wanken geraten  Foto: AFP/Marijan Murat

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Schwarzes Jahr für Österreichs Türkise: Eine Serie von Skandalen, Affären und Pannen in der Kanzlerpartei macht Corona den Spitzenplatz in den Schlagzeilen streitig.

Die Zeit der spöttischen oder auch nur neidischen Messias-Witzchen über Sebastian Kurz ist vorbei. Der Kanzler wirkt nämlich gar nicht mehr wie einer, der übers Wasser gehen kann. Der Erlöser-Nimbus, der seine ÖVP zum Kanzleranbetungsverein und zu Beginn der Pandemie viele Österreicher Kurz-gläubig gemacht hatte, ist ramponiert. Das Corona-Krisenmanagement der türkis-grünen Regierung läuft alles andere als rund und seit Wochen kommt die ÖVP selbst nicht mehr aus dem Krisenmodus.

Die erste Peinlichkeit gleich zu Jahresbeginn hat der Kanzler noch souverän weggesteckt. Die mit massiven Plagiatsvorwürfen konfrontierte Arbeitsministerin Christine Aschbacher opferte er, ohne mit der Wimper zu zucken, und zauberte einen sogar von der Opposition anerkannten Wirtschaftsprofessor als Nachfolger aus dem Hut. Die Peinlichkeit wäre wohl schnell vergessen gewesen, markierte sie nicht den Beginn einer schwarzen Serie der Türkisen, die deren Koalitionspartner langsam zum Verzweifeln, weil in die Zwickmühle bringt.

Ramponierter Innenminister

Anfang des Monats mussten die Grünen nicht nur zähneknirschend zwei Misstrauensanträge gegen Innenminister Karl Nehammer abschmettern, sondern auch noch gegen die von SPÖ und Liberalen beantragte Rückholung von zwei gut integriert gewesenen, aber trotzdem Ende Januar vom Innenminister nach Georgien beziehungsweise Armenien abgeschobene Familien stimmen. Dieser Streit ist freilich noch Nehammers geringstes Problem. Dabei kann er sich bei rechten Wählern profilieren.

Sorgte für traurige Premiere: Finanzminister Gernot Blümel
Sorgte für traurige Premiere: Finanzminister Gernot Blümel Foto: AFP/Hans Punz

Doch das Versagen im ebenfalls zum ÖVP-Markenkern zählenden Kampf gegen Islamisten ramponiert das Law-and-order-Image schwer. Vorige Woche bestätigte ein Expertenbericht, dass das schon lange bekannte Gemisch aus Inkompetenz und Freunderlwirtschaft beim Bundesamt für Verfassungsschutz und Terrorismusbekämpfung (BVT) jenem Islamisten, der am 2. November in Wien vier Menschen erschossen hat, das mörderische Handwerk zumindest erleichtert, wenn nicht gar erst ermöglicht hat. Wieder ist der verantwortliche Minister mit Rücktrittsforderungen konfrontiert. Wieder müssen sich die Grünen, die vor dem Einstieg in die Kurz-Regierung schärfste Kritiker der BVT-Zustände waren, in koalitionstreuer Zurückhaltung üben.

Razzia bei Finanzminister

Während Politologen und wohl auch die Grünen selbst darüber diskutieren, wie lange dieser Spagat noch durchzuhalten ist, platzte schon die nächste Bombe. Erstmals in der Geschichte der Zweiten Republik kam es vorigen Donnerstag zu einer Hausdurchsuchung bei einem Regierungsmitglied. Finanzminister Gernot Blümel (ÖVP) wird in einem Korruptionsverfahren rund um die Glückspielkonzerne Casinos Austria und Novomatic als Beschuldigter geführt.

Guten Morgen. Hätte eine Bitte. Bräuchte einen kurzen Termin bei Kurz, erstens wegen Spende und zweitens bezüglich eines Problems, das wir in Italien haben!

Eine SMS des damaligen Novomatic-Chefs Neumann an Blümel

Das Ganze ist ein Nachbeben von Ibizagate, das als FPÖ-Skandal begann, aber immer mehr zum Problem der ÖVP wird. Ex-FPÖ-Chef Heinz-Christian Strache hatte in der Videofalle auf Ibiza 2017 behauptet, „Novomatic zahlt alle (Parteien, Anm.)“. Novomatic bestreitet seither finanzielle Zuwendungen an Parteien. Aufklärungsbedarf bleibt jedoch. Blümel wurde nun eine am 10. Juli 2017 vom damaligen Novomatic-Chef Harald Neumann empfangene SMS-Nachricht zum Verhängnis: „Guten Morgen. Hätte eine Bitte. Bräuchte einen kurzen Termin bei Kurz, erstens wegen Spende und zweitens bezüglich eines Problems, das wir in Italien haben!“

Ramponiert das Law-and-order-Image: Innenminister Karl Nehammer
Ramponiert das Law-and-order-Image: Innenminister Karl Nehammer Foto: dpa/Herbert Neubauer

Tatsächlich trägt die Assistentin von Novomatic-Eigentümer Johann Graf für 25. Juli in dessen Terminkalender den Namen „Kurz“ ein. Graf dementiert, den damaligen Außenminister getroffen zu haben. Es sei um ein Treffen mit Grafs Schwiegertochter Martina Kurz gegangen. Das „Problem in Italien“ hatte Novomatic tatsächlich. Es drohten Steuernachzahlungen bis zu 50 Millionen Euro. Blümel, damals Wiener ÖVP-Chef, setzte sich ein und ersuchte den Generalsekretär des Finanzministeriums, Thomas Schmid, um einen Rückzug bei Neumann.

Ob und auf welche Weise das Finanzministerium für die Novomatic aktiv wurde, kann Blümel heute nicht sagen, obwohl er als Finanzminister Infos aus erster Hand haben müsste. Was er aber sicher sagen kann, ist, dass weder die ÖVP noch ihr nahestehende Vereine von dem Glücksspielkonzern Geld für politische Gefälligkeiten genommen hätten. Jeder, der das Gegenteil behaupte, werde verklagt.

Blümels Drohung macht die ÖVP gleich wahr: Heute wird sie 13 Klagen wegen Beleidigung und übler Nachrede einbringen – hauptsächlich wegen Postings in sozialen Medien. Zur Gegenoffensive gehört auch eine türkise Breitseite gegen die Korruptionsstaatsanwaltschaft: In einer parlamentarischen Anfrage an das interimistisch vom grünen Vizekanzler Werner Kogler geführte Justizministerium will die ÖVP wissen: „Wer trägt die Verantwortung für die Verfehlungen und was sind die Konsequenzen?“ Mit Verfehlungen sind das vorzeitige Bekanntwerden von Blümels Beschuldigtenstatus und angebliche Verletzungen von Beschuldigtenrechten gemeint.

Grüne in Not

Während die ÖVP Blümel die Mauer macht, stehen die Grünen vor der nächsten Zerreißprobe. SPÖ, FPÖ und liberale Neos haben für Dienstag eine Sondersitzung des Nationalrats beantragt. Der Finanzminister wird dabei mit einem Misstrauensantrag konfrontiert sein, der jedoch chancenlos ist, weil die Grünen ihm so wie vor zwei Wochen schon dem Innenminister mit viel Bauchweh die Stange halten werden.

Zwar wirkt die Pandemie längst nicht mehr als Ansporn für nationale Schulterschlüsse und als Ablenkung von sonstigen Themen, doch eine Funktion hat sie noch: Die Grünen werden kaum riskieren, mitten in dieser Megakrise Neuwahlen vom Zaun zu brechen und als Koalitionsbrecher abgestraft zu werden. Kurz sollte sich allerdings nicht zu sehr darauf verlassen. Viel darf nicht mehr passieren …