BosnienCovid-Patienten mit Industriegas statt medizinischem Sauerstoff versorgt

Bosnien / Covid-Patienten mit Industriegas statt medizinischem Sauerstoff versorgt
Der Serbenführer und Vorsitzende des Staatspräsidiums in Bosnien-Herzegowina, Milorad Dodik, gerät wegen dieser und anderer Affären zunehmend unter Druck Foto: Attila Kisbenedek/AFP

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Der Skandal um falsch deklarierten Sauerstoff für Covid-Patienten zieht in dem bosnischen Teilstaat der Republika Srpska immer größere Kreise: Statt medizinischem Sauerstoff sollen in mindestens zwei Kliniken Industriegase verabreicht worden sein.

Zumindest die in Bosniens Sauerstoff-Skandal ins Visier der Kritik geratenen Würdenträger sind sich keinerlei Schuld bewusst. Es gebe „keinen Grund zur Sorge“, versichert Alen Seranic, Gesundheitsminister im bosnischen Teilstaat der Republika Srpska. In den Covid-Kliniken werde „kein anderer Sauerstoff als medizinischer verwendet“: „Das ist derselbe Sauerstoff, mit denen schon seit 20 Jahren Babys, Familien und andere Patienten geheilt werden.“

Von der „größten kriminellen Affäre aller Zeiten“ spricht hingegen Drasko Stanivukovic, der Bürgermeister von Banja Luka und Hoffnungsträger der Opposition. Sein Vorwurf: Die Universitätsklinik (UKC) in Banja Luka habe ihren Sauerstoff von der Firma TGT Tehno Gas bezogen, obwohl diese nur eine Lizenz für den Handel mit technischen Gasen besitze: „Wissen die Patienten, dass ihr Sauerstoff ohne Lizenz, Zertifikat und Kontrollen geliefert worden ist?“

Wurden Covid-Patienten in bosnischen Kliniken billige Industriegase statt medizinischem Sauerstoff verabreicht? Der Vorwurf scheint ungeheuerlich. Doch Bosniens Arzneimittelbehörde hat der ins Zwielicht geratenen Firma des früheren Polizeichefs Stanislav Cado wegen der fehlenden Lizenzen die Produktion und den Handel mit medizinischen Gasen nun verboten.

Die Produktion von medizinischen sei zwar „ähnlich“ wie die von technischen Gasen, aber wegen der für Arzneimittel erforderlichen Zulassungen und Qualitätskontrollen mit einem wesentlich höheren Personal- und Kostenaufwand verbunden, so ein Branchenkenner gegenüber dem Tageblatt. „Korrekt abgefüllt“ seien bei der Verabreichung von für Industriezwecke gefertigem Sauerstoff zwar nicht zwangsläufig gesundheitliche Folgen zu fürchten. Doch bei Abfüllung und Transport könne es bei falsch deklariertem Sauerstoff wegen der fehlenden Kontrollen leicht zu „Kontaminierungen“ kommen: „Riskant wird es vor allem, wenn mit Lachgas gepanscht wird: Die Patienten merken das nicht und wachen aus der Narkose nicht mehr auf.“

Politik unter Druck

Das Webportal „klix.ba“ fragt sich bereits, ob die im internationalen Vergleich auffällig hohe Zahl von Corona-Toten in Bosnien „etwas mit der Qualität des Sauerstoffs zu tun hat“. Außer am UKC in Banja Luka sollen auch in der Covid-Klinik in Trebinje Industriegase verabreicht worden sein. Dusko Tomic, der Anwalt von mehreren Familien verstorbener Covid-Patienten, spricht von Hinweisen, dass Patienten an dem ihnen verabreichten Sauerstoff verstorben seien – und fordert die Verhaftung der Verantwortlichen: „Dies ist eine viel größere Affäre, als man sich vorstellen kann.“

Über eine „politisch motivierte Panikmache“ klagen die in die Kritik geratenen Amtsträger. Tatsächlich setzt die Affäre die regierende SNSD von Serbenführer Milorad Dodik angesichts der Parlaments- und Teilstaatswahlen im kommenden Jahr zunehmend unter Druck. Denn es mehren sich die Enthüllungen über korruptionsträchtige Anschaffungen und verschobene Tender während der Pandemie durch Würdenträger seiner Partei: Erst Mitte September war der Chef der Gesundheitsbehörde wegen des Verdachts des Ankaufs von medizinischer Schutzkleidung zu völlig überhöhten Preisen verhaftet worden.