Deutschland / Der Regierungspoker beginnt
Am Wochenende gab es konkrete Vorgespräche der Parteien mit möglichen Bündnispartnern. Die SPD wünscht sich nun zügige Ampel-Sondierungen im festen Dreierformat mit Grünen und FDP. Die Grünen wollen aber noch ihre Beratungen mit der Union abwarten.
Eine Woche nach der Bundestagswahl nimmt das Ringen um die künftige Bundesregierung Fahrt auf. Am Sonntag traf die SPD von Kanzlerkandidat Olaf Scholz erstmals mit der FDP-Spitze und den Grünen zusammen, um Chancen einer Ampel-Koalition auszuloten. Im Anschluss daran sagte SPD-Generalsekretär Lars Klingbeil, seine Partei wünsche sich nun zügige Gespräche mit FDP und Grünen: „Die SPD ist jetzt bereit für Dreiergespräche.“
Grünen-Chefin Annalena Baerbock reagierte darauf zurückhaltend. Zunächst wolle ihre Partei am Dienstag mit der Union sprechen. Am Abend hatte sich in Berlin auch eine erste Runde von CDU und CSU mit der FDP zusammengefunden, um Gemeinsamkeiten in einem möglichen Jamaika-Bündnis mit Grünen zu besprechen.
Baerbock sagte nach den rund zweistündigen Gesprächen mit Olaf Scholz und dem SPD-Verhandlungsteam, man habe sachlich beraten. Über Inhalte sei Stillschweigen vereinbart worden. „Ich bitte um Verständnis, dass wir auch nicht sagen, was es zu Essen gab.“ Wichtig sei es, Klimaschutz unter Volldampf für Stadt und Land zu schaffen, ebenso die Digitalisierung voranzubringen.
Ihr grüner Co-Chef Robert Habeck erklärte, er habe eine Bereitschaft festgestellt, dass die SPD trotz vieler Jahre in der Regierung bereit für eine neue Dynamik sei. „Politik sucht ja immer nach Schnittmengen. Wir haben nach Dynamik gesucht.“ Auf die Frage, ob die Grünen-Chefs sich darüber wunderten, dass die SPD „nur“ den Generalsekretär und nicht Scholz vor die Kameras geschickt hätten, antwortete Habeck: „Wir nehmen’s immer, wie es kommt.“
Umfrage: CDU/CSU rutschen weiter ab
In den Parteizentralen war zu hören, dass der Druck für eine Regierungsbildung hoch sei. Bis spätestens Weihnachten soll ein neuer Koalitionsvertrag stehen, wenn möglich sogar früher. Wie realistisch das ist, lässt sich derzeit aber nur schwer einschätzen. Denn die Verhandler der Parteien kämpfen in den eigenen Reihen mit unterschiedlichen Fliehkräften. SPD-Kanzlerkandidat Scholz muss insbesondere bei Parteilinken für Kompromissbereitschaft gegenüber der FDP werben, die beispielsweise in der Steuerpolitik weit entfernt vom SPD-Wahlprogramm zu sein scheint.
Auch die Grünen müssen noch Gräben mit der FDP überwinden, auch wenn erste Vorgespräche positiv verlaufen waren. Die FDP-Spitze wiederum muss intern rückkoppeln, ob mit einem Jamaika- oder einem Ampel-Bündnis mehr liberale Politik durchsetzbar wäre – und ob mit der Union überhaupt eine Regierungsbildung sinnvoll erscheint. Denn CDU-Chef Armin Laschet hatte vor einer Woche ein aus Unionssicht desaströses Wahlergebnis eingefahren und klammert sich gegen interne Widerstände an die Macht.
Da sind die jüngsten Umfragewerte des Meinungsforschungsinstituts Insa keine Hilfe für ihn: Die Union rutscht in der am Sonntag veröffentlichten Erhebung noch einmal um gut drei Punkte auf 21 Prozent ab, die SPD legt um 2,3 Punkte auf 28 Prozent zu, und auch Grüne (plus 1,2 auf 16 Prozent) und FDP (plus 0,5 auf 12 Prozent) können leichte Zugewinne nach der Wahl verbuchen.
FDP erhöht Druck auf Union
Nach dem Treffen von SPD und FDP sprachen die Generalsekretäre Klingbeil und Volker Wissing von konstruktiven Gesprächen. Wissing sagte, dass es mit Blick auf die Wahlprogramme inhaltliche Klippen gebe. Eine Überwindung schien nach dem Termin am Sonntag aber möglich, auch wenn Wissing diesen noch nicht bewerten wollte. Erst müssten alle bilateralen Gespräche geführt werden, so der FDP-Politiker.
Die FDP erhöhte unterdessen den Druck auf die Union. Parteichef Christian Lindner sagte der Bild am Sonntag: „Manche Wortmeldung der CDU spekuliert ja, dass erst Verhandlungen mit der SPD scheitern sollen, bevor die Union wieder ins Spiel kommt. Das kann man unserem Land nicht zumuten.“ Man sei zu ernsthaften Gesprächen bereit und erhoffe umgekehrt dasselbe. CDU-Generalsekretär Paul Ziemiak sagte, man wolle mit „großem Verantwortungsbewusstsein“ in Gespräche über ein Jamaika-Bündnis gehen.
Die Grünen zeigten sich bereits zuversichtlich, einer künftigen Koalition anzugehören. „Wenn wir uns nicht komplett dämlich anstellen, werden wir in den nächsten vier Jahren diese Regierung nicht nur mittragen, sondern maßgeblich mitbestimmen“, sagte Habeck am Samstag bei einem kleinen Parteitag. Über einen Koalitionsvertrag und die personelle Aufstellung einer möglichen Regierung sollen die 120.000 Grünen-Mitglieder abstimmen.
Mehrheit wünscht sich Olaf Scholz als Kanzler
K-Frage: Laut Umfrage des Meinungsforschungsinstituts Insa für die Bild-Zeitung wünschen sich 43 Prozent der Befragten den SPD-Kandidaten Olaf Scholz als Kanzler, 13 Prozent sprechen sich für Laschet aus, 36 Prozent sind für keinen der beiden.
Auftrag: 58 Prozent sind laut Umfrage der Meinung, die Union habe keinen Regierungsauftrag.
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